Familienrecht:"Der Unterhaltspflichtige kann ganz schnell in eine schwierige Situation kommen"

Unterhaltsrecht, Scheidung

Wechselmodell und hohe Mieten schaffen neue Fakten, auf die das Unterhaltsrecht noch nicht eingestellt ist.

(Foto: Marcel Kusch/dpa)

Steigende Mieten und neue Betreuungsformen wie das Wechselmodell stellen Eltern bei Trennungen vor Herausforderungen. Ein Familienrichter hält Reformen beim Unterhaltsrecht für notwendig.

Interview von Edeltraud Rattenhuber

Alle zwei Jahre treffen sich Familienrichter, Anwälte und Jugendamtsmitarbeiter zum Deutschen Familiengerichtstag, beraten über Entwicklungen im Familienrecht und geben Empfehlungen an die Politik. Das diesjährige Treffen in Brühl dauert noch bis Samstag. Heinrich Schürmann leitet dort einen Arbeitskreis zur "Düsseldorfer Tabelle", der Berechnungsgrundlage für Unterhaltszahlungen. Der 68-Jährige kennt die Kämpfe um das Unterhaltsrecht aus der Praxis: Er war viele Jahre Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Oldenburg und ist nun Vizevorsitzender des Deutschen Familiengerichtstages.

SZ: Herr Schürmann, der Verband der Alleinerziehenden beklagt, dass Väter ihren Unterhalt nicht zahlen, und das Familienministerium sekundiert, es müsse viel Unterhalt vorschießen. Was ist da los?

Heinrich Schürmann: Selbst bei mittleren Einkommen sind viele Familien heute auf zwei Verdiener angewiesen und müssen gegebenenfalls noch Sozialleistungen wie Wohngeld oder Kinderzuschlag beziehen, um wirtschaftlich überhaupt über die Runden zu kommen. Wenn sich eine solche Familie trennt, konzentrieren sich die unterstützenden Sozialleistungen auf den Haushalt, in dem die Kinder wohnen. Der Unterhaltspflichtige, der die finanzielle Last tragen soll, sieht davon nichts mehr. Wenn er, bei insgesamt höherem Bedarf und sinkendem Nettoeinkommen dann noch Unterhalt bezahlen muss, kann er ganz schnell in eine schwierige Situation kommen.

Alleinerziehendenverbände sagen, manche Väter rechneten sich arm oder hätten schlichtweg keine Lust, zu zahlen.

Mit ein bisschen Fantasie und Engagement kann man sich natürlich seinen Unterhaltspflichten entziehen. Aber für die große Masse gilt das nicht.

Väter dagegen beschweren sich, dass sie den vollen Unterhalt zahlen, die Kinder aber immer öfter bei sich haben. Wie reagiert man als Familienrichter auf so etwas wie das "Wechselmodell"?

Es muss sich sehr viel und Grundlegendes ändern, die Frage ist nur wie. Das traditionelle Modell ist: einer betreut, der andere zahlt. Es entstammt dem Familienbild der 1950er Jahre. Das Rechenmodell der Familiengerichte, die Düsseldorfer Tabelle, trägt dem immer noch Rechnung. Es beruht darauf, dass in dem Haushalt, in dem das Kind seinen Lebensmittelpunkt hat, auch die sächliche Vollversorgung stattfindet, vom Essen über Kleidung bis hin zu den Schulbüchern und der Freizeitgestaltung. Doch schon bei längeren Umgangszeiten verschieben sich die Verhältnisse. Dann fällt ein Teil dieser Kosten im Haushalt des unterhaltspflichtigen Elternteils an. Beim "Wechselmodell" sind die Verhältnisse noch komplexer. Dies führt schnell in eine finanzielle Schieflage.

Frauen verdienen im Schnitt 30 Prozent weniger als Männer, Alleinerziehende leben häufig von Hartz-IV. Wenn beide Elternteile gleich belastet werden, entsteht da nicht auch eine Schieflage?

Die unterhaltsrechtlichen Regeln sind auf eine ausgewogene Lastenverteilung angelegt. Eltern müssen für den Barunterhalt nur im Verhältnis ihrer finanziellen Möglichkeiten einstehen, und wer kein ausreichendes Einkommen hat, ist auch nicht unterhaltspflichtig. Das Unterhaltsrecht kann aber nicht die Unterschiede bei den Verdienstmöglichkeiten zwischen Männern und Frauen ausgleichen.

Stichwort hohe Mieten: Wie ist es, wenn ein Unterhaltspflichtiger sagt, ich kann mir meine Miete nicht mehr leisten, wenn ich so viel Unterhalt zahlen muss?

Wenn Sie in die Düsseldorfer Tabelle schauen, sehen Sie, dass der Selbstbehalt erhöht werden soll, wenn die angemessenen Wohnkosten den Betrag von 380 Euro übersteigen. Ähnliche Formulierungen stehen auch in den Leitlinien vieler Oberlandesgerichte. Die gerichtliche Praxis macht von dieser Möglichkeit jedoch kaum Gebrauch, weil das Argument, es gäbe doch Wohnungen für eine Warmmiete von 380 Euro, schwer zu widerlegen ist.

Aber wo gibt es denn noch Wohnungen für 380 Euro Miete? In München nicht.

Es gibt solche Regionen, für Ballungszentren ist diese Annahme jedoch wenig realitätsgerecht. Das Problem der großen Unterschiede bei den Wohnkosten ist den Familienrichtern bewusst und die Mietendiskussion der beiden letzten Jahre hat es noch einmal in den Fokus gerückt. Dies ist sicher ein Punkt, der auf dem Familiengerichtstag intensiv diskutiert werden wird. Klar ist: Jeder braucht einen Mindestbetrag zum Leben, den man nach sozialrechtlichen Maßstäben für einen Erwerbstätigen mit etwa 700 Euro veranschlagen kann. Hinzu kommen die angemessenen Kosten für Wohnung und Heizung, in unserem Beispiel 380 Euro. Laut Düsseldorfer Tabelle entspricht die Summe von 1080 Euro dem notwendigen Eigenbedarf. Betragen die Wohnkosten hingegen 500 Euro, dann würde der notwendige Eigenbedarf um 120 Euro steigen, auf dann 1200 Euro.

Aber was bleibt in einem solchen Fall noch für den Unterhalt der Kinder?

Das Unterhaltsrecht kann nur das verfügbare Einkommen verteilen. Die verfügbare Masse wird durch den Grundsatz begrenzt, dass niemand durch die Zahlung von Unterhalt selbst sozialhilfebedürftig werden darf. Lassen sich keine anderen Einkommensquellen erschließen, bleibt als letztes Auffangnetz derzeit nur die Sozialhilfe. Die Gestaltung tragfähiger Lösungen für die Zukunft liegt in erster Linie in den Händen des Gesetzgebers.

Wie würde das aussehen?

In der Politik wird über eine Grundsicherung für Kinder diskutiert. Abhängig von der Ausgestaltung könnte sich daraus eine finanzielle Entlastung für Familien ergeben. Eine solche Änderung brächte zugleich weitgehende Änderungen im Sozial- und Steuerrecht mit sich. Ob und wann es so weit kommen wird, lässt sich aber noch nicht einmal ansatzweise absehen. Politik und Rechtsprechung stehen in jedem Fall vor großen Herausforderungen, denen sie sich nicht auf Dauer werden entziehen können.

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