Union vor der Griechenland-Abstimmung:Warum Merkel mit vielen Abweichlern rechnen muss

  • Am Mittwoch stimmt der Bundestag in einer Sondersitzung über ein neues Kreditprogramm für Griechenland ab. Es geht um 86 Milliarden Euro.
  • Viele Abgeordnete von CDU und CSU könnten Kanzlerin Merkel die Gefolgschaft verweigern und mit Nein stimmen.
  • Ein Grund für die Skepsis in Teilen der Union ist das fehlende Vertrauen in die Syriza-Regierung.
  • Machtpolitisch werden die Abweichler aber wohl irrelevant sein.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Mittwoch also. Dann wird der Bundestag zu seiner zweiten Sondersitzung in dieser Sommerpause zusammenkommen. Und wieder geht es um Griechenland. Die Euro-Finanzminister haben sich an diesem Freitag geeinigt: Griechenland erfüllt offenbar alle Bedingungen für eine neues, ein drittes Kreditprogramm. Insgesamt geht es um 86 Milliarden, die in den kommenden drei Jahren an Griechenland ausgezahlt werden sollen.

So einig sich die Euro-Finanzminister sind, so uneinig scheint sich nach wie vor die Fraktion der Union im Bundestag zu sein. Vor allem Abgeordnete der CDU stellen sich quer. Als es in der ersten Sondersitzung Mitte Juli allein um die Frage ging, ob denn mit Griechenland Verhandlungen über ein drittes Programm aufgenommen werden sollten, stimmten 60 Abgeordnete von CDU und CSU mit Nein. Fünf weitere enthielten sich.

Das war schon im Juli eine Klatsche mit Ansage. Im Februar nämlich, als es um die Verlängerung der Stabilitätskredite für Griechenland ging, stimmten bereits 29 Unions-Abgeordnete gegen die Empfehlung ihrer Kanzlerin. 100 Union-Abgeordnete gaben eine persönliche Erklärung ab. Sie könnten die Griechenland-Politik mit den immer neuen Krediten ihren Wählern kaum noch erklären, merkten sie an.

Kommende Woche könnten aus Merkels Lager noch mehr als jene 60 Abgeordneten gegen ein drittes Paket stimmen. Das hat verschiedene Gründe:

  • Der Verhandlungsverlauf der vergangenen Monate hat das Vertrauen in die Syriza-Regierung von Alexis Tsipras beschädigt. Tsipras hat zwar im Parlament die notwendigen Mehrheiten bekommen. Aber nicht aus eigener Kraft. Er brauchte die Stimmen der Opposition. Für den Herbst wird wieder über Neuwahlen spekuliert. Wie die ausgehen würden, ist heute unkalkulierbar.
  • Ein Minuspunkt auf Merkels Konto dürfte auch der zögerliche Internationale Währungsfonds sein. Der IWF wird sich erst einmal nicht an dem neuen Kreditprogramm beteiligen - auch wenn eine endgültige Absage noch aussteht. Kanzlerin Merkel hatte immer drauf bestanden, dass der IWF finanziell und mit seiner Expertise an Bord ist. Als aber der IWF einen von der Union verhassten Schuldenschnitt für die beste Variante hielt, um Griechenland zu helfen, war zwar immer noch das IWF-Geld, aber nicht mehr so sehr die Expertise gefragt. Finanzminister Wolfgang Schäuble hatte sich eigentlich zum Ziel gesetzt, den IWF wieder einzufangen. Es gelang ihm nicht.
  • Und dann ist da noch Unions-Fraktionschef Volker Kauder. Der hatte den Nein-Sagern am vergangenen Wochenende mit Konsequenzen für ihre Karrieren gedroht. "Diejenigen, die mit Nein gestimmt haben, können nicht in Ausschüssen bleiben, in denen es darauf ankommt, die Mehrheit zu behalten: etwa im Haushalts- oder Europaausschuss", sagte Kauder im Interview mit der Welt am Sonntag. Die Fraktion entsende schließlich Abgeordnete in Ausschüsse, "damit sie dort die Position der Fraktion vertreten". Der CDU-Abgeordnete Alexander Funk befand danach: "Damit disqualifiziert er sich als Vorsitzender." Seine Fraktionskollegin Veronika Bellmann befürchtet: Wenn immer alle Nein-Sager entmachtet würden, "hat die Union bald ein Besetzungsproblem". In der Tat, 60 oder mehr Abgeordnete wird Kauder kaum maßregeln können. Statt die Lage zu beruhigen, hat Kauder viel Zorn auf sich gezogen. So mancher könnte jetzt das Gefühl haben, mit Nein Stimmen zu müssen, damit er sich nicht dem Verdacht aussetzt, nach Kauders Pfeife zu tanzen.

Bis vor wenigen Monaten unvorstellbar

Für die Unionsfraktion ist das alles recht unschön. Sie galt immer als Hort der Stabilität und Kanzlertreue. Als im April 1998 der Bundestag über die Einführung des Euro abstimmte, trauten sich trotz hitziger Debatten im Vorfeld gerade mal drei Abgeordnete aus der Union mit Nein zu stimmen. Dass einmal mehrere Dutzend Abgeordnete aus den eigenen Reihen gegen die Linie der Kanzlerin stimmen würden, war für Abgeordnete wie Volker Kauder bis vor wenigen Monaten kaum vorstellbar.

Allerdings ist die Mehrheit der großen Koalition heute so groß, dass die Zahl der Nein-Stimmen aus der Union locker auf 120 anwachsen könnte. Erst ab 127 Nein-Stimmen aus dem eigenen Lager könnte die Sache ernsthaft brenzlig werden.

Angela Merkel

Machtpolitisch hat Angela Merkel wohl nichts zu befürchten - auch wenn tatsächlich mehr als 60 Unionsabgeordnete gegen ein neues Kreditprogramm für Griechenland stimmen sollten.

(Foto: AFP)

Machtpolitisch sind die Abweichler also irrelevant. Auch wenn der CDU-Abgeordnete Heribert Hirte jüngst in der Bild darüber spekulierte, "wo in der Sache die Mehrheit wirklich liegt". Er jedenfalls glaubt, dass die Zahl derer, die kritisch seien, "deutlich über den 60" liege, die im Juli mit Nein gestimmt hatten.

Aber selbst wenn das stimmt: Sobald das Schicksal von Kanzlerin Angela Merkel an der Abstimmung hängen würde, wäre die notwendige Mehrheit ruckzuck gesichert.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: