Urteil gegen kongolesischen Kriegsverbrecher:"Lubanga ist nur ein ganz kleiner Fisch"

Das Haager Gericht setzt Zeichen: Mit dem Urteil gegen den kongolesischen Rebellenführer Lubanga ergeht zum ersten Mal ein internationaler Richterspruch zum Thema Kindersoldaten. Kongo-Experte Gerd Hankel erklärt, warum sich die Menschen im Land eine Verfolgung ganz anderer Verbrechen gewünscht hätten.

Ronen Steinke

6000 Kilometer liegen zwischen dem Internationalen Strafgerichtshof und den umkämpften Gebieten Ostkongos. Wenn nun ein kongolesischer Warlord in Den Haag vor Gericht steht: Wie sehr interessiert das die Menschen in den betroffenen Gebieten? Der Jurist Gerd Hankel vom Hamburger Institut für Sozialforschung reist seit 2004 durch die Demokratische Republik Kongo, um über die Aufarbeitung von Massakern zu sprechen. Dafür besucht er Gefängnisse in Zentralafrika und spricht mit Familien von Opfern. Hankels Langzeitstudie soll 2014 erscheinen.

Süddeutsche.de: Herr Hankel, wie finden die Menschen es, dass der kongolesische Warlord Thomas Lubanga in Den Haag in Haft sitzt?

Gerd Hankel: Sie zucken mit den Schultern. Ich war zufällig in der ostkongolesischen Stadt Goma, als die Richter des Internationalen Strafgerichtshofs im Januar 2007 die Anklage gegen Lubanga zuließen. Viele Leute haben das damals im Fernsehen verfolgt. Nach der Live-Übertragung der Gerichtsentscheidung schaltete das kongolesische Pendant zu Anne Will einen Rechtsexperten in ihre Sendung zu, der erläuterte, dass Lubanga in Den Haag "nur" wegen der Rekrutierung und des Einsatzes von Kindersoldaten angeklagt sei. Da haben die Zuschauer gelacht! Das konnte niemand fassen. Auch der Rechtsexperte nicht.

Süddeutsche.de: Wieso?

Hankel: Der Experte hat es so ausgedrückt: Das macht hier doch jeder.

Süddeutsche.de: Das heißt, Lubangas Miliz ist nicht die einzige, die Kindersoldaten einsetzt?

Hankel: Richtig. Und von den vielen Verbrechen Lubangas wiegt die Zwangsrekrutierung von Kindern noch am wenigsten schwer. Natürlich ist das furchtbar. Aber ein 13 oder 14 Jahre alter kongolesischer Junge ist mit einem gleichaltrigen deutschen nicht zu vergleichen. Der kongolesische Junge hat schon fünf Jahre lang gearbeitet. Wenn er nun mitkämpfen soll, dann sehen die Erwachsenen das nicht automatisch als ein Verbrechen an.

Süddeutsche.de: Zeigt nicht gerade das, wie dringend nötig das juristische Signal aus Den Haag war? Um ein Unrechtsbewusstsein zu schaffen?

Hankel: Sicher. Mein Punkt ist aber: Es gibt noch weitaus grausamere Verbrechen, deren Verfolgung die Menschen in Ostkongo sich dringlicher wünschen. Sie leben zum Teil seit Jahren im Dreck, in einem von extremer Gewalt geprägten Umfeld, wo Männer mit Kalaschnikows die Herren über Leben und Tod sind. Der Staat ist schlicht abwesend. Und am meisten Furcht herrscht vor Massenvergewaltigungen, die in der ostkongolesischen Kivu-Region alltäglich sind - jene Massenvergewaltigungen spielten in dem Haager Prozess jetzt aber gar keine Rolle.

Süddeutsche.de: Im Lubanga-Prozess wurde erstmals überhaupt die Rekrutierung von Kindersoldaten zum Thema gemacht. Der Chefankläger Luis Moreno Ocampo sagt, dies zeige bereits eine abschreckende Wirkung auf Milizen.

Hankel: Das ist möglich. Ich kann das weder bestätigen noch zurückweisen, weil das Verbrechen der Rekrutierung und des Einsatzes von Kindersoldaten in der öffentlichen Wahrnehmung im Kongo sehr klar im Hintergrund steht. Ich selbst habe Kindersoldaten schon lange nicht mehr gesehen. Das letzte Mal war 2007 in der kongolesischen Uvira-Region. Im Kongo verbreiten Kindersoldaten nicht den Schrecken wie zum Beispiel in Uganda, Liberia oder Sierra Leone.

Süddeutsche.de: Lubangas Kindersoldaten waren gefürchtet.

Hankel: Lubanga ist aus Sicht der meisten Leute im Kongo nur ein ganz kleiner Fisch. Statt seiner möchte man die großen Drahtzieher vor Gericht sehen, die dafür verantwortlich sind, dass Dörfer überfallen werden, dass Leute geköpft werden, dass Leute vergewaltigt werden. So wie Callixte Mbarushimana ...

Süddeutsche.de: ... der Ruander, der im Dezember von den Haager Richtern freigelassen wurde - aus Mangel an Beweisen.

Hankel: Weil der Chefankläger sehr unerfahrene, unprofessionelle Ermittler nach Kongo geschickt hatte, die sich teils überhaupt nicht auskannten mit den lokalen Begebenheiten. Eine peinliche Geschichte. Auch das haben viele Kongolesen im Fernsehen gesehen. Und ich fürchte, das wird vielen noch stärker in Erinnerung bleiben als eine Verurteilung von Lubanga.

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