Süddeutsche Zeitung

Union und FDP:Was echte Wahlgeschenke sind

Zwar rufen die Liberalen sehr laut, dass die Union völlig unrealistische Wahlversprechen mache. Doch die Pläne von CDU und CSU zu höheren Mütterrenten, zu Mietpreisbremsen und Lohnuntergrenzen sind das beste Wahlprogramm, das die Union für die Liberalen schreiben konnte.

Ein Kommentar von Stefan Braun, Berlin

Ein herrlicher Tag für die FDP. So viel Aufmerksamkeit war schon lange nicht mehr für die Freidemokraten. Parteichef, Generalsekretär, Spitzenkandidat - alle drei schafften es am Montag ausführlich in die Medien. Und das mit Interviews, in denen sie sogar mal schwungvoll daherkamen. Manchmal funktionieren die Gesetze Berlins eben prächtig: Die Union präsentiert teure Wahlgeschenke, die FDP kritisiert sie heftig - und erntet dafür mehr öffentliche Aufmerksamkeit als in den letzten acht Wochen zusammen. Allein dafür müsste die FDP-Spitze ihrem Koalitionspartner Dankesbriefe schreiben. Sie hat das nicht selbst geschafft, sie nutzt gerade eine Vorlage Angela Merkels.

Sicher, nun scheint wieder da zu sein, was das Publikum in den letzten vier Jahren schon kennengelernt hat: Streit zwischen den Koalitionsparteien. Doch was eigentlich schlecht ist, spielt vor allem der FDP in die Hände. Wer im Wahlkampf auf die Masse der Auftritte setzt (und das tun nicht wenige), wird sich über Streit nicht grämen, sondern Freude daran haben. Offenbar gilt auch hier, was sich für Comedy-Sendungen längst durchgesetzt hat: Dass es für Politiker oft nicht mehr darauf ankommt, ob sie darin gut oder wie der letzte Depp wegkommen. Hauptsache ist, dass sie überhaupt auftauchen. Was im übrigen erklärt, warum selbst Bundesminister, die früher kluge Mails verschickten, heute häufig Belangloses twittern. Sie wollen "auf Massenkommunikation" setzen. Die Leute wissen zwar oft nicht, wer ihnen da bekannt vorkommt. Aber sie meinen ihn zu kennen. Das schon soll helfen.

Zum Streit zwischen Union und FDP gehört freilich, dass man ihn nicht zu ernst nehmen sollte. Sicher rufen die Brüderles, Röslers und Dörings im Chor, dass die Union unrealistische Versprechungen mache. Unisono heißt es bei den dreien von der Notrufsäule, mit ihnen sei das nicht mehr zu machen. Dabei aber ärgern sie sich nicht über den Koalitionspartner, sondern freuen sich diebisch. Die Pläne von CDU und CSU zu höheren Mütterrenten, zu Mietpreisbremsen, Großinvestitionen und Lohnuntergrenzen sind das beste Wahlprogramm, das die Union für die Liberalen schreiben konnte.

Plötzlich seriös

Mit einem Mal können sie auf der Bühne der Hauptstadt in die Rolle der ganz ganz Seriösen schlüpfen. Wer sie in den ersten drei Jahren der Koalition erlebt hat, kann das zwar kaum fassen und nicht wirklich ernst nehmen. Für sie selbst aber könnte es so etwas wie die allerletzte Rettung werden. Die großzügigen und, ja, auch unseriösen Wahlversprechen der Christdemokraten geben der FDP das Profil, das sie sich selbst bis zuletzt nicht erarbeiten konnte. Chapeau, Frau Bundeskanzlerin. Das hätten sich auch die klügsten FDPler nicht ausdenken können.

Der Rollenwechsel, der sich dabei vollzieht, ist allerdings so atemberaubend, dass man über so viel Chuzpe aus dem Staunen nicht rauskommt. Vor vier Jahren, in der Schlussphase des letzten Bundestagswahlkampfs, war es die FDP, die mit gigantischen Steuersenkungsversprechen um Wähler warb. Und nach ihrem großen Erfolg war es eben diese FDP, die sich furchtbar aufregte, als einzelne CDU-Ministerpräsidenten in den Koalitionsverhandlungen von den Liberalen mehr Vernunft einklagten. Ist der Wandel der FDP also das Ergebnis eines großen Lernprozesses? Das wäre etwas wirklich Bemerkenswertes. Aber die Partei traut sich bis heute nicht, das zuzugeben.

Und die Union? Sie musste 2009 zusehen, wie die FDP mit ihren Großversprechen beim Wähler abstaubte, während Merkels CDU ein noch schlechteres Ergebnis als 2005 einfuhr. Das schmerzt bis heute. Trotzdem ist 2013 anderes entscheidendend. Angela Merkel will halt doch mit der FDP weitermachen. Deshalb wird auch sie über den Streit leise schmunzeln.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1704684
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 25.06.2013/mike
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.