Es handelt sich um ein Ritual: Mehr als die Hälfte aller Untersuchungsausschüsse, die in der Bundesrepublik eingesetzt wurden, mussten sich mit Geheimdienstskandalen befassen. Diesmal ist es ein Skandal, der die Daseinsberechtigung des Verfassungsschutzes insgesamt in Frage stellt.
Der Verfassungsschutz gerät immer mehr in die Kritik.
(Foto: dapd)Entweder er hat von den Neonazi-Morden nichts gewusst - dann ist er überflüssig. Oder er hat davon gewusst und nichts dagegen getan - dann ist er gefährlich. Der Untersuchungsausschuss steht vor einem Abgrund des Versagens, den er aber nicht ausleuchten kann, weil sich seine Zugriffsmöglichkeiten nur auf das Bundesamt für Verfassungsschutz, nicht aber auf die 16 Landesämter beziehen.
Der Beginn der Arbeit des Untersuchungsausschusses fällt zusammen mit einem Jubiläum, das eine der Antworten darauf gibt, warum der Ruf des Verfassungsschutzes so schlecht ist. Vor vierzig Jahren, am 28. Januar 1972, veröffentlichte Bundeskanzler Willy Brandt zusammen mit den Ministerpräsidenten der Länder den "Radikalenerlass"; es handelte sich um "Grundsätze über die Mitgliedschaft von Beamten in extremen Organisationen".
Aus der Grundidee, dass Leute wie der RAF-Terrorist Andreas Baader nicht Lehrer werden sollen, wurde eine automatische Anfrage der Behörden beim Verfassungsschutz zu jeder Person, die sich für den öffentlichen Dienst bewarb. Der Verfassungsschutz präparierte sich für diese Regelanfrage mit Zigtausenden "Dossiers"; er schickte seine Leute zu diesem Zweck in Veranstaltungen an den Unis.
Rolf Lamprecht, damals Karlsruher Korrespondent des Spiegel, erinnert sich mit grimmigem Spott so: "Manche dieser Horcher waren offenkundig intellektuell überfordert, Kritik an den Regierenden fiel bei ihnen stets unter die Kategorie ,staatsfeindliche Umtriebe'." Es war eine Gesinnungsschnüffelei sondergleichen, für die sich Brandt vier Jahre später genierte: "Ich habe mich geirrt." Aber dieser Irrtum galoppierte fast zwanzig Jahre lang wie verrückt durch Deutschland.