Union und FDP nach der Berlin-Wahl:Gelb vergilbt

Am Tiefpunkt: In Berlin scheitern die Liberalen an der Fünf-Prozent-Hürde, auf Bundesebene geben sie ein jämmerliches Bild ab. Die FDP befindet sich in einem nicht regierungsfähigen Zustand. Angela Merkel braucht einen neuen Partner, wenn sie Kanzlerin bleiben will - mit Schwarz-Gilb kann man nicht regieren.

Heribert Prantl

Wowereit macht das, was Merkel auch macht: Er wurstelt sich irgendwie durch. Im Gegensatz zu Merkel hat er damit Erfolg. Die Berliner mögen ihn und wählen ihn wieder. Der Unterschied zu Merkel besteht darin, dass er viel herzlicher wurstelt als sie. Wowereit ist ein leutseliger Provinzwurstler.

Die große Stadt Berlin ist nämlich, so wie sie regiert wird und sich regieren lässt, Provinz. Sie ist Provinz mit mondialem Ruf, aber geringem Anspruch an sich selbst. Daran ändert auch die liebenswürdig naive, siegreiche Piratenpartei nichts, die nun üppig ihr Konfetti in die lokale Politik streut.

Im Bund kann ein so antriebsloser Regierungsstil wie in der Stadt Berlin nicht funktionieren; in den Zeiten der Großkrisen wollen die Deutschen zwar vielleicht auch ein wenig gestreichelt, aber doch vor allem regiert und geführt werden. Deshalb sind Spekulationen über einen SPD-Kanzlerkandidaten Wowereit sehr unrealistisch.

Die SPD hat im Bund nur einen Kandidaten, der Erfolg verspricht; der heißt Steinbrück; die Prüderie, mit der die SPD dessen Nominierung hinausschiebt, entspricht zwar den Usancen, aber nicht der verfahrenen Lage in Deutschland. Wer Kanzler sein will, der muss (sollte es sich wirklich noch so lange hinziehen), gegebenenfalls auch eine zweijährige Kandidatur aushalten können.

Alles hat seine Zeit. Und mit der ablaufenden Zeit der zweiten Regierung Merkel ist es mittlerweile so wie mit Weihnachten: Man zählt die Tage, bis es so weit ist. Im Dezember gibt es zu diesem Zweck den Adventskalender, und für jeden Tag, den man noch warten muss, gibt es ein Türchen. So ergeht es einem mit der Regierung Merkel auch; man kennt zwar die Zahl der Türchen nicht, weiß aber, dass fast hinter jeder schwarz-gelben Tür eine böse Überraschung steckt.

Immer mehr Bürger erwarten daher das Ende dieser Regierung wie ein Weihnachtsfest. Es ist ein banges Warten. Die Antriebslosigkeit und die Denkhemmung der Koalition erzeugen eine depressive Stimmung; die Bundesregierung hat die politische Libido verloren.

Das liegt vor allem an der FDP, die sich in einem nicht regierungsfähigen Zustand befindet. Die FDP zieht bundesweit die CDU mit nach unten. Aber die Merkel-Partei ist, wie soeben Berlin zeigt, zu Überraschungen in kleinem Rahmen fähig.

Es ist schon bemerkenswert: Das Gefühl, dass sich nichts bewegt, führt in der Stadt Berlin zur Bestätigung des Amtsinhabers; Wowereit verunsichert nicht, weil er nichts bewegt. In der Republik aber ist es anders. Da erzeugt das Gefühl, dass Veränderung endlich ein Konzept braucht, einen Wind of Change. Noch nie hat man in der Mitte einer Legislatur eine so abgewirtschaftete Bundesregierung erlebt.

Weniger schwarz und gelb, ein wenig röter - und sehr viel grüner

Natürlich war es immer so, dass sich Kritik an der Bundesregierung in Landtagswahlen entlädt. Das passierte denn auch in Nordrhein-Westfalen, in Hamburg, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern. Meist profitierten die Grünen vom Wind des Wechsels.

FDP hat seit Ende 2009 jedes zehnte Parteimitglied verloren

Liberale Leere: In Berlin scheitert die FDP an der Fünf-Prozent-Hürde und wird im Abgeordnetenhaus nicht mehr vertreten sein - die Verantwortlichen wirken ratlos.

(Foto: dapd)

Das Land ist im Jahr 2011 weniger schwarz, sehr viel weniger gelb, ein wenig röter und sehr viel grüner geworden. In Berlin sind nun die Triebe der Grünen bescheidener gewachsen als lange erhofft. Aber das Ausmaß des deutschlandweiten Unbehagens wird von den Farbverschiebungen noch gar nicht erfasst.

Es gibt das verbreitete Gefühl, dass man weit unter Wert regiert wird. Dieses Gefühl führt, ohne dass die SPD sehr viel dafür könnte, zu einer diffusen Wechselstimmung im Land. Aber ein Regierungswechsel vor Ablauf der Legislatur ist fast so schwer wie die Lösung der Euro-Krise. Das Berliner Wahlergebnis kann nun dazu führen, dass Stimmen sich mehren, die einer großen Koalition im Bund das Wort reden - für eine kurze Übergangszeit, bis zu einer raschen Neuwahl.

In Berlin darf die SPD Renate Künast dankbar sein; sie hat zum Erfolg Wowereits das Entscheidende beigetragen. Erst ihr forscher Anspruch, ihn als Regierenden Bürgermeister abzulösen, hat dem Amtsinhaber den Tritt und den Kick gegeben, die notwendig waren, um ihn aus wohliger Trägheit aufzuwecken.

Er hat sich daraufhin auf seine taktilen Fähigkeiten besonnen und das gepflegt, was die harsche Grüne am wenigsten kann. Im großen Wannsee des gefühlig Unbestimmten gingen die großen grünen Ambitionen unter. Die vor sechs Monaten von der Sensationswahl in Baden-Württemberg auf den Kopf gestellte Rangfolge ist nun wieder hergestellt: Sie heißt Rot-Grün, nicht Grün-Rot.

Und die FDP? Gelb vergilbt. Die FDP wird nicht wieder frisch, wenn sie auf die populistische Linie der Euroskeptiker und Anti-Europäer einschwenkt. Es ist dies eine Verzweiflungsaktion, mit der sie später womöglich noch Stimmungsprozente gewinnen könnte; sie verliert aber ihre große Geschichte als Europapartei. Parteichef Rösler folgt dem Rezept: Erst soll die Partei mit Rosskuren und Scharlatanerien überleben, dann schauen wir weiter.

Er würde momentan auch den Ehrenvorsitzenden Hans-Dietrich Genscher gegen ein paar Prozent mehr verkaufen. Solche Liederlichkeiten mag der Wähler nicht. Die Kanzlerin muss sich nach neuen Partnern umschauen, wenn sie Kanzlerin bleiben will. Mit Schwarz-Gilb kann man nicht regieren.

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