Um 14.53 Uhr ist es vorbei. Nach fünf Jahren und zwei Monaten endet der NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München. Für Beate Zschäpe endet er mit der Höchststrafe: lebenslange Freiheitsstrafe und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Die Richter des 6. Strafsenats am Oberlandesgericht München sehen es als erwiesen an, dass sie als NSU-Terroristin die Morde an neun Migranten und einer Polizisten und die Bombenanschläge genauso geplant und gewollt hat wie Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, auch wenn sie keinen einzigen Schuss abgegeben, keinen Sprengsatz gezündet hat.
Die Richter halten Zschäpe für eine Terroristin, eine Attentäterin, eine Mörderin. Die Tür zur Freiheit haben sie gleich doppelt versperrt. Beate Zschäpe wird die nächsten Jahrzehnte eingesperrt bleiben. Zu den zwanzig Jahren, die die heute 43-Jährige zuletzt erst im Untergrund, später in Untersuchungshaft lebte, kommen nun noch mindestens ebensoviele Jahre hinter Gitter hinzu, sollte das Urteil rechtskräftig werden.
NSU-Prozess:Schockstarre bei Beate Zschäpe
Die Hauptangeklagte wirkt im Gerichtssaal, als habe sie mit der harten Strafe nicht gerechnet. Ihre Anwälte glauben, dass die Richter Fehler gemacht haben, und wollen das Urteil anfechten.
Eminger wurde vom Vorwurf der Beihilfe zum versuchten Mord freigesprochen
André Eminger hingegen verlässt den Gerichtssaal als freier Mann. Das Gericht hat ihn vom Vorwurf der Beihilfe zum versuchten Mord freigesprochen. Wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung wurde er zu 30 Monaten Haft verurteilt, verrechnet mit der Zeit, die er schon in Untersuchungshaft saß, ergibt das für ihn die Freiheit. Der Haftbefehl gegen den Neonazi mit dem "Die Jew Die"-Tattoo auf dem Bauch ("Stirb Jude, stirb") wurde aufgehoben. Seine rechten Kameraden auf der Zuschauerbühne jubelten und applaudieren. Richter Manfred Götzl ruft sie zur Ruhe.
Zschäpe wirkt schockstarr. Sie hört nahezu regungslos zu, wie Richter Götzl ihr deutlich macht, dass die Richter ihr kaum ein Wort glauben. Götzl spricht schnell, er nuschelt, ins Detail geht er nicht. Er spricht auch nicht zu den Angeklagten, sondern liest monoton vom Blatt ab. Nur manchmal schaut er hoch. Nur manchmal schaut er zu Zschäpe, Eminger und die anderen drei Angeklagten.
Der Senat macht deutlich, dass aus seiner Sicht Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt die einzigen Mitglieder des NSU gewesen seien. Sie einte ihre rechtsextreme Einstellung und ihr neonazistisches Weltbild. Die Morde, Raubüberfälle und Bombenattentate seien politisch motiviert gewesen. Als Mundlos und Böhnhardt sich wegen einer drohenden Festnahme erschossen, steckte Zschäpe erst ihre gemeinsame Wohnung in Zwickau in Brand und verschickte danach NSU-Bekenner-DVDs. Durch die Veröffentlichung des Videos sollten Migranten in Angst und Schrecken versetzt und die Gesellschaft destabilisiert werden. Das alles zusammengenommen macht Zschäpe zur Mittäterin und letztlich zur Mörderin.
Ob das Urteil rechtskräftig wird, hat nun der Bundesgerichtshof zu entscheiden. Mehrere Verteidiger haben bereits angekündigt, in Revision zu gehen, das Urteil also von der nächsten und letzten Instanz in Karlsruhe überprüfen zu lassen.
NSU-Prozess:Ein gerechtes Urteil und Säcke voller Fragen
Das NSU-Verfahren ist beendet und die Schuld der Angeklagten geklärt. Aber es braucht nicht nur Strafverfahren. Nötig ist auch ein neues Denken - das anerkennt, dass Islam und Muslime zu Deutschland gehören.
Wohlleben soll für zehn Jahre hinter Gitter
Wie Zschäpe will sich auch der ehemalige NPD-Funktionär Ralf Wohlleben gegen das Urteil wehren. Das Gericht hat ihn wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Wohllebens Verteidiger hatten Freispruch gefordert. Wohlleben hat den NSU-Terroristen zusammen mit Carsten Schultze die Mordwaffe beschafft. Carsten Schultze war zur Tatzeit erst 20 Jahre alt, die Reife eines Erwachsenen hatte er nach Ansicht des Gerichts damals noch nicht. Und er hat entscheidend und glaubhaft reumütig an der Aufklärung mitgewirkt. Drei Jahre Jugendstrafe hat er bekommen. Die Bundesanwaltschaft hatte drei Jahre beantragt, seine Verteidiger Freispruch.
Bleibt noch Holger Gerlach, der willige Helfer des NSU-Trios, der die Terroristen unter anderem mit einem Reisepass und einem Führerschein versorgte. Fünf Jahre Haft forderte die Bundesanwaltschaft, die Verteidigung bat um Milde und nicht mehr als zwei Jahre. Die Richter haben nun drei Jahre verhängt.
Die Nebenkläger hatten auf die Höchststrafe für Zschäpe gehofft. Enttäuscht vom Prozess sind sie trotzdem. Die Hinterbliebenen der Ermordeten haben keine Antwort bekommen auf die Fragen, die sie am meisten quälen. Warum mussten gerade ihre Väter, ihre Söhne, ihre Brüder sterben? Bestand der NSU wirklich nur aus Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt? Sie sind davon überzeugt, dass die drei Helfer vor Ort hatten, die bei der Auswahl der Opfer halfen. Helfer, die noch heute frei herumlaufen.
"Heute sind fünf Menschen verurteilt worden, die jeder für sich verantwortlich für den Mord an meinem Vater sind", sagt Gamze Kubasik, Tochter von Mehmet Kubasik, der in Dortmund ermordet wurde. "Das ist kein Trost. Mein Vater wird dadurch nicht wieder lebendig. Aber es ist ein erster und sehr wichtiger Schritt." Auch sie sagt, dass sie hoffe, "dass auch alle weiteren Helfer des NSU gefunden und verurteilt werden". Sie sagt: "Wenn das Gericht ehrlich ist, wird es auch noch sagen, dass Lücken geblieben sind. Solange diese Lücken bleiben, können meine Familie und ich nicht abschließen."
Für die Familien der Ermordeten und die Opfer der Anschläge und Raubüberfälle ist mit dem Urteil in diesem Jahrhundertprozess die Suche nach der Wahrheit nicht vorbei.