Unruhen in Haiti:Die UN in Zeiten der Cholera

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Hilfsorganisationen kämpfen gegen die Cholera, UN-Truppen um die Stabilität des Landes. Doch hartnäckig hält sich die Frage, ob die Blauhelme selbst den Erreger eingeschleppt haben.

Lena Jakat

Sauberes Wasser, Zucker und Salzstoffe: Die Mittel im Kampf gegen die Cholera klingen bescheiden. Doch der Erreger ist schneller als die Pakete der Hilfsorganisationen, er verbreitet sich rasend über verunreinigte Flüsse, verseuchte Wasserlöcher und schmutziges Trinkwasser. 17.000 Menschen sind seit ihrem Ausbruch Mitte Oktober an der Durchfallepidemie erkrankt, 1100 gestorben.

Eine Mutter trägt ihr Kind zu einem Krankenhaus in Port-au-Prince. Das Mädchen weist Symptome von Cholera auf. (Foto: REUTERS)

In der vergangener Woche gerieten die Hifsmaßnahmen noch mehr ins Stocken: Hunderte wütende Haitianer gingen auf die Straße. Sie skandierten "Minustah raus!". Minustah ist das Kürzel für die UN-Mission die den gescheiterten Insestaat seit 2004 stabilisieren soll. "UN = Cholera" war auf ihren Bannern und auf Graffittis an den Mauern von Uno-Gebäuden zu lesen.

Friedenstruppen aus Nepal, so der Vorwurf der aufgebrachten Menschen, sollen die Cholera-Keime eingeschleppt haben. Schon um den 20. Oktober herum wurden die Anschuldigungen zum ersten Mal laut, zwei Wochen später schrieb ein US-Blogger auf Haitian Truth: "Kuss des Todes: Minustah verantwortlich für Cholera-Ausbruch". Am Montag schlugen die Verdächtigungen in Gewalt um, Menschen wurden verletzt, ein Demonstrant in Notwehr von UN-Kräften erschossen.

Brachten tatsächlich die Helfer die Seuche?

Auf den ersten Blick lassen die Laborergebnisse kaum einen anderen Schluss zu. Der Erreger in Haiti gehört zu einem südostasiatischen Erregerstamm. "Es kann gut sein, dass der Erreger aus Asien eingeschleppt wurde", sagt Jürgen May, Epidemologe am Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin zu sueddeutsche.de. Die Cholera-Erkrankungen sind die ersten seit mehr als hundert Jahren auf Haiti. Wäre der Erreger bereits dagewesen, hätte sich schon vorher jemand infiziert, so May.

Im Augenblick sind etwa 9000 Uno-Soldaten auf Haiti stationiert, 710 von ihnen kommen aus Nepal. Das kleine Land am Himalaya stellte 2009 ein Zehntel der Minustah-Truppen: 1250 Soldaten und Polizisten, ebenso viel wie Brasilien. Das Lager der Nepalesen liegt in der Stadt Mireballais, in der Zentralprovinz des Landes. In der Nähe ein Fluss. Aus den Abflüssen des Camps seien die Erreger in den Fluss gelangt, dessen Wasser zum Kochen, Waschen und Trinken dient, werfen die Demonstranten der Uno vor. "Wir haben alles untersucht", sagt Vincenzo Pugliese, Minustah-Sprecher in Port-au-Prince zu sueddeutsche.de, "das Abwasser, das Frischwasser und das Wasser des Flussabschnitts beim Camp: keine Erreger, nirgends."

Zerstörtes Haiti
:Vor und nach dem Beben

Das schwere Erdbeben, das in der Nacht zum Mittwoch Haiti verwüstet hat, traf das Land mit voller Naturgewalt - weite Teile von Port-au-Prince liegen in Schutt und Asche, wie auch Bilder von Google Earth zeigen.

Alle Uno-Soldaten werden vor ihrer Stationierung auf Infektionen untersucht, auch auf Cholera. "Wir haben die ärztlichen Berichte all unserer Männer geprüft", sagt Pugliese. Fortlaufend würden die Soldaten außerdem auf den Erreger getestet. "Es gibt kein Anzeichen für Cholera bei den Soldaten." Zudem dürfe man den Ursprung der Bakterien nicht missverstehen, so Pugliese.

Wütende Proteste richten sich in Haiti gegen die Blauhelmsoldaten: Uno-Truppen aus Nepal wird vorgeworfen, die Cholera-Erreger eingeschleppt zu haben. (Foto: AFP)

Weltweite Reisen und Handel böten Infektionskrankheiten wie der Cholera viele Möglichkeiten, sich auszubreiten, heißt es in der ersten Analyse des US-Epidemie-Instituts CDC, das den Erreger untersucht hat. Auf jeden Cholera-Kranken kommen vier bis zehn Infizierte, bei denen die Krankheit nicht ausbricht. Obendrein hindern gute Hygieneverhältnisse den Erreger daran, sich weiter auszubreiten. "Er kann von überall eingeschleppt worden sein", sagt Pugliese.

Obendrein deutet nach Ansicht des UN-Sprechers alles darauf hin, dass die gewaltbereiten Demonstranten vom Wochenbeginn die Cholera nur als Deckmantel nutzten - um mit den Ausschreitungen eine Verschiebung der Wahl am nächsten Sonntag zu erwirken. "Das war eine orchestrierte Aktion", so Pugliese. Die Proteste seien von Anfang an gewaltsam gewesen, und zur exakt gleichen Uhrzeit an mehreren Stellen in der Stadt aufgeflammt, unangemeldet. Zudem hätten die Proteste Hilfsmaßnahmen verhindert. "Das würde für echte Demonstranten ja überhaupt keinen Sinn machen."

Am Sonntag werden in Haiti Präsident und Abgeordnetenhaus neu gewählt. Die Parlamentswahlen waren nach der verheerenden Erdbebenkatastrophe verschoben worden. Es sind die wohl schwierigsten Wahlen in der Geschichte des Landes. Sie entscheiden, ob es dem krisengebeutelten Staat gelingt, sich zu stabilisieren.

Favoritin für die Präsidentschaft ist Umfragen zufolge Mirlande Manigat, die Ehefrau des ersten demokratisch gewählten Präsidenten Haitis. Die 70-jährige Universitätsprofessorin verkörpert eine Alternative zur herrschenden Politikerklasse. Für die steht Jude Célestin, Manigats Hauptkonkurrent. Er wird vom amtierenden Präsidenten René Préval unterstützt, den die Verfassung daran hindert, erneut selbst zu kandidieren. Zusätzlich bewerben sich 17 Außenseiterkandidaten um das Präsidentschaftsamt.

Die Proteste vom Wochenbeginn könnten die blutige Kampagne von einem dieser 19 Kandidaten sein. "Haiti ist sehr verletzlich, die Menschen sind angespannt", sagt Uno-Sprecher Pugliese. Die Friedenstruppen riefen die Haitianer auf, sich nicht manipulieren zu lassen.

Die Wahlen sind der erste kleine Schritt auf dem Weg zu einer politischen Normalisierung. Anderswo ist dieser erste Schritt schon getan: Am Wochenende konnten die Hilfsmaßnahmen für die Cholera-Erkrankten wieder geregelt ablaufen.

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