Süddeutsche Zeitung

Unwetter:Fluch und Segen vom Himmel über Südasien

  • Der jährliche Monsun bringt Wasser über den indischen Subkontinent. Er spendet Leben und nimmt es.
  • In diesem Jahr forderte er so viele Opfer wie lange nicht mehr - und Tag für Tag werden es mehr.
  • Experten warnen davor, dass sich die Probleme mit Starkregen und Überschwemmungen mit steigender Temperatur verschärfen werden.

Von Arne Perras, Singapur

Der indische Arzt telefonierte noch mit seiner Frau, das war am Dienstagabend um halb sieben. Er werde in fünf Minuten zu Hause sein, sagte er. Doch dort ist er niemals angekommen. 36 Stunden später fanden ihn Retter am Strand. Deepak Amrapurkar, 58, Bürger von Mumbai, war an jenem Abend in den Fluten in einen offenen Kanalschacht gestürzt. Man weiß das nur, weil man seinen Regenschirm fand, der sich im Loch verklemmt hatte. Der Doktor ist einer von mehr als 1500 Menschen, die jetzt in den Fluten in Südasien schon ihr Leben verloren haben.

In Mumbai fielen an einem einzigen Tag, dem 29. August, 330 Millimeter Regen. In einer deutschen Stadt verteilt sich so eine Menge Niederschlag auf Monate. Nach dem Regen kommen die Bagger, im Süden der 20-Millionen-Metropole graben sie sich gerade durch einen riesigen Schuttberg, der Monsun weicht die Fundamente der alten Häuser auf, ein fünfstöckiger Apartmentblock ist zusammengestürzt, die Helfer retten mehrere Verletzte, doch für die anderen Verschütteten gibt es kaum noch Hoffnung, drei Dutzend Tote zählen sie allein in diesem einzelnen Gebäude.

Doch auch Mumbai zeigt nur einen kleinen Ausschnitt einer breiten Spur der Verwüstung, mit der etwa 40 Millionen Menschen im südlichen Asien kämpfen. Ärzte denken schon weiter: Jeder, der nun durch die Fluten von Mumbai gewatet sei, sollte am besten gleich zur Vorbeugung antibiotische Tabletten einnehmen, sagen sie. Die städtischen Behörden befürchten, dass Keime im Wasser schwere Infektionen auslösen, die tödliche Leptospirose zum Beispiel, die nach der großen Flut im Jahr 2005 allein in Mumbai Dutzende Bewohner das Leben kostete.

So viele Opfer wie lange nicht mehr

Der jährliche Monsun bringt Wasser über den Subkontinent, er spendet Leben. Aber er nimmt es auch. Und in diesem Jahr schwemmt er so viele Menschen fort wie lange nicht mehr, Tag für Tag steigen die Opferzahlen. Die Metropole Karachi in Pakistan meldete allein am Donnerstag 23 Tote binnen Stunden, viele sterben dort an tödlichen Stromschlägen im Wasser. Die Leute kennen diese Tücken zwar, aber wenn die Flut erst einmal über sie hereinbricht, haben sie keine Chance, sich davor noch zu schützen.

Der indische Bundesstaat Bihar meldet inzwischen, dass die Wasserpegel zurückgingen, aber nirgendwo ist die Bilanz so verheerend wie dort: 514 Tote, alleine in Bihar. Weiter nördlich, in Nepals Bergen, töteten Erdrutsche mehr als 100 Bewohner, im Küstenstaat Bangladesch, dem Deltagebiet der großen südasiatischen Ströme, haben die Fluten schon etwa 700 000 Gebäude beschädigt oder ganz zerstört. Zehntausende Schulen sind in Asiens Flutgebieten geschlossen. Fast zwei Millionen Kinder können nicht zum Unterricht. In ärmeren Gegenden heißt dies, dass sie vermutlich für lange Zeit keine Chance mehr haben, etwas zu lernen, wie die Organisation Safe the Children warnt.

Im Lichte der jüngsten Zerstörungen durch den Monsun dürften die Folgen des Klimawandels wieder stärker diskutiert werden. Zwar sind heftige Überschwemmungen und Zerstörungen im südlichen Asien vermutlich so alt wie der Monsun selbst, Jahr für Jahr entwickelt er eine Gewalt, die viele Bewohner mit dem Leben bezahlen. Doch warnen Experten gleichzeitig davor, dass sich die Probleme mit steigender Temperatur verschärfen werden.

Mehr Überschwemmungen in der Regenzeit und mehr Dürren in der Trockenzeit

Mit diesen Risiken beschäftigt sich Saleemul Huq, Direktor am International Centre for Climate Change and Development in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch. Huq erforscht, wie sich die Veränderungen auf Entwicklungschancen armer Regionen auswirken werden. Die Experten seien sich zumindest so weit einig, dass sich das Muster der Regenfälle in der Region merklich verändere, "mit stärkerem Regenfall in der Monsunzeit und geringerem Niederschlag in der Trockenperiode". Die Folge beschreibt Huq so: mehr Überschwemmungen in der Regenzeit und mehr Dürren in der Trockenzeit, ohne dass sich die Gesamtmenge des Regens übers Jahr stark ändere.

Und wie steht es um den Katastrophenschutz? Er ist in vielen Gegenden stark unterentwickelt. Notfallpläne fehlen oft. Doch es gibt auch Fortschritte, wie der Architekt und Stadtentwickler Pankaj Joshi aus Mumbai schreibt. Während die Stadt 2005 der Flut völlig unvorbereitet begegnete, habe die Behördenkoordination zwölf Jahre später weit besser funktioniert. "Die Stadt war dieses Mal besser organisiert", urteilt der Direktor des "Urban Design Research Institutes" in einer Analyse für den Indian Express.

Allerdings zeigten frühere Überflutungen in verschiedenen Bundesstaaten auch, dass natürliche Abflüsse planlos zugebaut würden, ohne Rücksicht, dass diese menschlichen Sünden die Flutprobleme in Monsunzeiten nur vergrößerten. "Der Staat scheint aus diesen Fehlern nur zögerlich zu lernen", sagt Joshi.

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SZ vom 02.09.2017/fie
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