Süddeutsche Zeitung

Urteil:EuGH zwingt Deutschland zur Reform der Abschiebehaft

In vielen Bundesländern werden Asylbewerber, denen die Abschiebung droht, in gewöhnlichen Haftanstalten einquartiert - gemeinsam mit verurteilten Straftätern. Der Europäische Gerichtshof hat nun entschieden: Diese Praxis muss reformiert werden.

  • Deutschland muss seine Abschiebehaft reformieren. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden.
  • Die Unterbringung von Asylbewerbern in gewöhnlichen Gefängnissen sei nicht mit den EU-Richtlinien vereinbar, urteilten die Richter.

Reform der Abschiebehaft nötig

Dürfen Abschiebehäftlinge in gewöhnlichen Gefängnissen untergebracht werden? In vielen deutschen Bundesländern ist das bisher gängige Praxis. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hat nun entschieden: Mit den EU-Richtlinien ist das nicht vereinbar (PDF). Anlass waren Klagen von Abschiebehäftlingen in Hessen und Bayern, die gemeinsam mit gewöhnlichen Strafgefangenen untergebracht und auch wie diese behandelt worden waren. (Az: C-473/13 u.a.)

Einwilligung entschuldigt nicht

Die Bundesländer dürfen sich dem Urteil der Richter nach nicht darauf berufen, dass ihnen spezielle Einrichtungen fehlen und sie deshalb auf die regulären Haftanstalten ausweichen müssen. Bundesländer, die die Unterbringung in gesonderten Einrichtungen nicht gewährleisten können, müssen die Betroffenen in anderen Ländern mit entsprechenden Möglichkeiten unterbringen, entschied der EuGH.

Selbst wenn der Abschiebehäftling einwilligt, in einer Justizvollzugsanstalt einquartiert zu werden, ist das dem EuGH zufolge nicht akzeptabel - die abgelehnten Asylbewerber müssen in jedem Fall und "grundsätzlich" in gesonderten Einrichtungen untergebracht werden.

Verstoß gegen die Menschenwürde

Der Gerichtshof folgte in seiner Entscheidung einem Antrag seines Generalanwalts Yves Bot, der die Unterbringung der Betroffenen in gewöhnlichen Gefängnissen als Verstoß gegen die "Menschenwürde von Migranten" kritisiert hatte. Ihr Freiheitsentzug sei keine Strafe, deshalb müssten ihnen spezielle Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden. Dabei seien auch die "besonderen Bedürfnisse" ihrer Familien und Kinder zu berücksichtigen.

Dem Generalanwalt zufolge verfügten zum Zeitpunkt der Klagen von 2011 und 2012 zehn der 16 Bundesländer über keine gesonderten Einrichtungen: Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen.

In einer Justizvollzugsanstalt unterliegen die abgelehnten Asylbewerber den gleichen Auflagen wie verurteilte Verbrecher. Obwohl es ihr Status nicht vorsieht, dürfen sie zum Beispiel kein Handy benutzen, nur für kurze Zeit Besucher empfangen und sind für längere Zeit isoliert.

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