Untersuchungsausschuss zu NSU-Morden:Schwere Vorwürfe gegen Berliner Behörden

Die NSU-Ermittlungen haben ein neues pikantes Detail ans Licht gebracht: Jahrelang soll Neonazi Thomas S. der Berliner Polizei Hinweise über das NSU-Trio und sein Umfeld geliefert haben. Von 2000 bis 2011 war er Informant des Berliner LKA. Früher einmal soll er ein "Techtelmechtel" mit Beate Zschäpe gehabt und der Terrorgruppe Sprengstoff geliefert haben.

Tanjev Schultz, Berlin

Der Neonazi Thomas S. wollte mit illegaler Musik ein Geschäft machen. In Sachsen beteiligte er sich vor mehr als zehn Jahren am Vertrieb von CDs der Rechtsrock-Band "Landser". Die Band wurde später als kriminelle Vereinigung verboten. Thomas S. packte vor den Ermittlern aus und machte sich damit bei seinen braunen Kameraden nicht gerade beliebt. Sie sollen ihm eine ordentliche Abreibung verpasst haben.

Vielleicht war das der Moment, in dem Thomas S. sich dachte, es sei nicht so schlecht, sich auf die Staatsgewalt einzulassen. Im "Landser"-Prozess belastete Thomas S. die früheren Kameraden und kam selbst glimpflich mit einer Bewährungsstrafe davon. Offenbar hatte die Bundesanwaltschaft ihm für bestimmte Informationen Vertraulichkeit zugesichert. So fing S. an, zu plaudern.

Thomas S. diente sich auch der Polizei an. Wie nun durch die Arbeit des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestags herauskam, war Thomas S. jahrelang eine sogenannte Vertrauensperson des Berliner Landeskriminalamts (LKA). Dies wurde von mehreren Seiten aus dem Ausschuss bestätigt. Eine Stellungnahme der Berliner Behörden dazu gibt es bisher nicht. Die Nachricht löste im Ausschuss nicht nur Erstaunen, sondern auch Unmut aus. Denn längst hätte das Land Berlin, so denken die Abgeordneten, den Ausschuss über Thomas S. informieren müssen.

Im Jahr 2002 soll Thomas S. der Berliner Polizei einen Hinweis auf den möglichen Aufenthaltsort des untergetauchten NSU-Trios gegeben haben. Man kann zwar bezweifeln, ob der Hinweis Substanz hatte. Er beruhte offenbar nur auf Hörensagen, und andere Behörden hatten ebenfalls schon erfolglos versucht, über Thomas S. an das 1998 untergetauchte Trio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt heranzukommen. Doch der Berliner Senat hätte den Sachverhalt nach Ansicht der Abgeordneten des Bundestags längst an den Ausschuss weitergeben müssen.

Zwischen 2001 und 2005 soll Thomas S. dem LKA noch weitere Hinweise geliefert haben, die mit dem Trio oder ihrem Umfeld zusammenhingen. Auch diese Tipps sollen nur auf Erzählungen Dritter beruhen. Bis 2011 war er demnach noch als Informant tätig.

SPD-Obfrau Eva Högl sagt, es sei ein Unding, dass Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) es nicht für nötig befunden habe, den Ausschuss früher zu informieren. Denn immerhin gehe es um einen NSU-Unterstützer der ersten Stunde.

Direkte Kontakte lassen sich nur bis 1998 nachweisen

In früheren Jahren hatte Thomas S. tatsächlich einen sehr engen Draht zu dem Trio. Als führender Kopf der Neonazi-Gruppe "Blood & Honour" in Chemnitz soll er dem Trio beim Untertauchen geholfen haben. Es besteht der Anfangsverdacht, dass Thomas S. den NSU unterstützte. Wegen Verjährung ist es allerdings möglich, dass Thomas S. sich dafür nicht mehr juristisch verantworten muss. Direkte Kontakte zum späteren NSU-Trio lassen sich offenbar nur bis zum Jahre 1998 nachweisen.

Im September 1998 hatte eine Quelle des Thüringer Verfassungsschutzes berichtet, Thomas S. sei zuletzt mit Beate Zschäpe liiert gewesen. S. hat selbst von einem "Techtelmechtel" gesprochen. Außerdem soll er dem Kreis um Zschäpe Sprengstoff besorgt haben. So wurden Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zu den berüchtigten "Bombenbauern" aus Jena. Anfang 1998 waren sie untergetaucht. Gemeinsam sollen sie den NSU gebildet haben, der für zehn Morde verantwortlich gemacht wird. 1999 überprüften Zielfahnder aus Thüringen die Wohnung von Thomas S., auf der Suche nach dem Trio. Die Wohnung war leer. Ein Nachbar behauptete, Mundlos öfter in der Wohnung gesehen zu haben. Im November 1999 soll S. eine ihm angebotene Spende für das Trio abgelehnt haben, weil es mittlerweile kein Geld mehr benötigen würde. Der NSU verübte, wie man heute weiß, Banküberfälle.

Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) sagte, er habe umgehend eine Prüfung der "schwerwiegenden Vorwürfe" veranlasst und weitere Informationen zugesagt. Zu Thomas S. gab es bisher keine offizielle Stellungnahme.

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