Europäische Union:Böse Giorgia, gute Meloni

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EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (li.), hier beim G-7-Gipfel in Apulien, pflegt ein ambivalentes Verhältnis zu Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. (Foto: Guglielmo Mangiapane/Reuters)

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wirbt im Europaparlament um Stimmen für ihre Wiederwahl. Der Umgang mit Italiens Regierungschefin und deren Partei ist dabei besonders heikel.

Von Josef Kelnberger, Straßburg

Noch kann Ursula von der Leyen sich nicht sicher fühlen. Auf 85 Prozent schätzen EU-Insider die Wahrscheinlichkeit, dass sie an diesem Donnerstag im Europaparlament als Präsidentin der Europäischen Kommission wiedergewählt wird. Um die 15 Prozent Restunsicherheit zu bekämpfen, wird sie bis zur letzten Minute vor der Wahl um Stimmen werben.

Am Dienstagmorgen hatte die Kommissionspräsidentin auf ihrer Mission Wiederwahl einen heiklen Auftritt zu bewältigen. Sie stattete im Straßburger Parlamentsgebäude den Europäischen Konservativen und Reformern, kurz EKR, einen Besuch ab, um ihr neues Regierungsprogramm vorzustellen. Es handelt sich dabei um die viertgrößte Fraktion im Europaparlament, mit den Fratelli d’Italia als stärkster Kraft. Lediglich ein Höflichkeitsbesuch, der demokratischen Gepflogenheiten entspricht, so hieß es. Aber es steckt doch mehr dahinter.

Wird ein Minister Melonis neuer italienischer EU-Kommissar?

Ursula von der Leyen kann der EKR-Fraktion keine strategische Zusammenarbeit anbieten, wie sie das gegenüber den Grünen getan hat. Das liegt schon daran, dass die Europäische Volkspartei (EVP), von der Leyens politische Familie, strategische Bündnisse mit Parteien mit einem ungeklärten Verhältnis zur Rechtsstaatlichkeit wie der polnischen PiS ausschließt. Auch die PiS findet sich unter dem Dach der EKR wieder. Abgesehen davon würde von der Leyen damit Sozialdemokraten, Liberale und auch Grüne brüskieren. Der Besuch sollte deshalb wohl vor allem ein Signal nach Rom sein, eine Geste Richtung Giorgia Meloni.

Um die Unterstützung der 24 Fratelli im Europaparlament zu sichern, wird Giorgia Meloni sozusagen auf zwei Arten interpretiert. Da ist zum einen die böse Giorgia, Chefin der postfaschistischen Fratelli, die nicht satisfaktionsfähig sind. Und da ist zum anderen die gute Meloni, Regierungschefin eines der wichtigsten EU-Länder. Und dieser Meloni kann die Kommissionschefin einen Deal anbieten – einen herausgehobenen Posten in ihrer neuen Kommission für einen ihrer Gefolgsleute.

Als Favorit für den Job als neuer italienischer Kommissar ist Raffaele Fitto im Gespräch, Melonis derzeitiger Minister für europäische Angelegenheiten. Fitto, so heißt es in Brüssel, habe mit von der Leyen und ihrem Stab in den vergangenen zwei Jahren vertrauensvoll zusammengearbeitet. Er soll ein bedeutendes Ressort – im Gespräch sind Wettbewerb, Binnenmarkt, Wirtschaft, Haushalt – bekommen, eventuell auch zum Vizepräsidenten der Kommission ernannt werden. Das wiederum könnte die Fratelli ermuntern, am Donnerstag für Ursula von der Leyen zu stimmen.

Nicht alle bekennen sich zur „Ursula-Mehrheit“

Es sei eine „intensive Stunde“ gewesen, sagte Ursula von der Leyen nach dem Besuch in der EKR-Fraktion am Dienstag. Hart angegangen wurde sie Medienberichten zufolge von den PiS-Leuten. Die Polen sagten demnach, sie fühlten sich verraten von der Deutschen, der sie vor fünf Jahren zu einer Mehrheit verholfen hatten. Auch die rumänischen und französischen Abgeordneten der EKR wollen gegen von der Leyen stimmen.

Zur „Ursula-Mehrheit“, wie man in Straßburg sagt, bekannten sich dagegen die flämischen Nationalisten der Partei Neu-Flämische Allianz (N-VA) und die Parteifreunde des tschechischen Regierungschefs Petr Fiala aus der Demokratischen Bürgerpartei (ODS), die gemäßigten Kräfte der EKR. Die italienischen Fratelli forderten von der Leyen offenbar auf, beim Grünen Deal das Tempo zu bremsen. Lob gab es für ihre Migrationspolitik, vor allem für die Abkommen mit nordafrikanischen Staaten wie Tunesien, denen weitere folgen sollen. Wie sie am Donnerstag abstimmen wollen, ließen die Fratelli zunächst offen.

Giorgia Meloni hat in den vergangenen Tagen zu erkennen gegeben, dass sie grundsätzlich zur Kommissionspräsidentin steht. Sie nehme auf diese Wahl nicht als EKR-Parteichefin Einfluss, sondern im Namen Italiens, sagte sie. Von der Leyen habe ihre Regierung immer fair behandelt, außerdem benötige die EU in diesen turbulenten Zeiten Stabilität. Damit steht sie im Widerspruch zu den anderen rechten Fraktionen im Europaparlament, also zu den Gefolgsleuten von Viktor Orbán, Marine Le Pen und natürlich zur AfD.

Giorgia Meloni hatte sich der Stimme enthalten, als Ursula von der Leyen von den Staats- und Regierungschefs für eine Wiederwahl nominiert wurde. Sie fühlte sich damals von der EVP, den Sozialdemokraten und den Liberalen ausgeschlossen, die die Spitzenjobs der EU unter sich ausmachten. Im Europaparlament verfügen diese drei Parteifamilien über 401 der 720 Sitze. Wegen der üblichen Abweichlerquote von zehn bis 15 Prozent dürfte das nicht reichen, um auf die nötige absolute Mehrheit von 361 Stimmen zu kommen. 24 Fratelli-Stimmen würden Ursula von der Leyen helfen – 53 grüne Stimmen aber auch. In diesem Spannungsfeld bewegt sich von der Leyen bei ihrem Werben um Unterstützung. 

Mit einer Annäherung an Meloni käme Ursula von der Leyen Wünschen ihrer eigenen Partei entgegen. Viele in der EVP fühlen sich den gemäßigten Kräften in der EKR näher als den Grünen, vor allem in Fragen der Migrationspolitik. Von der Leyen hat andererseits den Grünen signalisiert, dass sie gemeinsam mit ihnen den Grünen Deal fortschreiben will.

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