Süddeutsche Zeitung

Urteil gegen Putin-Kritiker Nawalny:Widerstand gegen die "Kröte"

Eine Galionsfigur der russischen Opposition muss für fünf Jahre in Lagerhaft. Doch der Blogger Alexej Nawalny hat vorgesorgt und ruft seine Anhänger auf, an seiner Stelle Präsident Putin von der Macht zu vertreiben. Die Opposition kündigt für den Abend Proteste an. Sogar Michail Gorbatschow kritisiert die Justiz.

Von Carina Huppertz und Martin Anetzberger

Bevor der russische Oppositionelle Alexej Nawalny in Handschellen aus dem Gericht in Kirow abgeführt wurde, setzte er noch einen Tweet ab, den der Korrespondent Alexei Makartsev ins Deutsche übersetzte.

Mit "Kröte" meint Nawalny Präsident Wladimir Putin. Eine Kröte, die deswegen an der Macht sei, weil "wir zu faul sind, die Arbeit zu erledigen", sagt Nawalny und meint mit Arbeit, was er in seinem Tweet andeutet: Die Kröte müsse mit einem Stock oder einem zusammengerollten Stück Papier von der Ölleitung vertrieben werden.

Putin steckt nach Meinung vieler Aktivisten hinter dem Prozess gegen den russischen Blogger, der am Donnerstagvormittag zu fünf Jahren Lagerhaft verurteilt wurde. Nawalny wurde schuldig gesprochen, 2009 als Berater des liberalen Gouverneurs der Region Kirow Holz im Wert von 400.000 Euro unterschlagen zu haben. Der Richter begründete die harte Strafe mit der "Schwere des Verbrechens" und der "Gefahr, die Nawalny" für die Gesellschaft darstelle. Auch Nawalnys Geschäftspartner Pjotr Ofizjerow wurde schuldig gesprochen.

Die russische Generalstaatsanwaltschaft hat inzwischen allerdings überraschend Beschwerde gegen die Inhaftierung Nawalnys eingelegt. Es gebe keine Gründe dafür, teilte die Behörde mit. Am Freitag ist für 08.00 Uhr (MESZ) eine Verhandlung vor Gericht über die Haftbeschwerde angesetzt, sagte Nawalnys Anwalt Wadim Kobsew. Nach seiner Darstellung sieht die Generalstaatsanwaltschaft keinen Grund für die Inhaftierung, weil das Urteil nicht rechtskräftig sei.

Schon vor dem Urteil hatte der Blogger geahnt, dass er den Saal an diesem Donnerstag nicht als freier Mann verlassen würde. In einem Beitrag am Vorabend beschrieb er seine innere Zerrissenheit. Sollte Putin seinen Mut zusammennehmen und sollte es tatsächlich zu einer Gefängnisstrafe kommen, wäre er, Nawalny, natürlich erst einmal "nicht glücklich". Trotzdem zeigte er Galgenhumor und postete ein Video mit melodramatischer Musik, das sich wohl viele als Begleitstück für seinen Abgang aus dem Saal vorstellen können.

Dabei ist ihm dieses Niederlage-Szenario eigentlich zuwider, er gibt sich lieber kämpferisch. Der charismatische Aktivist ist Umfragen zufolge jedem dritten Russen bekannt. Er weiß durchaus um die Außenwirkung, die seine Verurteilung haben könnte. Und er hofft, dass diese in Russland zum organisierten Widerstand gegen die Regierung führt. In seinem Blog deutet er an, dass ein für ihn persönlich "glücklicher" Freispruch wohl nichts daran ändern würde, dass unliebsame Aktivisten und Journalisten weiter von staatlicher Seite unter Druck gesetzt und juristisch verfolgt würden.

Nawalny weiß aber auch, dass sein politischer Einfluss aus der Lagerhaft heraus stark begrenzt sein wird. Er braucht deswegen Anhänger, die an seine Stelle treten. Deswegen rief er sie schon vor dem Schuldspruch zum Protest gegen die Regierung in Moskau auf. Er ermutigte jeden Einzelnen von ihnen: "Niemand ist in der Lage, stärkeren Widerstand zu leisten als Du."

Viele seiner Anhänger wollen sich mit dem umstrittenen Urteil tatsächlich nicht abfinden. In ihren Augen dient es Putin lediglich dazu, Nawalny, der am 8. September bei der Bürgermeisterwahl in Moskau und im Jahr 2018 bei der Präsidentschaftswahl antreten wollte, kaltzustellen. Teilweise ist das schon gelungen. Die Kandidatur für die Moskauer Wahl werde zurückgezogen, teilte der Chef seines Wahlkampfstabs, Leonid Wolkow, der Agentur Interfax zufolge mit. "Das Format der Agitation ändert sich. Der Wahlkampfstab wandelt sich in einen Boykottstab", sagte er. Das sei mit Nawalny vorab so besprochen worden.

Wie bei der Präsidenschaftswahl 2012 verabreden sich im Internet Tausende zu Protesten. Auf Facebook wird unter dem Motto: "Debatte über das Urteil gegen Alexej Nawalny und Pjotr Ofizjerow" zu einer Versammlung auf dem Manege-Platz aufgerufen. Mehr als 10.000 Teilnehmer haben sich bereits angekündigt. Auf vkontakte.ru - dem russischen Äquivalent zu Facebook - hat RosPil, eine von Nawalny gegründete Anti-Korruptions-Initiative, Aufrufe zu Protesten in 25 russischen Städten zusammengetragen, darunter Moskau, Sankt Petersburg, Nowosibirsk, Kasan, Kaliningrad und Wolgograd. Sie sind für Donnerstagabend (russischer Zeit) angekündigt.

International hat das Urteil scharfe Kritik ausgelöst. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton sagte in Brüssel: "Das Ergebnis wirft angesichts der Verfahrensmängel ernsthafte Fragen zum Zustand der Rechtsstaatlichkeit in Russland auf." Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff (CDU), erklärte, der Fall Nawalny sei nur ein Beispiel für eine Politik, die keine Opposition und keinen politischen Wettbewerb dulde. Auch russische Oppositionelle äußerten sich kritisch. Michail Prochorow, Kandidat bei der vergangenen Präsidentschaftswahl, schrieb beim Kurznachrichtendienst Twitter: "Richter Blinow ist, wie es scheint, der einzige Mensch in Russland, der im Fall Nawalny keine politische Motivation sieht." Sogar der frühere Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, stellte ein Statement ins Internet. Darin schreibt er, der Prozess habe verdeutlicht, dass es in Russland keine unabhängige Justiz gebe.

Absperrungen und Bauarbeiten auf dem Manege-Platz

Der Vorsitzende der Partei Jabloko, Sergej Mitrochin, kündigte im Radiosender Echo Moskwy an, die Proteste gegen das Urteil zu unterstützen. Die Schuld der Angeklagten sei nicht bewiesen. Deshalb wolle er sich heute Nawalnys Anhängern anschließen. Er fügte aber hinzu, dass niemand offiziell zu dem Protest aufrufen werde, da die Veranstaltung bei den Behörden nicht angemeldet sei. Jabloko ist eine liberale Partei, die lange von Putins Gegner Michail Chodorkowskij finanziell unterstützt wurde.

Die Polizei hatte angekündigt, bei unangemeldeten Protesten der Opposition "entsprechende Maßnahmen zu treffen". Auf Twitter berichtet der Korrespondent Simon Shuster, dass am Manege-Platz Lastwagen voller Soldaten warteten. Außerdem würden lose Ziegelsteine angeliefert.

Die Nachrichtenagentur dpa hatte schon am Vormittag davon berichtet, dass Sicherheitskräfte den Manege-Platz in der Nähe des Kremls abgesperrt hätten (aktuelle Bilder postet ein russischer Blogger). Die Zeitung Kommersant berichtet, dass dort seit heute Morgen neue Bürgersteigplatten verlegt würden. Deshalb sei der gesamte Platz weiträumig abgesperrt. Der Sprecher des Moskauer Bürgermeisters sagte demnach, die Arbeiten seien bereits länger geplant gewesen.

Nawalny selbst ist unterdessen in ein Gefängnis in Kirow gebracht worden. Seine Verteidigung hat bereits angekündigt, gegen das Urteil Berufung einlegen zu wollen. Dafür hat sie zehn Tage Zeit, in weiteren 30 Tagen kann das Gericht die Beschwerde prüfen. In der Zwischenzeit ist der Schuldspruch noch nicht gültig, Nawalny bleibt deshalb in Untersuchungshaft. Sollte das Gericht das Urteil bestätigen, wird er aber verlegt - in welches Lager, ist bisher noch nicht bekannt.

Mit Material von dpa und AFP.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1724425
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de/beitz/leja
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.