Ursula von der Leyen:"Ich fühlte mich verletzt und alleingelassen"

Ursula von der Leyen: "Ich kann daraus nur schließen, dass ich so behandelt wurde, weil ich eine Frau bin", sagt Kommissionschefin von der Leyen zum "Sofagate"-Vorfall.

"Ich kann daraus nur schließen, dass ich so behandelt wurde, weil ich eine Frau bin", sagt Kommissionschefin von der Leyen zum "Sofagate"-Vorfall.

(Foto: KENZO TRIBOUILLARD/AFP)

Im Europaparlament vergleicht die Kommissionschefin den "Sofagate"-Vorfall in der Türkei mit Erfahrungen, die viele Frauen täglich machen. Ratspräsident Michel muss sich scharfe Kritik anhören: "Manspreading auf höchster Ebene".

Von Matthias Kolb, Brüssel

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat als Reaktion auf den Sofagate-Vorfall in der Türkei ein klares Plädoyer für mehr Gleichberechtigung in Europa gehalten. Im Europaparlament beschrieb sie am Montagabend, was ihr durch den Kopf ging, als sie im Präsidentenpalast in Ankara auf ein Sofa platziert wurde, während sich EU-Ratspräsident Charles Michel auf einen Sessel neben Recep Tayyip Erdoğan setzte: "Ich fühlte mich verletzt und alleingelassen. Als Frau und als Europäerin."

Sie sei überzeugt, dass viele Frauen im Plenarsaal des Europäischen Parlaments dieses Gefühl der Diskriminierung genau kennen würden, sagte von der Leyen. Es gehe hier nicht um Protokollfragen, sondern um jene Werte, für welche die EU stehe. Sie hatte erwartet, dass sie als erste Frau an der Spitze der EU-Kommission genauso behandelt werde wie die Männer vor ihr. Früher habe es nie an Möbeln gefehlt, auch in den EU-Verträgen gebe es keine Rechtfertigung, sagte von der Leyen: "Ich kann daraus nur schließen, dass ich so behandelt wurde, weil ich eine Frau bin."

Sie wisse, dass sie privilegiert sei, weil sie einer geachteten Institution vorstehe und sich wehren könne. Zudem habe es in Ankara Kameras gegeben, weshalb das Video weltweit für Schlagzeilen gesorgt habe: "Hier gab es keinen Grund für Untertitel oder Übersetzungen. Die Bilder sprachen für sich." Allerdings würden sich parallel Tausende solcher Vorfälle ereignen, von denen niemand Notiz nehme und die meist sehr viel ernster seien, sagte von der Leyen: "Wir müssen sicherstellen, dass diese Geschichten auch erzählt werden."

Ein Instrument dafür sei die Istanbul-Konvention, die Frauen vor Gewalt schützen soll. Scharf kritisierte die Kommissionspräsidentin die Türkei dafür, diesen Vertrag verlassen zu wollen. Dies sei ein schreckliches Signal von einem Gründungsmitglied des Europarats. Allerdings könnte die EU Werte nur glaubwürdig verteidigen, wenn man auch zu Hause handele. Es sei inakzeptabel, dass mehrere EU-Mitglieder die Konvention noch nicht ratifiziert hätten, rief von der Leyen: "Gewalt gegen Frauen und Kinder ist ein Verbrechen und muss als solches behandelt werden." Die CDU-Politikerin nannte keine Länder, aber die Ratifizierung steht etwa noch in Ungarn, Lettland, Litauen und der Slowakei aus, während Polens Regierung überlegt, diesen Schritt rückgängig zu machen.

Ratspräsident Michel entschuldigt sich erneut

Von der Leyen beklagte die Diskriminierung von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transpersonen in der EU ebenso wie die Behandlung von Sinti und Roma. Sie lobte sich selbst dafür, die erste EU-Kommission anzuführen, in der ebenso viele Frauen wie Männer vertreten seien und nahm US-Vizepräsidentin Kamala Harris als Kronzeugin für die These, dass Frauen "Demokratien stärker machen" würden. Von der Leyen, die wegen der Beschaffung der Corona-Impfstoffe gerade in Deutschland enorm kritisiert wurde, nannte als Beispiel, dass Frauen einer Gesellschaft helfen könnten, "maximal erfolgreich" zu sein, die türkischstämmige Biontech-Mitgründerin Özlem Türeci.

Vor von der Leyen hatte EU-Ratspräsident Michel daran erinnert, dass er sein Bedauern über den "Protokollvorfall" mehrfach geäußert hatte. Er entschuldigte sich erneut bei allen, die dadurch verletzt worden seien. So etwas werde nicht mehr vorkommen. Auf die Kritik, dass er am 6. April anders hätte reagieren sollen, sagte der Belgier, er habe die Arbeit der vergangenen Monate nicht gefährden wollen, um die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU zu verbessern. Michel versicherte, dass die EU-Spitzen die schlechte Menschenrechtslage und die Gängelung von Opposition und Medien bei Erdoğan angesprochen hätten. Von der Leyen hatte zuvor den Respekt für Frauenrechte als wichtige Voraussetzung für die Wiederaufnahme des Dialogs und die Ausweitung gemeinsamer Programme genannt. Zudem dürfe Ankara im östlichen Mittelmeer nicht mehr provozieren und müsse die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte achten.

In der Debatte konstatierte EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) zunächst, dass die EU in Ankara "keine Botschaft der Schwäche" ausgesandt habe. Es folgte viel Dank für von der Leyens klare Worte und viel Kritik an Michel. Sie sei "enttäuscht" über ihn, sagte die Grünen-Fraktionschefin Ska Keller: Von Erdoğan erwarte sie nicht viel, aber Michel sei seiner Vorbildfunktion nicht gerecht geworden. Die Liberale Sophie in 't Veld klagte, dass es auch in der EU "Manspreading auf höchster Ebene" gebe, während die österreichische Sozialdemokratin Evelyn Regner über die tägliche Diskriminierung von Frauen sprach: "Wir werden kleingemacht und weggeschoben."

Viele Abgeordnete hielten Michel vor, seiner Aufgabe nicht gewachsen zu sein. Während der EU-Ratspräsident von einer "ehrlichen und robusten Debatte" sprach und ankündigte, sich künftig doppelt so stark für Gleichberechtigung einzusetzen, dankte von der Leyen für die Unterstützung und Ermutigung durch viele Rednerinnen und Redner. Sie werde sich "unermüdlich" dafür einsetzen, dass Europa mit einer Stimme spreche, sagte sie in Richtung des heftig nickenden Michel: "Und diese Aufgabe werden wir gemeinsam bewältigen."

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