Urlaubsfreunde sprechen über Zwickauer Terrorzelle:Die netten Camper von Fehmarn

Kaltblütige Mörder als sympathische Urlauber? Beim Campen an der Ostsee schlossen die Zwickauer Terroristen Ferienbekanntschaften. Niemand ahnte etwas von ihrem Doppelleben. Beate Zschäpe, die noch immer in Untersuchungshaft sitzt, wird als "besonders höflich" beschrieben.

Hans Leyendecker

In der Welt der Ermittler, der Profiler und auch der Psychologen gibt es eine Spezies Serienmörder, die abgekürzt "NBK" genannt wird - nach Oliver Stones Film "Natural Born Killers". Auch einige Fahnder der Ermittlungseinheit "Trio" verwenden den Code "NBK" im Zusammenhang mit den zehn Morden der Zwickauer Terrorzelle.

Aber da ist nicht nur das Phänomen der kaltblütigen Mörder, sondern auch das Phänomen des Nettseins, zu dem das Trio offenbar ebenso fähig war. Mindestens seit 2007 haben Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos Campingurlaub mit Wohnmobil, Fahrrädern und Surfbrett auf Fehmarn gemacht. Meist kamen sie Ende Juli und blieben bis Mitte August. Sie schlossen in der Zeit Urlaubsbekanntschaften. Mit manchen Feriengästen verabredeten sie sich für das nächste Jahr:

Ganz offene, sehr sympathische" Leute seien die drei aus dem Osten gewesen, berichtete ein Zeuge bei der Polizei. "Besonders höflich" sei Zschäpe gewesen, die sich "Liese" nannte, meinte ein anderer. Die habe sich "liebevoll" um die Kinder der Urlauber gekümmert. "Freundschaftliche Verhältnisse" hätten sich entwickelt. Über Politik sei nicht gesprochen worden. Ob es mal einen ungewöhnlichen Vorgang gegeben habe, wollten die Beamten wissen. Da sei mal "ein Tauchunfall" gewesen, aber nichts Schlimmes, sagte ein Zeuge.

Ein netter Urlaubsfilm mit Paulchen-Panther-Melodie?

Nach dem Urlaub im Camping- und Ferienpark Wulfener Hals auf der Insel habe man "ab und zu telefoniert", und Zschäpe habe auch mal ein Paket geschickt. Zum 18. Geburtstag einer Fehmarn-Urlauberin sind die drei zur Feier in ein Städtchen in Niedersachsen eingeladen worden. Sie kamen zu dritt und übernachteten bei den Eltern des Mädchens. Vielleicht haben sie Blumen mitgebracht oder einen netten Urlaubsfilm, der gewöhnlich mit der Paulchen-Panther-Melodie unterlegt war?

Wie passt das alles zu der Geschichte vom Untergrund, zu der Geschichte der Killer, die mit oft großem zeitlichen Abstand zwischen den Taten Leute umbrachten, die sie nicht kannten? Sie schufen sich ihren Feind und richteten Migranten hin, weil die Migranten waren.

Dem Menschen ist alles möglich, in Richtung auf das Gute und auf das Böse. Und dennoch ist es immer wieder eine Überraschung, was dem Menschen an Schrecklichem möglich ist. Seit anderthalb Monaten versucht die Ermittlungseinheit "Trio" die Konturen dieses Falles zu erkennen, und es gibt immer neue Wendungen, neue Verzweigungen. Kein roter Faden führt durch das Labyrinth.

Fest steht: Ende Januar 1998 tauchte das Trio unter. Im Oktober 1999 war der erste Banküberfall, ein Jahr später der erste Mord. Mundlos erschoss Böhnhardt nach dem letzten der 14 Banküberfälle im November 2011 und brachte sich dann selbst um. Fünf Personen sind mittlerweile inhaftiert. Unter ihnen die Untergrundfrau Zschäpe.

Der Fall ist unübersichtlich

Der Fall ist noch ziemlich unübersichtlich und auch kompliziert. Die 450 Beamten gehen vielen Fragen nach: Gab es ein Unterstützer-Netzwerk im Westen, das beim Ausspionieren der Tatorte half? Gab es Kontakte zu Nazis im Ausland? Wer beschaffte all die Waffen - 19 Schießgeräte und eine Handgranate gehörten zum Waffenarsenal der Bande.

Wer hat bei der Produktion der zynischen Bekenner-DVD geholfen, die nach dem Tod der Terroristen Mundlos und Böhnhardt im November dieses Jahres verschickt wurde? Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass einer der Bekannten des Trios, der inzwischen inhaftierte André E., bei der Produktion des Films eine wesentliche Rolle gespielt hat. Mittlerweile liegen auch erste Gutachten zu dem handschriftlich gefertigten Drehbuch des Films vor, das in den Schuttbergen des Zwickauer Hauses gefunden wurde.

Die Experten gehen davon aus, dass zwei Personen das Drehbuch geschrieben haben. Eine der beiden Personen könnte Mundlos gewesen sein. Aber es fehlt an ausreichendem Vergleichsmaterial. Auch wurde das Drehbuch durch Feuer-und Wasserschäden stark in Mitleidenschaft gezogen. Die in Köln einsitzende Beate Zschäpe, die fast dreizehn Jahre lang mit den beiden Killern, die Urlaube ausgenommen, im Untergrund lebte, war, nach derzeitigem Stand zumindest, an den Liquidierungen nicht beteiligt.

Zschäpe schweigt weiter

Die 36-Jährige, die vermutlich viele Geheimnisse der Zelle kennt, schweigt weiter. Sie sitzt in Untersuchungshaft, weil sie dringend verdächtig ist, mit den beiden Männern die Terrorvereinigung Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) gegründet zu haben. Vorgeworfen wird ihr auch, das Haus in Zwickau angezündet zu haben, um die Spuren zu beseitigen.

Nach Ansicht ihrer Anwälte Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl geht aus den ihnen vorliegenden Unterlagen kein dringender Tatverdacht in Sachen terroristische Vereinigung hervor. "Auf Basis dieser Akten ist der Vorwurf der Bildung einer terroristischen Vereinigung gegen Frau Zschäpe nicht nachvollziehbar", sagt Anwalt Heer. Die Bundesanwaltschaft sieht das ganz anders. In diesen Tagen versuchten die Verteidiger, die Haftbedingungen für Zschäpe zu verbessern. In ihrer Zelle brennt vierundzwanzig Stunden am Tag das Neonlicht, das oft auch brummt. Die Verteidigung möchte erreichen, dass die 36-Jährige das Licht selbst aus- und anmachen kann.

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