Urlaub:Unheimlicher Feriengast

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Auf Mallorca beunruhigt ein Hai die Touristen. Ist es wirklich weniger wahrscheinlich, von einem Hai getötet, als von einer Kokosnuss erschlagen zu werden?

Von Jochen Temsch

Ein Anblick, bei dem sich die Nackenhaare aufstellen: eine dreieckige Rückenflosse ragt aus dem Wasser, ein torpedoförmiger Schatten schlängelt sich in Richtung Ufer. Hai-Alarm auf Mallorca! Die Szene kursiert im Internet, Passanten haben sie am vergangenen Mittwoch gefilmt.

Pünktlich zum Beginn der Pfingstferien, die viele Deutsche auf ihrer Lieblingsinsel verbringen, ist das Tier aus den Tiefen des Meeres aufgetaucht. Ein Blauhai im Hafenbecken des Porto Pi von Palma, nur knapp 500 Meter Luftlinie vom Familienstrand Cala Major entfernt. Die Guardia Civil machte sich Mühe, das Tier nicht zu verletzen. Mit einem Lasso wollten die Polizisten den Raubfisch aus dem Hafenbecken ziehen. Das misslang. Erst, als sie den Blauhai mit einem Boot umkreisten, flüchtete er - kehrte aber am nächsten Tag noch einmal zurück. Seitdem ist die Aufregung groß: Wo wird der Hai als Nächstes auftauchen?

Die von Kinofilmen und reißerischen Berichten geprägten Urängste sitzen tief. Da können Experten noch so oft betonen, wie übertrieben die Befürchtungen sind, unfreiwillige Bekanntschaft mit dem mehrreihigen, messerscharfen Gebiss der Tiere zu machen. "Eher wird man von einer herabfallenden Kokosnuss getötet, als durch einen Hai-Biss", sagt etwa Robert Hueter, Direktor des Hai-Forschungszentrums von Sarasota in Florida. Aber das beruhigt einen Familienvater auf Mallorca wohl nur bedingt, wenn er seiner kleinen Tochter am Strand die Schwimmflügel aufbläst. Selbst Tierschützer räumen ein, dass der Respekt vor den Raubfischen gerechtfertigt ist: "Ein Blauhai erreicht bis zu vier Meter Länge - es kann schon zum Problem werden, wenn man auf ihn trifft", sagt Roland Gramling von der Umweltorganisation World Wide Fund for Nature (WWF).

Das mallorquinische Exemplar hat sich nach Meinung von Experten entweder schlicht verirrt oder ist einer von Menschen gelegten Spur in den Hafen nachgeschwommen: Abfällen von Touristenschiffen oder über Bord gekipptem Beifang von Fischern. Es ist nicht der erste Hai-Alarm auf Mallorca. Im Jahr 2000 wurden Strandabschnitte gesperrt, weil ein Blauhai in Ufernähe gesichtet wurde.

Aber gemessen daran, wie weit Touristen in aller Welt selbst in entlegene maritime Regionen vorrücken, kommt es tatsächlich zu wenigen Vorfällen. Laut International Shark Attack File, der zentralen Datenbank über Hai-Angriffe, gab es im vergangenen Jahr 98 unprovozierte Attacken, sechs davon tödlich. Am gefährlichsten surfen und schwimmen Urlauber in Florida, Australien und Südafrika. In Spanien gab es fünf Angriffe - seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1847.

So gesehen, zieht der Hai bei der Begegnung mit Menschen den Kürzeren. Laut WWF werden jährlich Millionen Haie getötet; und weil sie sich so langsam fortpflanzen, sind viele Arten längst gefährdet oder vom Aussterben bedroht, auch der Blauhai. Der Hunger auf sein Fleisch ist nicht nur in Asien groß. Laut WWF fangen die europäischen Fischereien im weltweiten Vergleich die meisten Haie und Rochen für den Handel. Besonders eifrig auf der Jagd sind laut den Umweltschützern die Spanier.

© SZ vom 14.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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