Unruhen in Iran:Die Logik der Spaltung

Aufruhr in Iran: Der Gottesstaat der Revolutions-Ayatollahs zerfällt, weil das Land nicht Demokratie und theokratische Diktatur gleichzeitig sein kann. Das Ende des Chomeini-Staates ist deshalb aber noch nicht zu erwarten.

Tomas Avenarius

Die Iraner leben in einem unruhigen Land: 1906 haben sie dem Qajaren-Schah in der "konstitutionellen Revolution" Parlament und Verfassung abgetrotzt. In den 50er Jahren widersetzte sich der Nationalist Mohammed Mossadeq dem Willen der britischen und amerikanischen Vormächte, bis er weggeputscht wurde. 1979 krachte die Pahlawi-Monarchie zusammen: Zum Einsturz gebracht von Islamisten, Kommunisten und Bürgerlichen unter Führung von Ayatollah Chomeini.

Iran, Proteste, AP

Eine Anhängerin des unterlegenen Reformkandidaten Mussawi bei einer Demonstration in Teheran.

(Foto: Foto: AP)

Jetzt gerät der Gottesstaat des Revolutions-Ayatollahs selbst unter Druck: Hunderttausende Demonstranten verlangen, dass die unsaubere Präsidentschaftswahl wiederholt wird. Der angebliche Wahlsieger, Mahmud Ahmadinedschad, wird zum Symbol für das Unrecht. Das Ende des Chomeini-Staates ist deshalb allerdings noch nicht zu erwarten.

Die ersten Toten belegen, dass das Regime vor Gewalt nicht zurückschreckt. Zwar wird ein Teil der Wahlzettel neu ausgezählt, aber das Zugeständnis dürfte taktisch sein. Die Führung um Ayatollah Ali Chamenei hat klargestellt, dass sie zu Neuwahlen nicht bereit ist.

Zumal die Opposition nicht nachvollziehbar belegt, dass die Wahl vollständig gefälscht und Oppositionskandidat Mir Hussein Mussawi um den Sieg betrogen worden ist. Das mag zwar sein. Es ist aber angesichts der Popularität Ahmadinedschads bei den ärmeren Bevölkerungsschichten keine ausgemachte Tatsache.

Unabhängig vom Ausmaß der Unregelmäßigkeiten gewinnt die Auseinandersetzung nun an Eigendynamik. Die wachsende Zahl der Demonstranten macht es schwierig, die Kontrolle zu behalten. Provokateure der Sicherheitskräfte werden jede Gelegenheit nutzen, die friedlichen Proteste zu diskreditieren. Neue Gewalt ist wahrscheinlich. Zumal für die Ayatollahs mehr auf dem Spiel steht als nur die polarisierende Figur Ahmadinedschad.

Die Furcht der autoritären Spitze

Die Islamische Republik ist ein Zwitterding aus einer theokratischen Diktatur und einer Demokratie. Ein Staat, in dem die politische und persönliche Freiheit seit Jahrzehnten massiv eingeschränkt wird. Ein Staat, in dem 60 Prozent der Bürger unter 30 Jahre alt sind - Menschen, denen Freiheit ein drängendes Anliegen ist. Bei den Protesten bricht sich nun aller Ärger Bahn: Es wird bald nicht mehr alleine um diese Wahl gehen, sondern um mehr: um die Freiheit.

Wie in allen autoritären Systemen fürchtet die Spitze, dass ein Zeichen der Schwäche lediglich neue Forderungen nach sich zieht. Hinzu kommt, dass Iran unter Ahmadinedschad "paramilitarisiert" worden ist: Der Präsident hat die Revolutionsgarden massiv ausgebaut. Er hat ihnen Privilegien, Einfluss und Macht gewährt. Diese Kohorten dürften für ihn einstehen. All das weiß Chamenei. Er ist der mächtigste Mann im Staat. Nun ist er verdammt dazu, die Balance zu finden zwischen den Extremen. Er ist ein Konservativer, ein Islamist bis auf die Knochen - im Zweifel könnte er gegen die Opposition entscheiden.

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