Union: Wahlkongress:Angela Merkel - die Stunde der Claqueure

Die Union sucht im Wahlkampf nach Form - und findet ein Format: den "Kongress". Einen Tag lang feiert die Partei sich und vor allem Angela Merkel.

Thorsten Denkler, Berlin

Gibt es so etwas wie politische Zahnschmerzen? Falls ja, dürfte Wolfgang Böhmer davon akut betroffen sein. Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt fehlt auf dem Kongress von CDU und CSU zum gemeinsamen Wahlprogramm in Berlin an diesem Montag. Das ist überraschend. Bereits am Sonntag war er nicht dabei, als das Programm von den Parteivorständen verabschiedet wurde.

Angela Merkel CDU CSU Horst Seehofer Günther Oettinger, dpa

Wahlkongress mit Wohlfühlfaktor: Dieter Althaus (links) umarmt CDU-Kanzlerin Angela Merkel, Horst Seehofer (rechts) und Karl-Theodor zu Guttenberg demonstrieren die gute Laune in der Union.

(Foto: Foto: dpa)

Böhmer hält es nicht für sonderlich logisch, krisenbedingt in den kommenden Jahren auf Hunderte Millionen Euro Steuereinnahmen verzichten zu müssen - und zugleich Steuererleichterungen zu versprechen, wie es das Unions-Wahlprogramm vorsieht. Am Sonntag ließ sich der CDU-Politiker wegen anderer wichtiger Termine entschuldigen. Am Montag eben wegen Zahnschmerzen.

Einigkeit auf dem Podium

Günther Oettinger hingegen scheint bester Gesundheit zu sein. Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg ist in den Kuppelsaal des Berliner Congress-Centrums (BCC) am Alexanderplatz gekommen. Dabei sieht er die Dinge ähnlich wie Böhmer. Oettinger hat sich für eine weitgehende Abschaffung des halbierten Mehrwertsteuersatzes ausgesprochen. Nicht gerade eine Nachricht für Wahlkampfzeiten

Bundeskanzlerin Angela Merkel behandelt ihn, als sei er ein potentieller Träger des Schweinegrippe-Virus. Für den flüchtigen Händedruck mit ihm bleibt sie nicht einmal stehen, als sie an der Riege der Ministerpräsidenten vorbeimarschiert.

Bis zu 1000 Mandats- und Funktionsträger aus der ganzen Republik sollen ins BCC gekarrt worden sein, um der Jubelveranstaltung den überzeugenden personellen Rahmen zu geben. Der Plan: Auf dem Podium wird Einigkeit zelbriert, das Publikum klatscht. Wortmeldungen einfacher Parteimitglieder sind weder vorgesehen noch erwünscht. Es ist der Tag der Claqueure für Merkel

Nichts dem Zufall überlassen

Eine ausführliche Debatte wäre schon am engen Zeitplan gescheitert. Keine drei Stunden sollte der Kongress dauern. Darin enthalten: die Rede der Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzenden Angel Merkel, die Ansprache von CSU-Chef Horst Seehofer, Begrüßung und Schlussreden der Generalsekretäre Ronald Pofalla für die CDU sowie Alexander Dobrindt für die CSU, drei Foren zu je etwa einer halben Stunde mit den Großkopferten beider Parteien, sowie das Singen der Nationalhymne.

Der "Kongress" ist seit neuestem der Unionsersatz für Wahlparteitage. Nach dem Beschluss des Europawahlprogramms Mitte März hatte es schon einmal eine solche Veranstaltung gegeben, damals in der Parteizentrale. Gegenüber Parteitagen hat ein "Kongress" den Vorteil, dass hier nichts mehr dem Zufall überlassen werden muss.

CDU-General Ronald Pofalla hat die Botschaft schon parat, bevor das das Treffen überhaupt richtig begonnen hat. Die Union stelle unter Beweis, sie sei "entschlossen und geschlossen", sagt er in seiner Eröffnungsansprache. Wobei zumindest Letzteres durch die Einlassungen von Böhmer und Oettinger in Zweifel gezogen werden darf. Und: "Wir wollen, dass Angela Merkel Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland bleibt." Womit das Wesentliche eigentlich auch schon gesagt wäre.

"Wir brauchen keinen Kandidaten"

So sieht das auch CSU-Chef Horst Seehofer. Er erlebe zum neunten Mal die Entstehung eines Wahlprogramms, sagt er in seiner Rede: "Aber noch wichtiger sind in der Politik Personen." Seehofer meint diesmal nicht Seehofer: "Wir brauchen keinen Kandidaten, wir haben eine Kanzlerin."

Applaus donnert los nch diesem Satz. Seehofer dreht sich um zu Merkel. Auch er will ihr Beifall spenden. Merkel steht auf und winkt. Es soll ganz ihr Tag sein.

Seehofer nimmt darauf so viel Rücksicht, dass er von den 20 Minuten Redezeit, die das Programm für ihn vorsieht, nur gut 13 Minuten nutzt. Montags arbeite er nur Teilzeit, scherzt er. Vergessen ist, dass er dieser Tage noch von Merkel mehr Einsatz in Sachen Quelle-Rettung verlangt hat.

Angela Merkel wiederum hält eine Rede, wie sie sie oft hält. Sie erklärt die Ursachen der Krise, die Politik der großen Koalition, verweist auf die anstehenden Probleme, die nur mit der FDP gelöst werden könnten. Natürlich auch alleine. Aber "wir sind eben realistisch".

Die SPD lässt sie links liegen. Nur einmal greift sie die Sozialdemokraten an, weil die im Wahlkampf 2005 versprochen hätten, die Mehrwertsteuer auf keinen Fall erhöhen zu wollen, nach der Wahl aber eine Erhöhung um drei Prozentpunkte mitgemacht hätten.

Im aktuellen Steuerstreit verteidigt sie sich: Dass das Geld knapp werde, dürfe "nicht bedeuten, dass wird das Notwendige nicht tun". Eine Notwendigkeit sei die "Motivation" der Leistungsträger. Und zwar mit Steuergeschenken: "Für uns ist das Steuerrecht nicht irgendeine Umverteilungsmaschine." Weil alle klatschen, klatscht auch Oettinger. Acht Mal. Sie ist halt die Kanzlerin. Am Ende ihrer Rede applaudiert das Publikum pflichtgemäß im Stehen.

Ramsauer spricht, Oettinger liest

Ernst-Dieter Elitz, einst Intendant des Deutschlandfunks, moderierte zuvor die drei Foren, um die "Vielfalt des Regierungsprogramms" auszuleuchten, wie Elitz sagt. Sonderlich kritische Fragen durften hier nicht erwartet werden.

Das Thema des ersten Forums lautet: "Zukunft sicher: Deutschland gemeinsam aus der Krise führen". Wie, das sagt CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer. Die Union wolle die "Krise bekämpfen durch Steuersenkungen". Oettinger sitzt zehn Meter entfernt in der zweiten Reihe der Abteilung "Oberste Parteivertreter und Amtsträger". Er liest, während Ramsauer spricht.

Oettinger meint bekanntlich, dass es ohne Steuererhöhungen nicht gehe. Ramsauer empfiehlt: "Die Steuerschätzung von vor vier Wochen lesen." Im Jahr 2013 würden dem Bund knapp 50 Milliarden Euro mehr zur Verfügung stehen. Davon wiederum werde nur ein Teil für die geplanten - aber nicht weiter terminierten - Steuersenkungen eingesetzt. Ramsauer nennt das Konzept "glaubwürdig". Vom Publikum gibt es dafür Applaus. Oettinger gelingt es mit Mühe, drei Mal zu klatschen.

Der letzte Ordnungspolitiker

Interessant auch, wie Roland Koch die staatlichen Hilfen für Opel verteidigt. Er sitzt neben Wirtschaftsminister Karl Theodor zu Guttenberg von der CSU. Der punktet derzeit als letzter Ordnungspolitiker der Union und hat sich klar gegen eine staatliche Opel-Rettung gestemmt.

Als Elitz den unerschrockenen Guttenberg bittet, auf dem Podium Platz zu nehmen, brandet Beifall auf, manche jubeln regelrecht. Koch dagegen muss mit einem Applaus leben, der nach den Maßstäben dieses Kongresses einem Höflichkeitsbeifall gleichkommt.

Koch sagt: "Wir wollen keinen Sozialismus, wir wollen soziale Marktwirtschaft." Damit hat er Parteigänger von CDU und CSU zunächst wieder auf seiner Seite. Er glaube aber nicht, dass es mit der sozialen Marktwirtschaft in Einklang gebracht werden könne, Opel vor die Hunde gehen zu lassen. Die Union sehe staatliche Hilfe als Feuerwehr, andere als Landschaftspflege. Das sei der Unterschied. Gemeint ist die SPD. Da klatscht auch Guttenberg.

Mehr überredet denn überzeugt

Auch Oettinger kommt übrigens noch zu Wort. Er führt immerhin das wirtschaftsstärkste Bundesland. Und hat seine oppositionelle Haltung am Morgen mehr oder weniger aufgegeben: Er sei "ein Demokrat", hat er am Morgen einigen Journalisten in die Notizblöcke diktiert. Als solcher werde er das Wahlprogramm natürlich mittragen. Es klingt eher überredet als überzeugt.

Zur harten Wirtschaftspolitik darf er nicht reden, sondern im Forum "Bildung und Innovationen". Und nicht mal das war geplant. Oettinger springt kurzfristig für seinen nordrhein-westfälischen Ministerpräsidentenkollegen Jürgen Rüttgers sein, der sich verspätet hat. Oettinger darf neben Bildungsministerin Annette Schavan sitzen, der er in alter Feindschaft verbunden ist, seit sie ihm das Amt des Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg versucht hat streitig zu machen. Das kommt eher einer Demütigung gleich, als dem Versuch, den Querschläger in Sachen Steuerpolitik einzubinden.

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