Süddeutsche Zeitung

Union vor den Sondierungen:Merkels Ruhe tut der CDU nicht gut

Die Kanzlerin hat die vergangenen Wochen im Windschatten der SPD verbracht. So geriet aus dem Blick, was alles in ihrer Partei nicht rundläuft. Und das ist so einiges.

Kommentar von Ferdos Forudastan

So herablassend oder hämisch sich Christdemokraten in den vergangenen Wochen und Monaten über die SPD geäußert haben - eigentlich müssten sie den Genossen zutiefst dankbar sein. Die Irrungen und Wirrungen der SPD haben ihr selbst großen Stress bereitet und das Publikum wahlweise belustigt oder abgeschreckt. Für die Union hatte das Chaos bei der Konkurrenz einen klaren Kollateralnutzen: Fast alle Augen waren darauf gerichtet, was den Sozialdemokraten nicht gut gelungen oder gar gründlich missraten war. Das bedeutete im Umkehrschluss, es geriet deutlich seltener in den Blick, was bei der Union nicht rundläuft. Und das ist so einiges.

Gewiss, bei ihrer Pressekonferenz am Montag nach den Sitzungen der CDU-Spitze hat sich die Parteivorsitzende und Bundeskanzlerin tatkräftig präsentiert. Merkel hat außerdem erkennen lassen, dass sie nun viel eher als noch vor einiger Zeit bereit ist, über Konsequenzen ihrer auch innerparteilich umstrittenen Flüchtlingspolitik zu reden. Trotzdem kann dieser Auftritt nicht davon ablenken, was die Christdemokraten und ihre Führung lange liegen gelassen, was sie falsch angepackt haben.

So war es zwar richtig von Angela Merkel, die Grenzen für Menschen in Not zu öffnen; aber es war falsch, nicht alle Mühe und Zeit darauf zu verwenden, diese Entscheidung auch in der eigenen, zum Teil sehr verunsicherten Partei zu erläutern, intensiv für sie zu werben und sie wirklich zu diskutieren. Es war richtig, sich diese Herausforderung zuzutrauen und das auch zu sagen; aber es war falsch, nicht mal in den Reihen der Union klarzumachen, wie man diese Herausforderung genau meistern möchte - und im Detail darzulegen, wie gut das Land sie trotz aller Probleme unter dem Strich tatsächlich meistert.

Auch mit ihrem historisch schwachen Ergebnis bei der Bundestagswahl ist die CDU-Spitze falsch, genauer, sie ist lange so gut wie gar nicht damit umgegangen. Angela Merkel hat nicht einfach nur nachlässig formuliert, als sie vermittelte, sie könne nicht erkennen, was die CDU hätte anders machen müssen. Sie hat es auch so gesehen - und damit unfreiwillig aufblitzen lassen, wie weit sie sich stellenweise von ihrer Partei entfernt hat, in der das mitnichten alle so empfinden.

Oder die Verhandlungen über eine mögliche Jamaika-Koalition: Natürlich musste Merkel nicht Tag für Tag vor die Kameras treten und ihre Sicht der Dinge verkünden. Aber dass sie über weite Strecken fast unsichtbar war, hat nicht gerade den Eindruck einer Parteivorsitzenden vermittelt, die eine inhaltliche Überschrift für ein erstmaliges schwarz-gelb-grünes Bündnis im Kopf und die Lage einigermaßen im Griff hat.

Was nicht angepackt wird, wabert trotzdem weiter

Zu diesem Bild der Union aus den zurückliegenden Wochen und Monaten passt, wie sie sich in den vergangenen Jahren auch auf anderen Feldern präsentiert hat: Eine ernsthafte, gerne auch kontroverse innerparteiliche Debatte über die Europapolitik der Regierung, über den Umgang mit der Digitalisierung, über die Zukunft des Sozialstaats? Fehlanzeige.

Die CDU-Chefin und Bundeskanzlerin ist nicht nur einigen für das Land wichtigen Diskussionen aus dem Weg gegangen. Ihre Methode, Konfrontationen wo immer möglich zu vermeiden, hat nicht nur den politischen Gegner bezwungen; Sie hat auch in den eigenen Reihen über weite Strecken für Ruhe gesorgt - eine Ruhe allerdings, die für die CDU eine ungute ist. Fragen verschwinden nicht deshalb, weil keiner sie offen stellt. Auseinandersetzungen erledigen sich nicht, weil niemand auf ihnen beharrt. Was nicht angepackt und bearbeitet wird, wabert trotzdem weiter. Es wabert mit Macht, es erzeugt Unmut und es verschafft jenen Auftrieb, die, wie die AfD, von sich behaupten, sie fassten als Einzige heiße Eisen an.

Schon richtig, die CDU steht trotz alledem hinter ihrer Vorsitzenden. Aber die Autorität Angela Merkels in den eigenen Reihen bröckelt. Dass dieser Tage der eine oder andere Parteifreund laut über Neuwahlen oder eine Minderheitsregierung nachdenkt und damit Merkels strikten Kurs Richtung große Koalition relativiert, ist dafür nur ein kleines, aktuelles Beispiel.

Wenn am Mittwoch die Gespräche zwischen Union und SPD über eine Wiederauflage von Schwarz-Rot beginnen, dann stehen den Christsozialen in Gestalt von Horst Seehofer und den Sozialdemokraten mit Martin Schulz Männer vor, die innerparteilich deutlich geschwächter sind als Angela Merkel in ihrer CDU. Ein Trost kann das aber weder für die Vorsitzende noch für ihre Partei sein, und ebenso wenig für alle anderen, die darauf hoffen, dass dieses Land bald eine stabile Regierung hat - in welcher Gestalt auch immer.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3786961
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 12.12.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.