Libyen:Gefahr aus der Wüste

Libyen: Die Erg-Ubari-Wüste in der libyschen Region Fessan.

Die Erg-Ubari-Wüste in der libyschen Region Fessan.

(Foto: Godong/UIG/imago images)

2,5 Tonnen Uran waren zeitweise in Libyen verschwunden. Obwohl die Fässer angeblich gefunden wurden sind Sicherheitskreise alarmiert. Denn russische Söldner haben weiter Zugriff auf die Bestände.

Von Mirco Keilberth, Tunis

Das von libyschen Soldaten aufgenommene Video aus der Sahara sollte eigentlich das glückliche Ende einer dramatischen Suchaktion sein. Zu sehen ist ein Mann in einem weißen Schutzanzug und Atemschutzmaske, der im Wüstensand blaue Fässer zählt. Da er erst beim 18. Fass aufhört, hinterlässt der Fall jedoch mehr Fragen als Antworten. Am Tag zuvor hatte die internationale Atomenergiebehörde IAEA in einem aufsehenerregenden Schreiben ihren Mitgliedstaaten mitgeteilt, dass bei einer unangekündigten Inspektion in einem libyschen Lager für Urankonzentrat zehn Fässer fehlten.

Das auch "Yellowcake" genannte gelbliche Pulver wird in angereicherter Form zur Herstellung von Brennstäben für Atomkraftwerke oder von Atombomben verwendet, auch für "schmutzige Bomben", die Radioaktivität über große Gebiete verteilen. Mehr als 6400 Fässer mit strahlendem "Yellowcake"-Pulver verblieben nach Ende des libyschen Atom-und Chemiewaffenprogramms in Lagerstätten. Der damalige Machthaber Muammar al-Gaddafi hatte 2003 seine Ambitionen für eine Atomwaffe aufgegeben und wurde Partner europäischer Geheimdienste in deren Kampf gegen radikale Gruppen. Nach seinem Sturz hatten IAEA-Experten Ende 2011 die nahe der Oase Sebha gelagerten Fässer ausfindig gemacht. Angesichts des nach-revolutionären Chaos forderte Ian Martin, damals UN-Sondergesandter, den "Revolutionären Übergangsrat" auf, das Uran umgehend abtransportieren zu lassen.

Die Wüstenmetropole Sebha ist Basis vieler Milizen

Doch als wegen des Krieges um die libysche Hauptstadt fast alle Diplomaten nach Tunesien auswichen, geriet das radioaktive Material in Vergessenheit. Denn selbst die Regierenden in Tripolis haben seit Jahren nur sporadisch Einfluss auf das Geschehen in der südlichen Fessan-Provinz. Die dortige Wüstenmetropole Sebha ist Basis vieler Milizen, die sich seit der Entstaatlichung eines Gebietes so groß wie Frankreich mit Schmuggel von Menschen, Waffen und Drogen finanzieren. Inmitten des Chaos blieb die unscheinbare Halle mit den strahlenden Fässern auf der Militärbasis des Flughafens Temenhint lange unbemerkt. Freiwillige Zivilisten bewachten sie, wurden jedoch nie von Tripolis entlohnt.

Es war wohl vor allem die radioaktive Strahlung, die Milizen abhielt, die schweren Schlösser und die Versiegelung der IAEA-Experten aufzubrechen. Doch über Nacht steht das vergessene Uran Südlibyens nun im Zentrum einer internationalen Krise. Keine 24 Stunden nachdem die Atomaufsicht in Wien vor der Gefahr warnte, stieß angeblich eine Patrouille der libysch-arabischen Armee (LNA) des selbsternannten Feldmarschalls und lokalen Machthabers Khalifa Haftar fünf Kilometer von der aufgebrochenen Halle entfernt auf die Fässer.

LNA-Sprecher Khaled al-Mahjoub präsentierte eine ganz andere Version als die IAEA. Die Wiener Experten betonen, die Fässer seien nur mit hohem logistischem Aufwand zugänglich. Mangels Sicherheitsausrüstung sei die Halle praktisch unbewacht gewesen, behauptet dagegen al-Mahjoub. Bei ihrem letzten Besuch vor drei Jahren habe man die IAEA-Experten auf das hohe Risiko hingewiesen. Doch ohne Schutzkleidung habe die LNA die Halle nur aus der Distanz beobachten können, beklagt ein Offizier gegenüber der SZ am Telefon. Eine tschadische Oppositionsgruppe soll die Fässer abtransportiert haben.

Aus Sicherheitskreisen in Sebha erfuhr nun die italienische Nachrichtenagentur Nova Agenzia, dass die Lage noch brisanter sein könnte. Demnach hatte seit 2020 eine Einheit der russischen Wagner-Söldner Zugriff auf die Fässer. Da sich viele Militäreinrichtungen in der Umgebung der Wagner-Kaserne bei Ben Arif befinden, sei den IAEA-Inspekteuren 2022 mehrmals der Zugang verwehrt worden, so die libyschen Quellen von Nova Agenzia. Sie vermuten, Wagner könnte längst Bestände des Pulvers zum Militärflugplatz Jufra gebracht haben. Von dort fliegen russische Transportmaschinen regelmäßig in Syriens Hauptstadt Damaskus oder zur russisch-syrischen Militärbasis Khmeimim.

Jufra ist auch wichtiges Drehkreuz für Wagner-Operationen in Subsahara-Afrika. Auf den extralangen Startbahnen werden russische Militärmaschinen aufgetankt, die mit den üppigen Funden aus neuen Goldgräberstädten wie Umm al-Anarab beladen sind. "Nach den Waffen Gaddafis, dem Geschäft mit den Migranten und dem Gold in der Sahara wird nun auch das Uran ein Geschäft. Und ein politisches Druckmittel", vermutet Younis Issa, der 2014 Kulturminister in Tripolis war und viele Entscheidungsträger in Südlibyen kennt. "Der Westen und die Regierung in Tripoli haben hier ein Vakuum hinterlassen", sagt er. Issa glaubt zwar, dass ein Großteil des Urans noch in der Lagerhalle sei: "Doch sowohl die Armee von Haftar als auch die mit ihm verbündeten Wagner-Söldner haben nun ein Faustpfand gegen den Westen in der Hand."

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