Unruhe in der arabischen Welt:"Verstörender Trend zur Selbstverbrennung"

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Nach dem Sturz des tunesischen Präsidenten fürchten auch andere arabische Machthaber den Zorn der Armen. Wie groß deren Verzweiflung ist, belegt eine ganze Serie von Selbstverbrennungen auch außerhalb von Tunesien.

Als die Polizei seinen Gemüsestand in der tunesischen Stadt Sidi Bouzid wieder einmal schloss, griff Mohamed Bouazizi zu einem der drastischsten Mittel des Protestes, die es gibt: Der 26-jährige Akademiker verbrannte sich selbst. Nach seinem Tod am 5. Januar eskalierten die Unruhen in Tunesien, die schließlich zum Sturz des Machthabers Zine el-Abidine Ben Ali führten.

Am 17. Januar zündete sich Abdouh Abdel Moneim vor dem Parlament in Kairo an. Das Feuer konnte jedoch schnell gelöscht werden, der Restaurantbesitzer überlebte verletzt. (Foto: N/A)

Etliche Menschen in der arabischen Welt haben sich seine Tat offenbar zum Vorbild genommen. In den vergangenen Tagen ist es in und außerhalb von Tunesien zu einer ganzen Serie von Selbstverbrennungen gekommen. So starb in der ägyptischen Hafenstadt Alexandria am Dienstag ein 25-jähriger Arbeitsloser, der sich auf dem Dach seines Elternhauses mit Benzin übergossen und angezündet hatte.

Am selben Tag hatte sich ein Mann vor dem ägyptischen Parlament in Kairo mit Benzin übergossen, wurde jedoch aufgehalten, bevor er sich anzünden konnte. Und am Montag hatte sich dort bereits ein Mann angezündet, der damit gegen die Schließung seines Restaurants durch die Behörden protestieren wollte. Beide überlebten verletzt.

Auch in Algerien versuchten sich in den vergangenen Tagen mehrere Menschen selbst zu verbrennen. So hatte lokalen Medien zufolge ein 36-jähriger Vater von sechs Kindern in der algerischen Provinz El Oued an der Grenze zu Tunesien versucht, sich auf diese Weise zu töten, nachdem seine Suche nach einem Arbeitsplatz und einer Wohnung gescheitert war. Von vier weiteren Algeriern ist die Rede, die sich selbst anzuzünden versucht haben sollen. Und in Mauretanien hatte sich am Montag ein 42-Jähriger in der Nähe des Präsidentenpalastes von Nouakchott in seinem Auto in Brand gesetzt. Er wurde mit Brandwunden in eine Klinik eingeliefert.

Zwar sind Selbstverbrennungen aus Protest kein neues Phänomen. Bereits 1963 gingen die Bilder des buddhistischen Mönches Thich Quang Duc um die Welt, der sich in Saigon öffentlich selbst verbrannt hatte, um auf die Unterdrückung der Buddhisten in Südvietnam aufmerksam zu machen. Seine Selbsttötung war die erste, von der die internationale Presse Fotos veröffentlichte. Sie kann wohl als eine Art Vorbild gelten für spätere Selbstverbrennungen wie die von vier US-Bürgern 1965, die auf diese Weise gegen den Vietnamkrieg protestierten, oder die zweier Tschechen in Prag 1969, die damit gegen den Einmarsch von Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei demonstrierten.

Auch in Deutschland kam es bereits mehrfach zu Selbstverbrennungen aus politischen Gründen. So tötete sich der Pfarrer Oskar Brüsewitz 1976 in der ostdeutschen Stadt Zeitz, um gegen die Zustände in der DDR zu protestieren. Und auch in der muslimischen Welt haben sich in der Vergangenheit immer wieder Menschen selbst verbrannt, um auf persönliche oder politische Missstände hinzuweisen.

Die große Zahl solcher Fälle in den vergangenen Wochen und Tagen lässt arabische Medien allerdings bereits von einem "verstörenden Trend" sprechen. Und verstörend wirkt sich dieser "Trend" offenbar nicht nur auf die Journalisten aus, sondern auch auf die Regierungen der arabischen Welt. Schließlich erregen Selbstverbrennungen nicht nur große Aufmerksamkeit, sondern sprechen - im Gegensatz zu Anschlägen oder Amokläufen - auch das Mitgefühl an. Die Opfer werden von Menschen, denen es ähnlich geht wie ihnen, schnell als Märtyrer betrachtet, ihre Tat kann den Zorn auf jene verstärken, gegen die sich der Protest richtet.

Nachdem dies zuletzt der tunesische Präsident Ben Ali zu spüren bekommen hat, befürchten offenbar auch andere Machthaber, dass sich weitere Arme und Verzweifelte unter ihren Bürgern nicht nur die Tat des Mohamed Bouazizi in Tunesien zum Vorbild nehmen und sich selbst töten, sondern dass es bei ihnen ebenfalls zu Unruhen kommt.

Es ist deshalb wohl kein Zufall, dass viele arabische Regierungen jetzt verstärkt gegen die Armut vorgehen. So will man in Mauretanien möglichst rasch staatliche Lebensmittelgeschäfte eröffnen, in denen Waren zu niedrigen Preisen abgegeben werden.

In Kuwait, eigentlich einer der reichsten Staaten der Welt, sollen bis Ende März 2012 Lebensmittelkarten verteilt werden, mit denen man bestimmte Güter kostenfrei erhalten kann. In Jordanien subventioniert der Staat mehr Waren. Und in Syrien, das erst vor wenigen Jahren mit einer vorsichtigen Öffnung in Richtung Marktwirtschaft begonnen hat, kündigte die Regierung eine massive Subventionierung des Heizöls an. Gleichzeitig wurde eine neue Form der Sozialhilfe eingeführt. Die Ärmsten der Armen sollen von Februar an pro Familie monatlich 3500 Syrische Pfund (circa 55 Euro) erhalten. Das Geld soll über die Postämter verteilt werden.

Am 17. Januar zündete sich Abdouh Abdel Moneim vor dem Parlament in Kairo an. Das Feuer konnte jedoch schnell gelöscht werden, der Restaurantbesitzer überlebte verletzt. (Foto: REUTERS)

In Ägypten, wo es staatliche Bäckereien, Lebensmittelkarten und Subventionen ohnehin schon seit Jahrzehnten gibt, denkt man offenbar diskret darüber nach, wie man mögliche Arbeiterunruhen und Proteste über Preissteigerungen verhindern kann. Denn auch am Nil ist der Graben zwischen Arm und Reich in den vergangenen Jahren immer tiefer geworden.

Die ägyptische Wirtschaft boomt zwar. Trotzdem stieg die Zahl der Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, im vergangenen Jahr von 20 Prozent auf mehr als 23 Prozent. Ein Grund für diese Entwicklung ist die auf allen Ebenen des Staates verbreitete Korruption. Das ist in Ägypten nicht anders als im Jemen oder in Syrien. Auch unternimmt die Regierung wenig, um das Lohnniveau für Arbeiter und Akademiker anzuheben.

Auf die Frage von Journalisten, ob die ägyptische Führung wegen der sozialen Probleme möglicherweise bald das gleiche Schicksal erleiden könnte wie der tunesische Präsident, reagierte Außenminister Ahmed Abul Gheit gereizt.

Selbstkritisch trat dagegen König Abdullah von Saudi-Arabien auf. Seine Regierung hatte kürzlich bereits eine mittelfristige Steigerung der staatlichen Ausgaben angekündigt, um "Wohlstand für alle zu schaffen". Das Ziel, so Abdullah, sei es, auch "mögliche Fehler der Vergangenheit" auszubügeln. Denn selbst im islamischen Königreich Saudi-Arabien, wo man sich in den vergangenen Jahrzehnten an gutbezahlte Beamtenjobs und kostenfreie Gesundheitsversorgung gewöhnt hat, gibt es Bürger und viele ausländische Arbeitskräfte, die mit ihrer sozialen Lage unzufrieden sind.

Ob sich die Armen und Verzweifelten in der arabischen Welt mit den Maßnahmen zufriedengeben werden und die Serie von Selbstverbrennungen so gestoppt wird, lässt sich kaum vorhersagen. Auch der tunesische Machthaber Ben Ali hatte den Demonstranten ein gewisses Entgegenkommen signalisiert. Doch die Unruhen haben selbst nach seiner Flucht noch kein Ende.

© sueddeutsche.de/dpa/AFP/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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