Es gab eine Zeit, da war die CSU eine große Europapartei, konservativ und weltoffen zugleich. Sie arbeitete kraftvoll an der Einigung des Kontinents, und Franz Josef Strauß, ihr bedeutendster Politiker, sagte: "Ein geeintes Europa soll die Vorstufe zu den Vereinigten Staaten von Europa sein."
In diesen Tagen fordert kein Führungspolitiker der CSU mehr den europäischen Bundesstaat, jedenfalls nicht vernehmlich. Im Gegenteil. Die Partei legt unter dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, Bundesinnenminister Horst Seehofer und Landesgruppenchef Alexander Dobrindt die Axt an den Baum, den sie selbst mit gepflanzt hat. Und nun verarbeitet sie den Stamm zu Schlagbäumen. Das ist Kahlschlagpolitik.
Germany first also
Wer bisher noch hoffen mochte, die CSU werde ihren neuen, neonationalistischen und rechtspopulistischen Kurs "nur" in der Flüchtlingspolitik verfolgen, der weiß spätestens seit dieser Woche: Es geht um mehr. Denn am Donnerstagvormittag verkündete der Ministerpräsident Söder, in Europa und der Welt werde "die Zeit des geordneten Multilateralismus ... abgelöst". Am Abend legte er im Fernsehen nach. Staaten wie Deutschland sollten ihre Interessen wieder mehr im Alleingang durchsetzen und Fakten schaffen. Germany first also. Solche Gedanken vernahm man bisher von Leuten wie Wladimir Putin, Viktor Orbán und Donald Trump.
Multilateralismus ist ein sperriges Wort für eine einfache Idee: Probleme lassen sich eher miteinander als gegeneinander lösen. Und Konflikte bereinigt man besser durch Kompromisse als durch Konfrontation. Die Geschichte Europas gibt dieser Idee recht. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dominierte auf dem Kontinent der Nationalismus, das Gegeneinander der Staaten. Es geriet für fast alle Menschen zur Hölle. Seitdem herrscht - zunächst in West-, dann auch in Mittelost-Europa - der Multilateralismus, das Miteinander, dessen stärkster Ausdruck die Europäische Union ist. Seither erleben die Europäer, trotz aller Probleme im Einzelnen, die längste und reichste Friedenszeit ihrer Geschichte.
Das alles wird gerade von einer Allianz der Zerstörer angegriffen, deren Paten in Moskau und Washington sitzen, deren Mitglieder aber auch bereits in Warschau, Budapest und Rom regieren. Und womöglich auch schon in München. Diese Kräfte nähren sich - so wie der Monsterclown in Stephen Kings Horrorroman "Es" - an den Ängsten der Menschen. Sie greifen diese auf und verstärken sie, um dann den starken Nationalstaat als Lösung zu präsentieren, der die vermeintlichen Interessen des Volkes kraftvoll gegen die anderen Länder durchsetzt. Das Problem ist nur: Wenn alle so handeln, gibt es am Ende wieder Krieg.
Solche Warnungen sind heute leider kein Alarmismus mehr. Verstörend schnell kommt der Nachkriegskonsens rund um die Begriffe Europa, Offenheit, Freiheit ins Rutschen. Früher, zu Zeiten der Sowjetunion, warb die CSU mit dem Spruch "Freiheit oder Sozialismus" - was gegen Moskau gerichtet richtig, gegen die SPD gerichtet falsch war. Wäre die CSU noch eine aufrechte Partei, dann müsste sie heute warnen: "Freiheit oder Populismus." Und sie tut das sogar. Söder selbst verteidigt seinen Kurs in der Flüchtlings- und Europapolitik damit, er wolle nicht, dass in Deutschland Populisten an die Macht kommen. Das Problem ist nur: Sie sind es bereits. In der bayerischen Staatskanzlei und im Bundesinnenministerium.
Noch freie Staaten wie Deutschland und die anderen EU-Länder stehen heute mit dem Rücken zur Wand. Sie werden von den USA unter Handelskrieger Trump, vom Sowjetnostalgiker Wladimir Putin und der totalitären Weltmacht China bedrängt. In dieser Lage die Bundesregierung aufs Spiel zu setzen, Europa kaputtzureden und auf nationale Alleingänge zu setzen, ist verwerflich. Markus Söder und Horst Seehofer sind zum Sicherheitsrisiko für die Zukunft Deutschlands geworden.