Unionskompromiss:Was "Fiktion der Nichteinreise" bedeutet

Unionskompromiss: Alexander Dobrindt hält am Masterplan der CSU fest.

Alexander Dobrindt hält am Masterplan der CSU fest.

(Foto: AFP)

"Habemus Einigung", heißt es. Doch nach dem Kompromiss im Asylstreit zwischen CDU und CSU steckt der Teufel im Detail. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Die CSU sieht den Beginn der "Asylwende", Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gibt sich offiziell mit dem Kompromiss zufrieden. Doch die Unionsvorschläge zum Umgang mit bestimmten Schutzsuchenden stehen noch auf tönernen Füßen. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was besagt der Kompromiss?

An der deutsch-österreichischen Grenze sollen Asylsuchende, für deren Verfahren andere EU-Länder zuständig sind, an der Einreise gehindert werden. Sie sollen in Transitzentren kommen und von dort aus direkt in die zuständigen Länder zurückgewiesen werden. "Dafür wollen wir nicht unabgestimmt handeln, sondern mit den betroffenen Ländern Verwaltungsabkommen abschließen oder das Benehmen herstellen." Wenn Länder sich einer Rücknahme verweigern, soll "die Zurückweisung an der deutsch-österreichischen Grenze auf Grundlage einer Vereinbarung mit der Republik Österreich" stattfinden.

Um wie viele Fälle geht es überhaupt?

Im laufenden Jahr wurden Medienberichten zufolge bis Mitte Juni 18 349 Asylsuchende in Deutschland aufgenommen, die bereits in der europäischen Fingerabdruckdatei Eurodac erfasst waren - also schon in einem anderen Land registriert worden waren. Es sind also gar nicht besonders viele Fälle, aber der CSU ging es auch um ein Zeichen, dass der Staat an den Grenzen stärker durchgreift. "Die Sicherheit unseres Landes beginnt an der Grenze", betont CSU-Generalsekretär Markus Blume.

Seehofer und Merkel: Wer rückt von Prinzipien ab?

Seehofer wollte eine Zurückweisung direkt an der Grenze, auch wenn das Land, wo der Schutzsuchende bereits registriert ist, diesen nicht zurücknimmt. Dies hat er durchgesetzt. Merkel wollte keinen nationalen Alleingang, sondern Lösungen mit den europäischen Partnern. Die Sorge ist, dass sonst alle nach und nach die Grenzen dichtmachen - das Prinzip der EU-Freizügigkeit wäre ausgehebelt. Als Teil der Einigung betont man deshalb das juristische Konstrukt der "Fiktion der Nichteinreise".

Was hat es mit der "Fiktion der Nichteinreise" auf sich?

In der entsprechenden Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz heißt es: "Der Ausländer hat eine Grenzübergangsstelle erst dann passiert, wenn er die Kontrollstationen der Grenzpolizei und des Zolls, soweit an den EU-Außengrenzen vorhanden, hinter sich gelassen hat und sich frei in Richtung Inland bewegen kann." Wer im Transitzentrum landet, ist im juristischen Sinne nicht eingereist, auch wenn er körperlich die Kontrollstationen passiert hat.

Warum ist hier auch vom Flughafenverfahren die Rede?

Die Formulierung erinnert an das Prozedere an Flughäfen. Es greift für Asylsuchende, die aus einem als sicher eingestuften Land mit dem Flugzeug nach Deutschland kommen. Im Flughafenverfahren ist "das Asylverfahren vor der Entscheidung über die Einreise durchzuführen", wie es im Asylgesetz heißt. Der Anspruch auf ein reguläres Asylverfahren entsteht erst mit dem Aufenthalt in einem Land. Auf diese Weise ermöglicht das Flughafenverfahren beschleunigte Entscheidungen und Rückweisungen. So ähnlich soll es wohl in den Transitzentren laufen. Das legt allerdings nahe, dass Migranten diese auch nicht verlassen können, sondern dort interniert werden sollen.

Kommen jetzt nur noch berechtigte Asylsuchende nach Deutschland?

Nein. Erstens geht es nur um die deutsch-österreichische Grenze. Dort wird aktuell nur an drei Stellen kontrolliert, dazu noch im Zuge der Schleierfahndung im Hinterland. Es ist schwer vorstellbar, dass Menschen, die schon Kilometer von der Grenze entfernt auf deutscher Seite aufgegriffen werden, in Transitzentren kommen können - sie haben ja längst deutschen Boden betreten. Viele Migranten, die nach Deutschland kommen, sind zudem zuvor gar nicht in anderen EU-Ländern registriert worden. Zudem ist laut dem CDU-Vizevorsitzenden Armin Laschet keine Ausweitung der Kontrollen geplant. Auch an Grenzen Deutschlands zu anderen Nachbarländern solle sich nichts ändern.

Welche Rolle spielt Österreich?

Es geht nur um Migranten, die an der bayerisch-österreichischen Grenze aufgegriffen werden. Österreich soll alle aufnehmen, die in jenen Ländern registriert wurden, die keine Verwaltungsabkommen über die direkte Zurückweisung aus Deutschland abschließen wollen. Was Wien davon hält, ist noch unklar. Das Abkommen soll noch ausgehandelt werden.

Wo steckt noch Zündstoff drin?

Die Formulierungen sind interessant. "Asylbewerber, für deren Asylverfahren andere EU-Länder zuständig sind", sollen an der Einreise gehindert werden, heißt es in dem Unionspapier. Das scheint aber weniger weitreichend als Seehofer es stets gefordert hatte: Der CSU-Innenminister wollte alle zurückschicken, die in anderen EU-Staaten schon mit Fingerabdrücken registriert sind. Eine reine Registrierung bedeutet aber nicht automatisch, dass dieses Land für das Asylverfahren auch zuständig ist. Die Dublin-Verordnung sieht eine Zuständigkeitsprüfung vor, dabei spielen auch andere Kriterien wie der Aufenthaltsort von Familienangehörigen eine große Rolle.

Nun ist die SPD am Zuge, wird sie zustimmen?

Das ist die große Frage. 2015 lehnte die Partei in der damaligen großen Koalition Transitzentren eindeutig ab, der SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel sprach von "Haftzonen", das sei weder organisatorisch durchführbar noch rechtlich darstellbar. Nun geht es aber nicht pauschal um die meisten ankommenden Flüchtlinge, sondern um relativ wenige Fälle ohne Bleibeperspektive. Die SPD will eine Beschleunigung dieser Verfahren, von etwa einer Woche Aufenthalt ist die Rede. Die Parteilinke dürfte den Vorschlag als inhuman ablehnen. Geschlossene Lager sind für viele Genossen ein Tabu.

Hat sich der ganze Ärger für die CSU gelohnt?

Das wird wohl erst die bayerische Landtagswahl am 14. Oktober zeigen. Seehofer hat wohl weniger herausgeholt, als er ursprünglich plante. Andererseits wäre es ohne den Druck aus Bayern wohl kaum zu der beim EU-Gipfel vereinbarten weiteren Verschärfung der europäischen Asylpolitik gekommen. Das Gleiche gilt für die von Kanzlerin Merkel geplanten bilateralen Abkommen mit anderen europäischen Staaten zur Rücknahme von Migranten.

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