Urheberrecht:Piraten in der Glaubwürdigkeits-Falle

Die Piraten stellen einen ausführlichen Entwurf für eine Urheberrechtsreform vor - und kritisieren "überkommene Geschäftsmodelle", die es nicht länger zu schützen gelte. Dabei haben gerade zwei prominente Piratinnen, Marina Weisband und Julia Schramm, jene Geschäftsmodelle für sich entdeckt. Das bringt ihre Partei in arge Bedrängnis.

Hannah Beitzer

Die Piraten gehen in einem ihrer wichtigsten Kernthemen in die Offensive: Parteichef Bernd Schlömer und Bruno Kramm, Organisator mehrerer Runder Tische zum Thema Urheberrecht, stellen heute in Berlin eine Broschüre vor, in der sie die Runden Tische bilanzieren und mit den Reformvorschlägen der Piraten zusammenfassen. Auch eine Gruppe von Piraten aus Nordrhein-Westfalen ging in dieser Woche mit einem umfangreichen Entwurf für eine Urheberrechtsreform an die Öffentlichkeit, der das Parteiprogramm ergänzt.

Piratin Weisband will E-Book ohne Kopierschutz veroeffentlichen

Marina Weisband sieht sich harscher Kritik ausgesetzt.

(Foto: dapd)

Die Autoren, der bekannte Netzanwalt Udo Vetter und Daniel Neumann, der maßgeblich für den bisherigen Programmentwurf der Piraten verantwortlich ist, fordern darin eine Reihe von Maßnahmen. So soll das Urheberrecht zum Beispiel nach dem Tod eines Urhebers nicht mehr gelten und Kindergärten, Schulen und andere Bildungseinrichtungen von Gebühren befreit werden. (Den vollständigen Entwurf finden Sie hier, die wichtigsten Eckpunkte hier.) Ähnlich liest sich auch die Broschüre, die Schlömer und Kramm in Berlin vorstellen.

Das größte Konfliktpotenzial birgt dabei die Forderung, private Tauschbörsen zu erlauben. Verlage, Musiklabels, aber auch Autoren und Musiker laufen dagegen schon seit Monaten Sturm - sie befürchten, dass ihnen mit einer solchen Regelung die Geschäftsgrundlage entzogen würde.

"Filesharing ist gesellschaftliche Realität", kommentiert hingegen Udo Vetter den Entwurf seiner Partei, "es ist unmöglich, auf lange Sicht Verbote beizubehalten, die nicht mehr dem gesellschaftlichen Konsens entsprechen." In Richtung Verwerter heißt das lapidar: "Es ist nicht Aufgabe des Staates, überkommene Geschäftsmodelle zu schützen."

Doch wie sollen Kunst und Kultur finanziert werden, wenn nicht über Verlage und Labels? Die Piraten diskutieren mehrere Modelle: Von Crowdfunding über eine nachträgliche Finanzierung via Spendenbutton oder Werbung bis hin zu einer Kulturflatrate, die pauschal erhoben und an Urheber ausgezahlt wird.

Doch gerade was diese alternativen Modelle angeht, hat die Partei ein Glaubwürdigkeitsproblem. Denn zwei prominente Piraten-Autorinnen setzen statt auf Crowdfunding, Werbefinanzierung oder gar nachträgliche Spenden auf eben jene von der Partei kritisierten "überkommenen Geschäftsmodelle", sprich: auf traditionelle Verlage. Vorstandsmitglied Julia Schramm veröffentlichte ihr Buch "Klick mich - Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin" bei Random House, Weisbands Buch "Wir nennen es Politik" erscheint im Frühjahr 2013 im Tropen Verlag.

Ein paar kleinere Zugeständnisse konnten die Piratinnen den Verlagen zwar abringen: Julia Schramm lässt illegale Kopien ihres Buches im Netz zwar löschen, verteilt jedoch zunächst einmal Verwarnungen - "Gelbe Karten" -, anstatt den Verursacher sofort kostenpflichtig abmahnen zu lassen. Marina Weisband hat durchgesetzt, dass ihr E-Book ohne Kopierschutz erscheint.

Wer, wenn nicht Ihr?

Dennoch bringen sie ihre Partei in arge Bedrängnis: "Wasser predigen, Wein saufen", heißt es im Netz, die ohnehin umstrittene Schramm erhält wüste Drohbriefe und wird aufs Übelste beschimpft, der Ton wird persönlich und verletzend. Inzwischen hat sich die Wut auch auf die ansonsten äußerst beliebte Weisband verlagert, die in einem Blogeintrag zu ihrer Buchveröffentlichung Stellung nimmt.

Julia Schramm

Buchautorin Julia Schramm hat viele ihrer Parteifreunde verärgert.

(Foto: dpa)

Anders als bei Schramm geht es den Kritikern bei Weisband nicht um horrende Vorschüsse und geistiges Eigentum. Die Kommentatoren unter dem Blogeintrag treibt eine andere Frage um: Warum veröffentlichen zwei enorm bekannte Piratinnen überhaupt bei einem "konventionellen Verwerter" - anstatt die in ihrem Parteiprogramm angepriesenen alternativen Finanzierungsmodelle auszuprobieren?

"Bei der medialen Aufmerksamkeit, über die ihr verfügt, hättet ihr das wirklich ohne Verlag rausbringen können und dabei auch richtig Geld machen können", schreibt ein enttäuschter Anhänger, "das ist echt DIE verpasste Gelegenheit des Jahrhunderts." Weisband rechtfertigt sich damit, dass ihr schlicht die finanzielle Möglichkeit fehle, ohne einen Vorschuss ein Buch zu schreiben: "Ich hätte es über Kredit machen müssen, bin allerdings durch mein Studium schon verschuldet. Außerdem bin ich echt nicht gut darin, mich zu vermarkten", schreibt ausgerechnet die Piratin, die wie keine Zweite im vergangenen Jahr durch die Medien gereicht wurde.

Damit bringt sie ihre Kritiker erst recht gegen sich auf. "Marina, ganz ehrlich, ich sitze jetzt hier und muss meine Kinnlade von den Oberschenkeln einsammeln", schreibt Thomas Elbel, ein Schriftsteller, der bereits am im Sommer initiierten Urheberrechtsdialog der Piraten teilgenommen hat: "Wenn nicht mal Du mit Deinem öffentlichen Bekanntheitsgrad, der Reichweite dieses Blogs, Deinen über 30.000 Followern auf Twitter, es Dir zutraust, Dein Buch selbst zu vermarkten, wie soll es dann bitte irgendein kleiner unbekannter Debütant schaffen?"

Auch in der Partei sind viele nicht zufrieden mit Weisbands Erklärung. Von Doppelmoral ist die Rede, von einer verpassten Chance, von schwindendem Wählervertrauen. Ein Pirat berichtet, dass er bei Informationsveranstaltungen immer wieder auf die beiden prominenten Autorinnen angesprochen werde. "Wir waren die mit dem 'Ändern', schon vergessen?", lässt er seinem Frust freien Lauf. Und: "Egal, was morgen in Brunos Broschüre stehen wird, aber zur Kenntnis genommen wird das bestimmt nicht." Einer anderer schreibt lapidar: "Diskussion in Zukunft: 'Man muss halt neue Wege der Vermarktung ausprobieren.' - 'Ah, so wie Julia und Marina?'"

Urheberrechts-Spezialist Bruno Kramm ist die Richtung, die die Diskussion nimmt, natürlich nicht recht. Als "blauäugig" und in Urheberrechtsfragen "beratungsresistent" bezeichnet er etwa seine Parteifreundin Julia Schramm in einem Blogeintrag und wirft ihr mangelndes Know-how vor.

Ob diese Erklärung reicht, die Kritiker zu besänftigen? Schramm und Weisband stehen wie nur wenige Piraten in der Öffentlichkeit. Da wird die Partei zwangsläufig auch am Verhalten ihrer prominenten Vertreterinnen gemessen. Und nicht nur am Parteiprogramm.

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