Es passiert ziemlich selten, dass sich Oppositions- und Koalitionsfraktionen einig sind. Schon gar nicht, wenn es darum geht, etwas aufzuklären, das die Regierung in arge Bedrängnis bringen kann. Es grenzt also an ein kleines politisches Wunder, dass im März beide Seiten im Parlament für einen Untersuchungsausschuss gestimmt haben, der die NSA-Affäre aus deutscher Sicht aufklären soll.
Wochenlang haben die Verhandlungen gedauert. An jedem Satz wurde gefeilt. Soll auch die Rolle der Bundesregierung in der NSA-Affäre beleuchtet werden? Sollen die Absprachen der Geheimdienste untereinander untersucht werden? Müssen die Mechanismen des Ringtausch-Verfahrens eine Rolle spielen, also der Austausch von Informationen zwischen befreundeten Geheimdiensten?
Offenbar ja. Am Ende stand jedenfalls ein gemeinsamer Auftrag, in dem auf fünf Seiten - bis ins Detail - beschrieben ist, worum sich der Ausschuss kümmern soll. In der Geschichte der Bundesrepublik ist der zur NSA überhaupt erst der zweite Untersuchungsausschuss, den das Parlament gemeinsam beschlossen hat.
Auf Seiten der großen Koalition gab es offenbar ein großes Bedürfnis, den Eindruck zu vermeiden, nur die Opposition wolle aufklären. Die SPD hatte noch im Bundestagswahlkampf der damaligen schwarz-gelben Bundesregierung Zögern und Zaudern vorgeworfen. Und ihr einen mangelnden Aufklärungswillen unterstellt. CDU und CSU erweckten zwar lange den Eindruck, als gehe sie die Affäre nichts an. Kanzleramtsminister Ronald Pofalla erklärte sie gar nach einer Sitzung des parlamentarischen Kontrollgremiums etwas voreilig für "beendet".
Wegschauen zwecklos
Doch spätestens als Ende des vergangenen Sommers klar war, dass auch das Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel vom US-amerikanischen Geheimdienst NSA ausgespäht wurde, war Wegschauen zwecklos.
Aufklärung wurde nun von allen Seiten eingefordert. Doch nichts geschah. Was vor allem daran lag, dass die US-Seite weder bereit war, Fragen der Bundesregierung zu beantworten, noch wollte sie Merkels Grundsatz unterschreiben, dass auf deutschem Boden deutsches Recht zu gelten habe. Das einzige Zugeständnis von US-Präsident Barack Obama bisher: Merkel wird nicht mehr abgehört. Aber wer weiß schon so genau, ob das stimmt?
Wesen eines Untersuchungsausschusses ist es, für die Aufklärung Zeugen zu befragen. Er hat dafür umfassende Rechte. Inländer etwa müssen erscheinen und können bestraft werden, wenn sie falsche Angaben machen. Der NSU-Untersuchungsausschuss, der die Morde der gleichnamigen rechten Terrorzelle aufzuklären hatte, war dafür genau der richtige Ort. Schicht um Schicht legten die Abgeordneten das ganze Ausmaß des Staatsversagens frei.
Der Name NSA-Ausschuss dagegen macht schon klar, dass es diesmal weitaus schwerer sein wird, die Geheimnisse der Geheimen zu lüften. Die Amerikaner können nur gebeten werden, zu kooperieren. Dass sie es tatsächlich tun, glauben nur unverbesserliche Optimisten.
Zudem schwinden die Chancen, dass der wichtigste Zeuge überhaupt noch gewinnbringend vom Ausschuss vernommen werden kann: Edward Snowden, der US-Whistleblower, der die ganze NSA-Affäre erst öffentlich gemacht hat. Ohne sein Engagement läge das ungeheure Ausmaß der US-Schnüffeleien bis heute im Dunkeln.
Bevor die Abgeordneten mit der Arbeit richtig loslegen können, stellt eine mögliche Aussage des Zeugen Snowden den Ausschuss auf eine ernste Probe. CDU und CSU, das ist inzwischen klar, wollen Snowden auf gar keinen Fall in Deutschland befragen. Vordergründig geht es um seine Sicherheit. Tatsächlich aber wohl um das ohnehin schon angespannte Verhältnis zu den USA.
CDU und CSU sind ganz auf der Linie der Bundesregierung. Die hat ein Gutachten vorgelegt, nach dem es völlig unmöglich sei, Snowden nach Deutschland zu holen. Eine These ist etwa, Snowden müsse umgehend festgenommen und ausgewiesen werden, sobald er deutschen Boden betrete. Ob das so stimmt, wird in der juristischen Fachwelt erheblich bezweifelt.
Die SPD im Bundestag scheint noch unentschieden zu sein, will die Frage nach dem Ort der Zeugenvernahme nicht allzu sehr in den Mittelpunkt rücken. Grüne und Linke aber wollen ihn auf jeden Fall in Deutschland haben. Es seien schließlich die Amerikaner gewesen, die Merkels Handy abgehört haben. Dann könnten die Deutschen doch wohl auch den Amerikaner Snowden befragen. Etwa, wie genau die NSA arbeitet. Und ob nicht neben Merkel auch Millionen von Deutschen befürchten müssen, dass ihre Daten tagtäglich von der NSA abgesaugt, ausgewertet und auf etwaige Gefahren hin geprüft werden.
Andererseits ist gar nicht mehr sicher, ob Snowden überhaupt noch aussagen will. Es verdichten sich die Anzeichen, dass er gerne lieber heute als morgen zurück in die USA möchte. Das dürfte aber umso schwerer werden, je offener er über seine Arbeit für die NSA plaudert.
Macht nichts, sagen die einen. Es gibt ja noch genug andere Zeugen. Tatsächlich, die Liste ist lang. Von Merkel über Altkanzler Gerhard Schröder, verschiedene aktuelle und ehemalige Bundesminister, die Chefs der Nachrichtendienste, bis hin zu den Bossen von Facebook, Google, Microsoft und Twitter. 40 Namen haben die Ausschussmitglieder zusammengetragen. Darunter übrigens auch zwei ehemalige Chefs der NSA.
Ein erster Knüller
Nur: Kommen die alle? Und wenn ja, was sagen sie? Und wenn sie etwas sagen, darf die Öffentlichkeit davon erfahren? Oder findet wieder alles im Geheimen statt?
Auf diese Fragen kann es noch keine Antworten geben. Die Zeugenbefragungen beginnen gerade erst.
Immerhin, einen ersten Knüller hat der Ausschuss bereits produziert. In seiner ersten öffentlichen Sitzung haben drei renommierte Verfassungsjuristen die rechtlichen Grundlagen für die Arbeit des BND auseinandergenommen. Darunter der frühere Präsident des Bundeverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier. Das überraschend einhellige Votum der drei Rechtsgelehrten: Der BND handelt derzeit nicht auf dem Boden des Grundgesetzes. Wenn er etwa Informationen von befreundeten Diensten verwertet, die auf eine Weise eingeholt worden sind, die gegen das Grundgesetz verstoße, dann habe der BND dafür keine ausreichende gesetzliche Legitimation. Im Bundesnachrichtdienst wird der NSA-Ausschuss ohnehin mit gemischten Gefühlen beäugt. Das aber war wie ein Schlag ins Kontor.
Mindestens bis zum Ende der Legislaturperiode wird der Ausschuss jetzt arbeiten. Vollständige Aufklärung wird niemand von den Abgeordneten dort erwarten können. Dazu sind sie viel zu abhängig vom eher nicht vorhandenen Wohlwollen der Amerikaner.
Ein Erfolg wäre schon, wenn danach - was die NSA angeht - alle etwas schlauer sind als heute. Gesichert ist das nicht.