Unruhen im Südsudan:Ein Land droht zu zerbrechen

Eine jungen Nation am Rande des Chaos: Blutige Unruhen erschüttern den Südsudan, mindestens 500 Menschen sind innerhalb weniger Tage bei Kämpfen ums Leben gekommen - darunter viele Zivilisten und drei Blauhelm-Soldaten. Wie konnte es dazu kommen? Wie ist die Lage vor Ort? Vier Südsudan-Beobachter erklären die Situation.

Von Isabel Stettin

Displaced Sudanese civilians arrive at the United Nations Mission in the Republic of South Sudan compound on the outskirts of the capital Juba

Zivilisten suchen im Südsudan nach gewaltsamen Unruhen Zuflucht auf einem Gelände der Vereinten Nationen.

(Foto: REUTERS)

Heftiger Konflikt im jüngsten Land der Welt: Die Vereinten Nationen sprechen von inzwischen 500 Toten im Südsudan, anderen Quellen zufolge sind es sogar 800. Landesweit sind etwa 35.000 Menschen in UN-Einrichtungen geflohen. Am Donnerstag wurden in einem UN-Lager in Akobo in der Provinz Jonglei zwei Blauhelm-Soldaten getötet. Flugzeuge der Bundeswehr bringen deutsche Staatsbürger außer Landes. Nachdem sich die Lage in der Hauptstadt Juba zunächst beruhigt hatte, haben die Kämpfe zwischen unterschiedlichen Fraktionen der Armee inzwischen auch andere Regionen erreicht.

Was war der Auslöser? Präsident Salva Kiir Mayardit wirft dem ehemaligen Vizepräsidenten Riek Machar vor, einen Putsch geplant zu haben. Machar hat bereits vor Monaten erklärt, Kiir als Präsidenten ablösen zu wollen. Die Armee ist in dem Machtkampf gespalten. Soldaten der ethnischen Gruppe der Dinka, der auch Präsident Kiir angehört, stehen nun Nuer-Soldaten gegenüber, die zu Machar stehen. Die Bevölkerung im Südsudan setzt sich aus mehr als 60 Ethnien zusammen. Mehr als 40 Prozent der Bevölkerung sind Dinka, etwa 20 Prozent zählen zu den Nuer.

Wie ist die Lage und was sind die Aussichten? Süddeutsche.de hat vier deutsche Südsudan-Kenner gefragt. Sie stehen in ständigem Kontakt mit Einheimischen, den Vereinten Nationen und Hilfsorganisationen vor Ort.

Peter Schumann, früherer UN-Regionalkoordinator von UNMIS (United Nations Mission in the Sudan) in Juba /Südsudan

Peter Schumann Vereinte Nationen

Peter Schumann, UN-Diplomat und ehemaliger UN-Koordinator für den Südsudan

(Foto: Torsten Hönig)

"Nach meiner Ansicht befindet sich der Südsudan bereits in einem Bürgerkrieg. Auf beiden Seiten wurden Leute umgebracht. Fraktionen der offiziellen Regierungsarmee kämpfen gegeneinander. Seit dem Wochenende finden systematische Massaker statt. Nach UN-Schätzungen gibt es bislang 500 Tote in der Hauptstadt Juba. Die Leichen werden zum Teil in den Nil geschmissen, andere liegen auf der Straße. Wir werden darum vielleicht nie herausfinden, wie viele Opfer es wirklich gegeben hat.

Berichte von Dienstag und Mittwoch besagen, dass nicht identifizierbar Uniformierte von Haus zu Haus zogen. Sie stehlen, schlagen, morden. Wir haben unsere Informationen von Flüchtlingen, die auf das UN-Gelände am Flughafen in Juba oder in Kirchen geflüchtet sind und von dort aus berichten. Die Mission der Vereinten Nationen zur Absicherung des Friedens im Südsudan (UNMISS) konzentriert sich auf den Schutz und Versorgung der Vertriebenen.

Unter den Flüchtlingen sind Angehörige aller Volksgruppen. Allein Dienstagnacht wurden im UN-Camp drei, vier Kinder geboren. Ohne Schutz gehen die Frauen nicht zurück nach Hause. In die Wohngebiete in Juba traut sich im Moment niemand. Wenn die Flüchtlinge zurückkehren, ist ihr Haus oft geplündert. Sie stehen vor dem Nichts. In den Lagern gehen die Lebensmittelvorräte und Medikamente zur Neige. Die humanitäre Not wird sich bald verschärfen.

Die Vielfalt der südsudanesischen Gesellschaft, eine ihrer großen Stärken, wird gerade im politischen Machtkampf instrumentalisiert. Die Ereignisse der letzten Tage stellen ohne Zweifel eine sehr unmittelbare Bedrohung dar, vor allem für Zivilisten bestimmter ethnischer Gruppen und politischer Zugehörigkeit. Berichte unterschiedlichster Beobachter, auch von Seiten der UNMISS, bestätigen die vorrangige Gefährdung der Nuer. Jetzt muss vor allem das akute Morden eingedämmt werden. Doch eine Lösung des Konflikts zeichnet sich nicht ab.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat Präsident Kiir in dieser Woche angerufen und ihn aufgefordert, seinen Gegnern ein "Dialogangebot" zu machen, um die Kämpfe zu beenden. Schon im Oktober und November gab es seitens des Militärs und der Polizei Übergriffe gegen UN-Personal und -einrichtungen. Die Sondergesandte für den Südsudan, Hilde Johnson, spricht von 68 Übergriffen. Das könnte dazu beitragen, dass sich die UN zurückhält. Doch das wäre fatal. Für die Bevölkerung ist es wichtig, wenn der Generalsekretär sagt: Wir haben ein Mandat, wir schicken Leute raus."

"Das kaltblütige Morden geht weiter"

Marina Peter, Leiterin des Sudan Forums, seit 30 Jahren im Einsatz für Frieden und Verständigung im Sudan und jetzt auch im Südsudan

"Ich stehe stündlich in Kontakt mit Leuten vor Ort. Das Schlimmste seien die Nächte, sagen sie. Dann komme es zu Hausdurchsuchungen und Plünderungen. Menschen flüchten, suchen Schutz, auf dem UN-Gelände oder bei Kirchen. Doch es war und ist aufgrund der Ausgangssperren und Militärpatrouillen nicht einfach, dort hinzugelangen.

Die Notdienste der großen Organisationen, etwa des Internationalen Roten Kreuzes, konnten wegen der Schießereien am Wochenende zuerst nicht raus, um zu helfen. Die Krankenhäuser sind seit Montag voll. Es gibt keine Blutkonserven mehr. Für die Hilfsorganisationen ist gerade jetzt ein denkbar schlechter Zeitpunkt mit Weihnachten und Neujahr. Viele der Helfer sind in den Ferien. Etliche sind geschockt, in einigen Hauptquartieren fordern sie bereits den Abzug. Dass einige NGOs ihre Helfer außer Landes bringen, ist ein schlechtes Signal. Es ist unklar, wer jetzt in der Lage ist, kurzfristig zu helfen.

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Insgesamt 35.000 Zivilisten sind im Südsudan nach Unruhen in Lagern der Vereinten Nationen in Juba und Bor untergekommen. Viele sind noch auf der Flucht, darunter auch ausländische Helfer und Mitarbeiter von Firmen.

(Foto: AFP)

Dass die Vereinten Nationen ihr Gelände für die Geflüchteten geöffnet haben, ist gut und sehr wichtig. Doch das Mandat der UNMISS sieht auch den aktiven Schutz der Bevölkerung vor. Das wird derzeit nach meiner Ansicht nicht erfüllt. Nun ist die Frage, ob die Situation noch kontrollierbar ist. Im Moment sehe ich schwarz. Seit Mitte der Woche spitzt sich die Lage besonders in den Regionen um Juba deutlich zu. Am Flughafen versuchen alle Ausländer auszureisen."

Nachricht eines deutschen Beraters an Marina Peter (Dienstag): "Mein erster Versuch abzureisen hat nicht geklappt (...) Es gibt eine lange Warteliste, wie viele Maschinen sie einfliegen, ist völlig offen. (...) Auf dem Weg zum Flughafen ist es fast, als wäre nichts passiert. Verkehr, viele Leute zu Fuß, normales Business. Jedoch sitzen überall Schwerbewaffnete am Straßenrand (...) Amerikaner stehen in größeren Gruppen zusammen und warten auf ihre Evakuierung."

"Ich selbst bin letzte Woche am Donnerstag vom Südsudan zurückgekehrt. Es hatte sich lange angedeutet, dass sich die Lage massiv verschärft. Der politische Konflikt hat nun in den vergangenen Tagen eine ethnische Komponente bekommen. Die Büchse der Pandora ist geöffnet. Soldaten beider Gruppen gehen von Haus zu Haus. Das hat sich verselbständigt. Ganz viele Leute berichten von Gräueltaten, sie erzählen von Zivilisten, die abgeschlachtet werden, oft nur aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit."

In Mails an Marina Peter schildern Südsudanesen ihre Lage: Ein Arzt aus Juba schrieb am Dienstagnachmittag: "Im Moment haben die wahllosen Schießereien in Juba sich beruhigt. Doch das kaltblütige Morden geht weiter ... Wir wissen nicht, was heute Nacht passieren wird."

Dienstagabend, eine Aktivistin meldet sich: "lch habe von einem unserer Männer bei der Armee gehört, der bei einer Militärpatrouille auf einen Wagen voller Leichen gestoßen ist."

Nachricht eines Pastors aus Juba, Mittwoch: "Vor einer Stunde wurde ein junger Südsudanese niedergeschossen, in unmittelbarer Nähe meines Anwesens. Sicherheitspersonal und die Polizei kamen, machten Fotos und ließen den Toten in der Sonne liegen. Der Großteil meiner Nachbarn ist bereits davongelaufen."

Aktivist aus Juba: "Es scheint, dieses Land wird niemals vereint sein oder wird dauerhaft unter ausländischer Herrschaft stehen müssen, um die Bevölkerung zusammenzuhalten."

"Das Ende der demokratischen Entwicklung ist eingeleitet"

Annette Weber, Stiftung Wissenschaft und Politik, Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika:

... über den Hintergrund: "Ich habe in den vergangenen Tagen ständig telefoniert und Nachrichten über Facebook hin und her geschrieben, vor allem mit ehemaligen Ministern und Hilfsorganisationen. Über Twitter lese ich viele Gerüchte - schwer zu sagen, was davon stimmt. Im April war ich zuletzt vor Ort. Die Auseinandersetzungen, die nun zu den Kämpfen geführt haben, gibt es schon länger. Seit Machar seine Kandidatur gegen Kiir bei der Präsidentschaftswahl 2015 angekündigt hatte, hat sich die Lage zugespitzt."

.... über die Gründe für die Eskalation: "Präsident Kiir regiert mehr und mehr selbstherrlich. Er bezieht das Parlament nicht mehr ein. Die Regierungspartei ist seit Monaten zerstritten. Im Juli hat Kiir Vizepräsident Machar und etliche Minister entlassen. Am Wochenende ist die Situation eskaliert. Mitglieder der ehemaligen Rebellenorganisation und jetzt regierenden Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung (SPLM) haben unter Führung von Machar Präsident Kiir öffentlich diktatorisches Verhalten vorgeworfen. Das war ein rotes Tuch für den Präsidenten."

South Sudan's President Salva Kiir wipes his face during a news conference in Juba

Präsident Salva Kiir signalisierte bei einer Pressekonferenz am Mittwoch seine Gesprächsbereitschaft. Er sei bereit für den Dialog mit seinem Rivalen Machar.

(Foto: REUTERS)

... über die Folgen: "Der Streit zwischen Kiir und seinern Gegnern um Machar hat vermutlich dazu geführt, dass es in den Baracken im Norden und Süden Jubas unter den Soldaten Gerüchte gab, ihre jeweiligen ethnischen Anführer sollten verhaftet werden. Meinen Informationen zufolge kamen so die Schießereien Samstagnacht zustande. Diese Reaktionen sind irrational. Wenn Präsident Kiir mehr Durchsetzungskraft hätte, hätte er die Streitgruppen getrennt, statt gegen alle politischen Oppositionellen vorzugehen. Insgesamt hat er zehn Oppositionelle beziehungsweise politische Gegner verhaften lassen. Doch es gibt keine Grundlage für die Verhaftung beziehungsweise keine Anklage. Damit hat in meinen Augen das Ende der demokratischen Entwicklung begonnen."

... über die Macht des südsudanesischen Präsidenten: "Aktuell hat Kiir keine Kontrolle über eine Mehrheit in der Armee. In den vergangenen Tagen sind deshalb alle möglichen Gruppen durch die Hauptstadt Juba gezogen, wo sie gezielt "ethnische Säuberungen" durchgeführt haben. Dabei gehen sie von Haus zu Haus und ermorden Mitglieder bestimmter ethnischer Gruppen. Nuer, zu denen Ex-Vizepräsident Machar gehört, werden getötet. Auf der anderen Seite sind viele Dinka, zu denen Präsident Kiir gehört, getötet worden. Es gibt viele Verletzte mit Schusswunden. Leichen liegen noch unbeerdigt zu Hause oder auf der Straße, die Leichenhäuser sind überfüllt."

Violence in South Sudan claims more than 400 lives, UN says

Der ehemalige Vizepräsident Riek Machar bestreitet einen angeblichen Putschversuch.

(Foto: dpa)

... über die Perspektiven: "Das sind sehr bedenkliche Dynamiken, die wir im Südsudan beobachten. Problematisch sind nun weitere Auseinandersetzungen in Regionen, in denen die größten ethnischen Gruppen Dinka und Nuer sehr nah beieinanderleben."

"Zweifel am Putschversuch"

Roman Deckert, Länderanlalyst bei der NGO Media in Cooperation and Transition (MICT)

Roman Deckert, Sudan, NGO MICT

Roman Deckert, Länderanlalyst Sudan/Südsudan bei der NGO Media in Cooperation and Transition (MICT)

(Foto: Jonas Groß)

"Präsident Kiir hat am Mittwoch seine Gesprächsbereitschaft mit Machar erklärt. Das gibt Hoffnung. Beobachter fragen sich, ob er entsprechenden internationalen Druck bekommen hat. Mittwochnachts war es in Juba relativ ruhig, vereinzelte Schüsse wurden gemeldet. Doch in anderen Teilen des Landes bricht die Staatsarmee auseinander. Betroffen sind vor allem Jonglei und Unity State, dem Gebiet mit der Hauptölförderung. Damit ist die volkswirtschaftliche Grundlage in Gefahr.

Man weiß nicht, was im Busch abgeht, wo nicht getwittert wird. Da ist das Schlimmste zu erahnen. Es herrscht Chaos, Angst, Leute werden vermisst. Es sind noch viele Opfer zu befürchten. Primär sind Kombattanten betroffen, aber vor allem in Juba sind bei den Schießereien Zivilisten ums Leben gekommen.

Viele Leitmedien schreiben vom Putschversuch von Machar. Doch von den internationalen Beobachtern und Analysten glaubt das kaum einer, zumindest bestehen sehr große Zweifel. Die offizielle Version eines Militärcoups muss stark hinterfragt werden.

"Machar war dabei, sich zu rehabilitieren"

Wichtig ist es dabei, den persönlichen Hintergrund der Protagonisten zu sehen. Kiir ist ursprünglich kein Politiker, sondern Soldat. Innerhalb des Rebellenapparats war er lange Jahre Geheimdienstchef, was auch gewisse Handlungsmuster erklärt. Sein Gegenspieler, Ex-Vizepräsident Machar, ist zwar auch ein Warlord, aber ein brillanter Redner und Stratege. Machar hat in England studiert und besitzt einen Doktortitel in Philosophie und strategischer Planung. Das ist ein Argument der Analysten: Ein so plumper Putschversuch seitens Machar ergibt keinen Sinn. Schon gar nicht, während der Präsident im Land ist. Machar war zudem gerade dabei, sich nach seiner Entlassung als Vizepräsident politisch zu rehabilitieren. Allerdings verspielt Machar mit seinem jüngsten Vorgehen seine relativ starke Stellung, zumindest im diplomatischen Bereich.

Es gab schon immer Machtkämpfe im Südsudan, viel Blut ist geflossen. Es ist auch vorstellbar, dass sie sich wieder zusammenraufen. Jetzt ist die Frage, wie ein Friedensprozess initiiert werden könnte - womöglich über den UN-Sicherheitsrat.

Deutschland hat sich stark engagiert

Am 28. November hat der Bundestag entschieden, sich für ein weiteres Jahr an der Mission im Südsudan (UNMISS) zu beteiligen. Über die Konsequenzen muss nun nachgedacht werden. Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren stark engagiert, ist einer der wichtigsten Geldgeber und hat das aufwändige Entwaffnungsprogramm mitfinanziert.

Wie man jetzt unter diesen Bedingungen weitermacht, wird sich zeigen müssen. Viele Helfer haben den Südsudan mühsam unterstützt und es kaum geschafft, Grundstrukturen aufzubauen. Nun droht alles zu zerbrechen."

Linktipps: Der Journalist André Surén wurde aus dem Südsudan evakuiert. Im Interview schildert er seine Eindrücke. Human Rights Watch hat im September 2013 einen Bericht über ethnische Konflikte und Gewalt veröffentlicht (PDF). Annette Weber hat den "Transformationsstau im Südsudan" analysiert (PDF). Auf ihrer Hompage informiert die UNMISS (United Nations Mission in the Republic of South Sudan) über ihren Einsatz und gibt Infos zum UN-Mandat. Arte hat den Aufbau des jüngsten Staates der Welt dokumentiert. BBC hat in einem Länderprofil die wichtigsten Fakten zusammengetragen.

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