Süddeutsche Zeitung

Ursula von der Leyen und ihr Renten-Kampf:Kronprinzessin fordert Kanzlerin

Sozialministerin von der Leyen ist ehrgeizig genug, um sich als künftige Kanzlerin zu sehen. Die Gemeinsamkeit mit der SPD in der Rentenpolitik ist für sie eine willkommene Gelegenheit, mit einem möglichen Koalitionspartner auf Tuchfühlung zu gehen. Die Sozialdemokraten wollen sich zwar von Merkel nicht wieder kleinregieren lassen - aber vielleicht ja von der umtriebigen Niedersächsin.

Thorsten Denkler, Berlin

Ihre Worte hat sie genau gewählt. Da ist ihr nichts ausgerutscht oder etwas versehentlich durchgegangen. Dahinter steckt Kalkül.

Gerade sind die Details des Rentenpapiers von SPD-Chef Sigmar Gabriel bekannt geworden. Kurz darauf gibt Ursula von der Leyen der Welt am Sonntag ein Interview und sagt: "Es ist gut, dass die SPD die Gerechtigkeitslücke mit ähnlichen Mitteln angehen will." Mit der Gerechtigkeitslücke meint sie die aus ihrer Sicht drohende Altersarmut von Millionen künftiger Rentner. Mit den ähnlichen Mitteln meint sie ihr höchst umstrittenes Modell der Zuschussrente.

So ein Satz aus dem Mund einer stellvertretenden CDU-Parteivorsitzenden und mächtigen Bundessozialministerin ist ein Jahr vor der Bundestagswahl schon erstaunlich genug. Noch erstaunlicher aber wirkt er vor dem Hintergrund der parteiinternen Debatten um die Zuschussrente. Von der Leyen ist in der Union derzeit nahezu isoliert. Die CSU hat sogar ein eigenes, ein Gegenkonzept zum Vorschlag der Ministerin vorgestellt.

Selbst Kanzlerin und Parteichefin Angela Merkel hat Zweifel am Zahlenwerk der auf Krawall gebürsteten Ministerin. Sie wird in verschiedenen Medien bisher undementiert mit den Worten zitiert: "Bis zum Wochenende habe ich noch gedacht, das ist eine gute Sache. Aber je besser ich die Zahlen kenne, desto stärker wachsen meine Zweifel."

"Meine Zahlen stimmen!"

Von der Leyen hält voll dagegen. In der Kabinettssitzung vergangenen Montag soll sie nach einem Bericht des Spiegel ihrer Chefin ein wenig freundliches "Meine Zahlen stimmen!" entgegengeworfen haben. Ein Affront, den sich Merkel von niemandem sonst so bieten lassen würde.

Bisher hat von der Leyen ihre politischen Projekte durchbringen können, weil sie die Kanzlerin hinter sich wusste. Als Familienministerin paukte sie so das umstrittene Elterngeld durch - gegen so erbitterte Gegner wie Unions-Fraktionschef Volker Kauder.

Spätestens aber seit Merkel Christian Wulff den Vorzug gab, als es darum ging, 2010 einen Nachfolger für den zurückgetretenen Bundespräsidenten Horst Köhler zu finden, macht von der Leyen Politik auf eigene Rechnung. Ihre Themen finden regelmäßig großen Applaus in der Bevölkerung, ob es nun um die Quote für Frauen in Führungspositionen geht oder jetzt um die Zuschussrente.

Sie hat gelernt, keine Themen mehr zu ihren zu machen, die ihr keine Sympathiepunkte bringen können. Zwei Mal hat sie sich ordentlich die Finger verbrannt. In der Debatte um das Sperren von Seiten mit kinderpornografischem Inhalt war sie schnell als "Zensursula" verschrien. Das noch von der großen Koalition verabschiedete Sperr-Gesetz kam nie zur Anwendung. Die schwarz-gelbe Regierung hat es umgehend wieder abgeschafft.

Einige Jahre zuvor hatte sie sich schon einmal verkalkuliert: Als niedersächsische Sozialministerin schaffte von der Leyen das Blindengeld ab. Es brach umgehend eine riesige Empörungswelle über sie herein. Sie blieb zwar standhaft, doch kaum hatte sie sich 2005 von Niedersachsen ins Merkel-Kabinett verabschiedet, korrigierte die schwarz-gelbe Regierung in Hannover den Fehler. Inzwischen wird das Blindengeld wieder ausgezahlt. Von der Leyen nennt das heute eine "bittere Erfahrung".

Bei der Zuschussrente geht es allerdings um weit mehr als damals in Hannover, es handelt sich nicht um nur ein weiteres Projekt aus dem Hause von der Leyen. Die ehrgeizige CDU-Ministerin emanzipiert sich damit von der Kanzlerin, baut sich als Machtpol neben Merkel auf, die bisher die unangefochtene Nummer eins in der CDU ist. Mutter Ursula, so scheint es, fordert Mutti Merkel zum Duell. Das kann sie sich erlauben. Die Sozialministerin ist eine der wenigen Politstars der CDU.

Beliebter als sie sind laut aktuellem Politbarometer des ZDF in der ganzen Union nur Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble. Beim Koalitionspartner sorgen Alleingang und SPD-Schmusekurs der Ministerin für Empörung. Von der Leyen wolle mit ihrem Lob für Gabriels Rentenkonzept einer großen Koalition den Weg bereiten, wetterten Generalsekretär Patrick Döring und NRW-Landeschef Christian Lindner.

Das ist gar nicht so abwegig, wie es klingt. Sämtliche Umfragen lassen eine große Koalition für 2013 wahrscheinlich erscheinen. Kaum einer rechnet damit, dass SPD und Grüne zusammen stark genug werden können, um eine Regierung zu bilden. Zumal dann nicht, wenn die Linke im Parlament bleibt und die Piraten dazukommen. Für eine Neuauflage der bürgerlichen Koalition wird es aber wohl genauso wenig reichen. In der SPD aber gibt es eine große Abneigung gegen die Vorstellung, sich unter Merkel noch einmal marginalisieren zu lassen.

Von der Leyen wird ohnehin als Nachfolgerin gehandelt

Das niederschmetternde Ergebnis von 23 Prozent 2009 lasten die Sozialdemokraten vor allem der Kunst Merkels an, ihre Koalitionspartner klein zu regieren. Eine ähnliche, noch bitterere Erfahrung macht gerade die FDP. Der mögliche SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat deshalb vorsorglich eine große Koalition unter Merkels Führung ausgeschlossen.

Sollten die Sozialdemokraten in der Wählergunst gut genug abschneiden und sich Steinbrücks Meinung anschließen, müsste womöglich jemand anderes als Merkel an der Spitze stehen. Das könnte die Stunde von Ursula von der Leyen sein. Sie wird ohnehin schon als potentielle Merkel-Nachfolgerin gehandelt.

Ihr Lob an Gabriel muss nicht, kann aber als erster Annäherungsversuch an die SPD verstanden werden, doch einmal gemeinsam über eine Zeit nach Merkel nachzudenken. Schnittmengen gibt es Dank von der Leyen inzwischen genug: Sie steht für eine Frauen-Quote, für einen Mindestlohn und jetzt auch für ein Rentenkonzept, das dem der SPD doch ziemlich nahe kommt.

Jetzt muss die Arbeitsministerin nur noch ihre eigenen Leute überzeugen. Das dürfte allerdings der deutlich schwierigere Teil der Aufgabe werden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1463845
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de/joku/gba
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.