Unruhen in Xingjiang:Friedlicher Protest mit blutigen Folgen

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Die Unruhen in Urumqi begannen als kleine Demonstration uigurischer Studenten - und eskalierten, bis die Stadt fast im Chaos versank.

H. Bork, Urumqi

Mannschaftswagen voller paramilitärischer Einheiten stehen vor dem Tor. Polizisten kontrollieren den Zutritt. Im Inneren haben die Dozenten eine Art Bürgerwehr gebildet, um ihre Studenten zu schützen. Die Xinjiang-Universität in Urumqi, dem Ort, in dem am Sonntag die Unruhen zwischen Chinas Polizei und Uiguren begonnen hatten, gleicht am Mittwoch einer belagerten Burg.

Mit Stöcken bewaffnt patroullieren chinesische Soldaten in Urumqi. (Foto: Foto: dpa)

"Wir sind aufgefordert worden, noch heute unsere Sachen zu packen und heim zu unseren Familien zu fahren", sagt ein uigurischer Student im vierten Stock eines der Wohnheime. Ursprünglich hätten die Semesterferien erst am 20. Juli begonnen. Doch nun hat es Chinas Regierung eilig, einen aus ihrer Sicht gefährlichen Unruheherd zu befrieden.

Ein friedlicher Protest

Vom Campus dieser Universität aus war am vergangenen Sonntagabend eine kleine Gruppe von uigurischen Studenten ins Zentrum Urumqis gezogen. Es sollen ungefähr 80 Studenten gewesen sein. "Es war eine friedliche Demonstration", sagt ein Student. Die Uiguren hatten auf ihren Laptops im Studentenwohnheim Videobilder der Gewalt in Shaoguan in Südchina gesehen, wo Chinesen zwei Uiguren nach Gerüchten über eine Vergewaltigung erschlagen hatten. "Die Regierung hat diesen Vorfall bis heute nicht anständig untersucht, und dagegen hatten unsere Kommilitonen friedlich demonstrieren wollen", sagt ein Geologie-Student im dritten Semester.

Was als friedliche Demo begann, eskalierte dann unter bislang nicht völlig geklärten Umständen zu Unruhen, in deren Folge nach offiziellen Angaben 156 Menschen ums Leben kamen und mehr als 1000 verletzt wurden. "Als die Studenten den Basar im Zentrum der Stadt erreichten, mischten sich arbeitslose Jugendliche unter die Menge. Dann begann die Gewalt. Die Studenten hatten noch versucht, die Randalierer davon abzuhalten", erzählt ein Student. Ob er selbst bei der anfänglichen Demonstration dabei war, will er nicht sagen. Chinas Polizei macht derzeit in Großrazzien Jagd auf "Unruhestifter". In der ganzen Stadt, auch in der Universität, herrscht eine Atmosphäre der Angst.

Nachdem am Sonntag offenbar eine unbekannte Zahl von Han-Chinesen von randalierenden Uiguren ermordet worden waren, hatten sich am Dienstag viele Chinesen in Urumqi mit Eisenstangen und Knüppeln bewaffnet. Die Stadt drohte vorübergehend im Chaos zu versinken. Am Mittwoch dann verstärkte die Staatsmacht ihre bereits erhebliche Präsenz von Sicherheitskräften in der Stadt. Paramilitärische Einheiten ("wujing") aus der weit entfernten Provinz Qinghai wurden nach Urumqi verlegt. Eine Hundertschaft dieser Neuankömmlinge, zum Teil mit Schnellfeuergewehren bewaffnet, hatte am Mittwoch die Zufahrtsstraße zum Haupttor der Uni abgesperrt.

Debatte im Flüsterton

In den kleinen Zimmern der Studenten, wo sich gewöhnlich vier oder mehr Kommilitonen Etagenbetten aus Eisenstangen und zwei kleine Studiertische teilen, wurde am Tag drei der Gewalt im Flüsterton über die blutigen Ausschreitungen debattiert. Vielen Studenten war anzumerken, dass sie ernsthaft von diesem Ergebnis ihrer Protestaktion schockiert waren. Etwa ein Drittel der mehr als 30.000 Studenten der Xinjiang-Universität, die über drei Stadtviertel verteilt ist, sind Uiguren. Obwohl einige von einer "gläsernen Mauer" zwischen han-chinesischen und uigurischen Studenten reden, sind die Beziehungen zwischen beiden Volksgruppen an der Universität normalerweise ruhig. Chinesische und uigurische Studenten teilen sich Zimmer.

Die Frage, ob die Sicherheitskräfte am Sonntag unnötig heftig eingeschritten waren und so zur Eskalation beigetrugen, war in den heimlich geführten Interviews nicht zu klären. Die Exil-Uiguren im Ausland behaupten dies unter Berufung auf eigene Quellen in Xinjiang. Aus einem friedlichen Protestzug habe die Polizei anfänglich etwa 70 junge Leute herausgenommen. Erst danach sei es zu Unruhen gekommen, behaupten sie. Einzelne uigurische Studenten geben jedoch auf Nachfrage auch zu, dass "unschuldige Chinesen ermordet" worden seien.

Wie eine Stadt im Bürgerkrieg

Die Stadtviertel rings um den Haupt-Campus der Xinjiang-Universität gleichen auch am Mittwoch noch einer Stadt im Bürgerkrieg. Viele Scheiben von Banken, Restaurants und selbst kleinen Läden der uigurischen Minderheit sind am Sonntag eingeworfen worden. Vor den nun vielerorts heruntergelassenen Rollläden stehen Autos mit zertrümmerten Heckscheiben oder Motorhauben. Davor patrouillieren Trupps in Tarnanzügen oder Spezialeinheiten der Polizei. Zwei Militärhubschrauber der Luftwaffe kreisten den ganzen Tag über am Himmel. Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua berichtete, dass viele Geschäfte geschlossen hätten. Vielerorts seien Nahrungs- und Wasservorräte knapp. Gemüse koste zwei- oder dreimal so viel wie vor den Unruhen. Die meisten Menschen seien zu Hause geblieben, Arbeitgeber hätten ihren Mitarbeitern freigegeben.

Das Internet ist nach wie vor komplett abgeschaltet. In den offiziellen Medien wurden Exil-Uiguren für die Unruhen verantwortlich gemacht. Zugleich kursierten ständig neue Gerüchte. Eines besagte, ein Chinese sei erneut von einem Uiguren geschlagen worden. Daraufhin versammelte sich eine Menge wütender Han-Chinesen in der Nähe des "Volksplatzes", dem Sitz der örtlichen Regierung. Erst mit einem massiven Aufgebot von Polizei konnte die Lage wieder beruhigt werden. Später hieß es, in Wirklichkeit habe ein Chinese einen Uiguren geschlagen, was jedoch ebenfalls nicht zu verifizieren war.

© SZ vom 9.7.2009/vw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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