Ursula von der Leyen:Das schwarz-grüne Spiel der Macht

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Verlässliche Grüne, verantwortungslose Liberale: Dieses Signal gefällt der grünen Doppelspitze aus der Deutschen Terry Reintke (Bild) und dem Niederländer Bas Eickhout. (Foto: Johanna Geron/Reuters)

Die europäischen Grünen gewähren der EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen einen großen Vertrauensvorschuss. Ob sich das für sie lohnt?

Von Josef Kelnberger, Straßburg

Ursula von der Leyen ist eine Großmeisterin der Macht, das darf als gesichert gelten nach ihrer neuerlichen Wahl zur Präsidentin der EU-Kommission am Donnerstag dieser Woche. In einem Parlament, das nach dem Rechtsruck bei den Europawahlen im Juni in Aufruhr ist, hat sie sich durch ein fein austariertes Programm und eine ebenso fein austarierte Rede eine solide Mehrheit gesichert. Und zu den Mitgewinnern machte sie in ihrem Machtspiel ausgerechnet die größten Verlierer der Europawahlen, die Grünen.

Damit müssen CDU und CSU vor den Landtagswahlen im Herbst und ein Jahr vor der Bundestagswahl nun erst einmal leben: Aus der EU kommt ein schwarz-grünes Signal nach Deutschland.

Sie sei den Grünen „sehr dankbar“ für die Unterstützung, sagte die CDU-Politikerin von der Leyen nach der Wahl. Das musste sie rein rechnerisch auch sein: Sie wurde von 401 Abgeordneten gewählt, bei 360 lag die benötigte absolute Mehrheit. 45 von 53 Grünen stimmten nach deren eigener Zählung für von der Leyen – hätten diese gegen die Kandidatin gestimmt, wäre sie durchgefallen. Und noch einen Schritt weiter gerechnet: Schuld an der Niederlage Ursula von der Leyens wären dann die von Marie-Agnes Strack-Zimmermann angeführten fünf FDP-Abgeordneten gewesen, die mit Nein stimmten.

Der Umwelt- und Klimapolitik drohte die parlamentarische Bedeutungslosigkeit

Verlässliche Grüne, verantwortungslose Liberale, auch das ein Signal, das die Grünen-Doppelspitze mit der Deutschen Terry Reintke und dem Niederländer Bas Eickhout gern hörte.

Die Grünen seien angesichts der Wahl von der Leyens sehr viel „enthusiastischer“ gewesen als die Sozialdemokraten, war in SPD-Kreisen in Straßburg zu hören, und das hat gute Gründe. Nach ihrer Wahlniederlage drohte den Grünen und ihrem Kernanliegen, der Umwelt- und Klimapolitik, die parlamentarische Bedeutungslosigkeit. Deshalb drängten sie sich, die Fahne der Moral hochhaltend, in die „Ursula-Mehrheit“ hinein, deren Basis die Europäische Volkspartei (EVP), die Sozialdemokraten und die Liberalen gewesen waren.

Es gelte, die europäische Demokratie zu retten, lautete die Botschaft der Grünen, zum Feindbild erkoren sie den EVP-Chef Manfred Weber. Der strebt angeblich Mehrheiten mit der extremen Rechten an, vor allem mit den postfaschistischen Fratelli der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni.

Die Grünen gelten bei der EVP als moralisch überheblich und unzuverlässig

Tatsächlich hat der CSU-Mann Weber Mühe, die EVP-Fraktion für eine Zusammenarbeit mit den Grünen zu begeistern. Viele seiner Abgeordneten würden lieber Politik mit Mitte-rechts-Mehrheiten machen. Die Grünen gelten ihnen als moralisch überheblich und politisch unzuverlässig. Tiefe Spuren hat die grüne Weigerung verursacht, kurz vor den Europawahlen dem acht Jahre lang verhandelten Migrationspakt zuzustimmen – obwohl die grüne Außenministerin Annalena Baerbock aus Berlin dazu aufgerufen hatte. Weber musste bei Giorgia Meloni vorstellig werden, um die nötigen Stimmen im Parlament zusammenzukratzen.

Deshalb agierten die Grünen in dieser Parlamentswoche auf Bewährung. Sie taten es mit geradezu preußischer Disziplin, wobei ihnen zugutekam, dass ihre französische Delegation, aus Prinzip auf Opposition gebürstet, nur noch aus fünf Leuten besteht. So leisteten sie ihren Beitrag zu dem grandiosen Ergebnis, mit dem Parlamentspräsidentin Roberta Metsola von der EVP wiedergewählt wurde. Im Gegenzug erhielte die grüne Kandidatin für das Vize-Amt breite Unterstützung. Das wiederum half, grüne Bedenken gegen die Wahl von der Leyens zu zerstreuen.

Ursula von der Leyen hielt dann am Donnerstag eine Bewerbungsrede, die sich dermaßen gegen rechte Populisten und Extremisten richtete, dass Grünen und Sozialdemokraten jubelten. Die Fratelli konnten wohl gar nicht mehr für sie stimmen, selbst wenn sie das gewollt hätten.

Die Wirtschaft in Schwung zu bringen, hat für von der Leyen erst mal Vorrang

Was das schwarz-grüne Signal nun konkret bedeutet? Erst einmal enthält es nur das Versprechen, dass die europäischen Klimaziele weiterhin Bestand haben: Emissionsminderung um 55 Prozent bis 2030, um minus 90 Prozent bis 2040 und Klimaneutralität bis 2050. Der ökologische Wandel soll der europäischen Wettbewerbsfähigkeit dienen. Ansonsten enthielt die Rede nicht viel Ökologie, im Gegenteil.

Absoluten Vorrang hat für die neue Kommissionspräsidentin das Ziel, die europäische Wirtschaft in Schwung zu bringen. Der Landwirtschaft wird Ursula von der Leyen keine schmerzhaften Umweltgesetze zumuten. Und irgendwann wird sie unter dem Druck der 13 Staats- und Regierungschefs, die der EVP angehören, neue Migrationsgesetze auf den Weg bringen müssen, die den Grünen nicht gefallen werden.

Der grüne Fraktionsvorsitzende Eickhout räumte ein, dass seine Partei der Kommissionsvorsitzenden einen großen Vertrauensvorschuss gewährt hat. Er setzt darauf, dass sich mit der Rechten im Europaparlament dauerhaft keine verlässliche Politik machen lässt. Dazu brauche man die Grünen. Ursula von der Leyen, die flexible Machtpolitikerin, wird den Grünen zumindest bis in den Herbst hinein die Treue halten. Sie braucht deren Stimmen, um für ihre neuen Kommissarinnen und Kommissare die nötige Mehrheit zu bekommen.

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