Süddeutsche Zeitung

Unterhaltsvorschuss:Der andere soll's bezahlen

Bund und Länder verhandeln über ihre Finanzen. Doch die SPD könnte den Pakt platzen lassen.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Drei Wochen ist es her, dass sich über dem Bundesfamilienministerium in Berlin ein Candystorm zusammenbraute, ein digitaler Jubelsturm. "Weniger Sorgen machen, danke", schrieb eine alleinerziehende Mutter auf Facebook. Der Dank galt Familienministerin Manuela Schwesig, (SPD), die durchsetzen will, dass der Staat ab Januar mehr Trennungskindern als bisher Kindesunterhalt vorstreckt, wenn ein Elternteil ihn nicht zahlt. "Ich bin so unendlich dankbar für die Gesetzesänderung!", schrieb eine andere Alleinerziehende, die arbeiten geht und dennoch Stütze vom Staat braucht, weil der Kindsvater nicht zahlt. "Endlich brauche ich kein ALG 2 mehr, um mein Gehalt aufzustocken!"

Der Jubel der Alleinerziehenden war womöglich verfrüht. Denn ob die Familienministerin all die Vorschusslorbeeren in Erfolge verwandeln kann, wird sich erst am Donnerstag zeigen. Dann treffen die Ministerpräsidenten die Kanzlerin, um den neuen Finanzpakt zwischen Bund und Ländern zu besiegeln. Die Länder sollen gut 9,52 Milliarden Euro zusätzlich vom Bund bekommen, der dafür mehr Kompetenzen bei Fernstraßen, Steuerverwaltung oder bei Investitionen in Schulen erhält. Besonders kontrovers: die Finanzierung des Unterhaltsvorschusses. Werde hier keine Einigung erzielt, drohte die SPD, lasse sie das gesamte Finanzpaket platzen.

Unterhaltsvorschuss bekommen Alleinerziehende, wenn der Ex-Partner keinen oder zu wenig Unterhalt für gemeinsame Kinder zahlt. 2015 wurden Alleinerziehenden 843 Millionen Euro von Kommunen vorgeschossen. Sie sollen sich das Geld von nicht-zahlenden Eltern zurückholen. Das gelingt aber nur selten. Familienministerin Schwesig will nun mehr Druck machen - und auch älteren Trennungskindern Unterhaltsvorschuss gewähren. Bisher gibt es ihn nur bis zum zwölften Geburtstag. Künftig soll er bis zum 18. Geburtstag gezahlt werden, beschloss das Kabinett.

Das klang gut für Alleinerziehende, die Finanzierung aber blieb offen und soll nun im Bund-Länder-Finanzpakt geregelt werden. Das wird schwierig. Die Länder fordern, dass der Bund mindestens die Hälfte der Mehrkosten der Reform übernimmt, von der keiner recht weiß, wie teuer sie am Ende wird. Der Bund geht von 790 Millionen Euro Mehrkosten und 260 000 zusätzlichen Anträgen aus, wenn auch ältere Kinder Unterhaltsvorschuss erhalten. Die Länder befürchten mehr als 450 000 neue Anträge, unkalkulierbare Kosten und überforderte Ämter. Zuletzt deutetet sich auf SPD-Seite ein Kompromiss an. Das Gesetz könnte erst am 1. April in Kraft treten, aber ältere Kinder könnten rückwirkend zum 1. Januar Ansprüche geltend machen.

"Da würde Hamburg mitgehen", sagte Melanie Leonhard (SPD) der Süddeutschen Zeitung. Hamburgs Sozial-und Familiensenatorin koordiniert beim Unterhaltsvorschuss die SPD-regierten Länder - und weiß, dass da keineswegs alle an einem Strang ziehen. Das SPD-regierte Nordrhein-Westfalen etwa will Alleinerziehende erst von Juli an stärker unterstützen - ohne rückwirkende Zahlungen, denn das kostet. Schwesig aber brächte das bei Alleinerziehenden in Verruf.

Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wiederum will für die Reform keine zusätzlichen Bundesmittel opfern. Er bietet aber eine Revisionsklausel an, mit der die Folgen der Reform eines Tages überprüft werden könnten. Viel zu vage, warnt Hamburgs Sozialsenatorin Leonhard. Es sei klar festzulegen, dass Bund und Länder nach einem Jahr die Mehrkosten auswerten: "Wenn sie signifikant von den prognostizierten Zahlen abweichen, muss eine neue Finanzierung vereinbart werden." Es helfe auch nichts, dass der Bund anbiete, auf den Rückgriff zu verzichten - also auf Unterhalt, den Kommunen sich von säumigen Eltern zurückholen sollen, sagt Brandenburgs Staatskanzleichef Thomas Kralinski (SPD). In Ostdeutschland, wo besonders oft allein erzogen und besonders schlecht verdient werde, gebe es für Ämter oft gar kein Geld zurückzuholen. Das Angebot des Bundes sei "nicht akzeptabel". Und noch etwas wollen die Länder ändern. Rund 80 Prozent Alleinerziehende mit Unterhaltsvorschuss leben von Hartz IV. Sie müssen den Vorschuss erst beim Jugendamt beantragen, bevor er ihnen vom Jobcenter wieder abgezogen wird. Bürokratischer Unfug, der abgeschafft gehört, sagt der SPD-Politiker Kralinski. "Die Leistung sollte gleich zwischen den Ämtern verrechnet werden." Dies neu zu regeln könnte aber dauern.

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SZ vom 08.12.2016
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