Urlauber und ihre Reiseziele:Sie sind wieder da

Türkei-Urlaub: Touristen in Ölüdeniz

Touristenströme wie die hier in Ölüdeniz an der Westküste der Türkei sollen Geld in Erdoğans Haushaltskasse spülen.

(Foto: Chris McGrath/Getty Images)

Nach Jahren der Unsicherheit entdecken Touristen die Türkei und andere islamische Länder neu. Das hat mit stark gefallenen Preisen zu tun - aber auch mit Fatalismus.

Von Jochen Temsch

Der perfekte Urlaubstag: vormittags am Pool dösen und den Kindern beim Wasserrutschen zuschauen, nachmittags das Minarett einer Moschee aus dem 14. Jahrhundert bewundern und süßen Apfeltee trinken, dann Meze, Şiş Kebap und Baklava vom Buffet - viele Deutsche können sich das so oder so ähnlich durchaus vorstellen. Die Türkei im Sommer 2018, sie ist wieder ein Reiseland.

Zwar urlauben die Deutschen auch dieses Jahr nirgendwo lieber als in Deutschland, in den Bergen Bayerns und an der Küste Mecklenburg-Vorpommerns. Zwar suchen sie im Ausland immer noch mit weitem Abstand am liebsten in Spanien Sonne, Strand und Erholung, dann in Italien und auf den griechischen Inseln. Doch sind sie auch wieder interessiert an den Urlaubsorten am östlichen Mittelmeer und in Nordafrika, deren Tourismus nach dem Terrorjahr 2015 faktisch zum Erliegen gekommen war.

Auf den Balearen wurde es eng, sehr eng

Die Urlauber verlegten sich fortan aufs westliche Mittelmeer, wo es eng wurde und die Preise stiegen. Vergangenes Jahr reisten allein 4,5 Millionen Deutsche nach Mallorca - 500 000 mehr als in alle Regionen der Türkei zusammengerechnet. Insgesamt ballten sich 14 Millionen Touristen auf den Balearischen Inseln Mallorca, Menorca, Ibiza, Formentera und Cabrera; die zählen zusammen nur rund eine Million Einwohner. Nicht nur die Einheimischen, auch die Urlauber selbst dürften in diesem Sommer froh sein, dass sich die Masse der Besucher wieder etwas besser verteilt.

"Wir sehen das Comeback der Türkei", verkündete der Präsident des Deutschen Reiseverbandes (DRV), Norbert Fiebig, bereits im März angesichts der hohen Buchungszahlen. Es geht um Badeurlauber - Pauschaltouristen, die Flug und Übernachtung als Paket kaufen und bevorzugt All-inclusive-Verpflegung dazu. Diese Form des Urlaubs ist in Deutschland die häufigste, Individualreisende und -buchende fallen im Milliardengeschäft Sommerurlaub dagegen kaum ins Gewicht. Länder, die bei dem Geschäft mitmischen wollen, müssen mit ihren Angeboten in den Katalogen der großen Reiseveranstalter stehen.

Die Türkische Riviera ist einfach günstiger

Nicht nur der Türkei ist dies nun wieder gelungen, sondern auch anderen muslimisch geprägten Ferienländern: Ägypten, Tunesien und Marokko. Die Reiseveranstalter haben ihre Flug- und Bettenkapazitäten nicht nur in Antalya, sondern auch in Agadir, auf Djerba, in Hurghada und Marsa Alam ausgebaut und sind dort jetzt auf Wachstumskurs. Marokko-Marktführer FTI hat die Anzahl der Abflughäfen aus Deutschland nach Agadir verdoppelt, Orientspezialist Öger Tours seine Flugsitze um ein Viertel aufgestockt. Marktführer Tui bietet 120 000 Flugsitze mehr nach Antalya an. Aktuell liegt die Türkische Riviera bei der Tui auf Platz zwei der beliebtesten Auslandsziele - gleich hinter Mallorca.

5,6 Millionen

So viele deutsche Touristen reisten im Jahr 2015 in die Türkei - ein Rekordwert. Es war die Zeit, in der es in dem Land zu mehreren Anschlägen kam, Anfang 2016 auch auf eine Gruppe deutscher Touristen in Istanbul. In der Folge mieden viele Sonnenhungrige die Türkei, aber auch Ägypten, und blieben lieber vermehrt in Deutschland oder besuchten andere EU-Länder wie Spanien, Italien oder Österreich.

Die Türkei stand schon im vergangenen Jahr hoch in der Gunst der deutschen Gäste. Dieses Jahr liegen die Buchungen im Vergleich dazu noch einmal "deutlich im Plus", wie es vom DRV heißt. Zwar komme man noch nicht wieder an die Rekordsaison des Jahres 2015 heran, als 5,6 Millionen deutsche Urlauber die Küstenregionen zwischen Bodrum und Marmaris, Antalya und Alanya besuchten. Doch unter Experten ist derzeit klar, wohin die Reise an der Türkischen Riviera geht: "definitiv bergauf", wie etwa Philipp Wagner von der Forschungsgruppe Urlaub und Reisen (FUR) sagt, die das Freizeitverhalten der Deutschen seit rund 50 Jahren untersucht.

Das Comeback hat eine finanzielle und eine psychologische Komponente. Eine Woche im All-inclusive-Hotel an der türkischen Riviera mit Flug kostet teils um 30 bis 40 Prozent weniger als ein vergleichbares Angebot auf dem spanischen Festland. Doch an der Schnäppchenmentalität allein liegt die hohe Nachfrage nach Meinung von Touristikern nicht.

Schlechtes Gedächtnis der Urlauber - und Fatalismus

Es kommt auch das schlechte Kurzzeitgedächtnis der Urlauber hinzu, die Terror und Naturkatastrophen nach zwei, drei Jahren vergessen, solange ein Land nicht dauerhaft negative Schlagzeilen hervorbringt. Und auch etwas Fatalismus. Bei einer repräsentativen Umfrage der Hamburger BAT-Stiftung für Zukunftsfragen hielt die Mehrheit der Urlauber zur Hauptbuchungszeit Ende des vergangenen Jahres nur fünf Urlaubsregionen für sicher: neben Deutschland waren das Österreich, die Schweiz sowie, mit deutlichem Abstand, Italien und Skandinavien. Spanien zählten die Deutschen nicht dazu - obwohl sie nirgendwo lieber hinfliegen.

Das lässt darauf schließen, dass die Unsicherheit inzwischen zum allgemeinen Lebensgefühl gehört - oder dass die Urlauber gelernt haben, damit umzugehen. Jeder zwölfte Befragte fühlte sich auch in Deutschland nicht sicher. Und wenn einem überall auf der Welt etwas passieren kann, auch zu Hause, dann kann man genauso gut auch verreisen. "Damit Touristen ein Land spürbar meiden, muss neben der gefühlten Unsicherheit auch eine reale Gefahr bestehen", sagte der wissenschaftliche Leiter der Studie, Ulrich Reinhardt.

Zum Einbruch des Tourismus in der Türkei war es 2015 nach zahlreichen Terroranschlägen in Ankara, Istanbul und anderen Landesteilen gekommen. Hunderte Menschen starben und wurden verletzt, darunter auch deutsche Touristen. Der Abschuss eines russischen Kampfjets an der türkisch-syrischen Grenze rückte zudem die geografische Nähe des Bürgerkriegs im Nachbarland ins Bewusstsein der Urlauber.

Die restriktive Politik des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und seine verbalen Attacken gegen Deutschland wirkten auch nicht gerade einladend - sind aber kein Grund für Pauschalreisende, auf ihren Badeurlaub zu verzichten.

Die Politiker Ägyptens und Tunesiens verhielten sich konzilianter. Die Ägypter betonten, dass sie sich um die Sicherheit ihrer Gäste kümmern würden. Allerdings entwickelte sich das Land unter Präsident Abdel Fattah al-Sisi zum autoritären Polizeistaat. In Ägypten wie auch in Tunesien gilt immer noch der Ausnahmezustand. Das Auswärtige Amt warnt vor Reisen etwa in den Norden der Sinai-Halbinsel oder das ägyptisch-israelische Grenzgebiet und weist auf das erhöhte Risiko terroristischer Anschläge in Tunesien hin. 2015 waren bei einem Anschlag der Terrormiliz IS am Strand von Sousse 39 Touristen ums Leben gekommen.

Bei einem Attentat im Bardo-Nationalmuseum in Tunis wurden 21 Menschen getötet. Die verstörenden Bilder von Leichen neben Sonnenliegen wirkten besonders lange nach. Doch inzwischen sind einige große Reiseveranstalter wieder in Tunesien vertreten. Die Zahl der europäischen Besucher stieg nach Regierungsangaben im Vergleich zum Vorjahr um 60 Prozent auf circa 900 000, darunter 100 000 Deutsche.

Hoffnung auf Rückkehr der Europäer

Eine Rückkehr der Europäer würde der schwächelnden tunesischen Wirtschaft großen Schwung geben. Genauso wie das Fernbleiben der Urlauber ökonomische Probleme bereitet hat. In der Türkei hatten ausgerechnet diejenigen unter der Abstinenz der ausländischen Gäste zu leiden, die Erdoğan mehrheitlich kritisch sehen. Beim Referendum zur Einführung eines Präsidialsystems im vergangenen Jahr beispielsweise stimmten die Bewohner der Metropolen und der touristischen Regionen an der Süd- und Westküste gegen mehr Machtfülle für das Staatsoberhaupt - und damit auch für Offenheit und Gastfreundschaft.

Deutsche mit türkischem Migrationshintergrund und Stammgäste mit persönlichen Beziehungen zu ihren Gastgebern haben der türkischen Riviera aus Sympathie auch nach 2015 die Treue gehalten. Jetzt kommen offenbar auch wieder verstärkt Touristen hinzu, die das Land zum ersten Mal besuchen.

Neu ist in diesem Sommer auch, dass sich Kulturreisende wieder mehr für muslimische Länder interessieren. Marktführer Studiosus meldet ein dreistelliges Plus bei den Gästezahlen für Ägypten und Tunesien, ein zweistelliges Plus für Marokko, Jordanien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Oman. Nachdem Studiosus im vergangenen Jahr keinen einzigen Gast in die Türkei brachte, gab es dieses Jahr erstmals wieder eine Rundreise mit 25 Teilnehmern, die allerdings nicht nach Istanbul führte. Im Jahr 2012 waren insgesamt 6000 Studiosuskunden in der Türkei unterwegs. Kulturinteressierte Touristen sind anscheinend noch etwas zögerlicher als diejenigen, die nach Sonne hungern.

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