Verhandlungen der schwarz-roten Koalition:Braucht es wirklich ein milliardenschweres Konjunkturprogramm?

CDU/SPD-Koalition in Niedersachsen

Gäbe es einen Wettbewerb um die längsten Wunschzettel der Welt, hätten SPD und CDU/CSU gute Chancen auf einen Spitzenplatz.

(Foto: dpa)

Nicht unbedingt. Aber Union und SPD haben bereits die Bundestagswahl im Blick. Das bringt sie in eine heikle Doppelrolle.

Kommentar von Cerstin Gammelin

Eine lange Nacht sollte es dauern. Nun ringen zwei alte Vertraute, SPD und Union, schon zwei lange Tage um das geplante Konjunkturpaket. Das Ende ist offen. Warum es so lange dauert? Es geht nur am Rande um die Konjunktur. Tatsächlich verhandeln SPD sowie CDU und CSU einen neuen, kleinen Koalitionsvertrag. In dem sie möglichst viel von den eigenen Parteiprogrammen unterbringen wollen. Nächstes Jahr ist Bundestagswahl.

Gäbe es einen Wettbewerb um die längsten Wunschzettel der Welt, hätten SPD und CDU/CSU gute Chancen auf einen Spitzenplatz. Vom Stallumbau in der Sauenhaltung über Konsumgutscheine bis hin zur Autoprämie war so gut wie jeder erdenkliche Wunsch in den Listen aufgeführt, mit denen das Spitzenpersonal in den Koalitionsausschuss zog, um über das große Corona-Konjunkturpaket zu verhandeln. Frei nach dem Motto: Probieren kann man's ja, und im Zweifel tauscht man das eine gegen das andere. Besonders überzeugend ist ein solches Gebaren nicht. So verhalten sich kaum Koalitionäre, die eine dramatische Krise zu bewältigen haben. Sondern Parteien, die wissen, dass in einem Jahr gewählt wird.

SPD und Union sind in einer heiklen Doppelrolle. Sie müssen das Land durch eine lebensgefährliche Pandemie führen und zugleich den nach der Sommerpause beginnenden Vorwahlkampf im Blick haben. Im Herbst 2021 beginnt die Nach-Merkel-Ära, die will vorbereitet werden. Die Beschlüsse des zweitägigen Koalitionsausschusses werden, eine Einigung vorausgesetzt, deshalb ziemlich sicher das letzte große, gemeinsame Projekt dieser Koalition sein.

Offiziell verhandelten SPD und Union ein Konjunkturpaket, das die Bundesrepublik aus der von dem Coronavirus ausgelösten schweren Rezession führen soll. Praktisch aber rangen die Regierungsparteien um einen neuen, kleinen Koalitionsvertrag. Die Bürger sollen wissen, was sie von wem noch zu erwarten haben.

Das ist legitim. Union und SPD haben in den akuten Krisentagen verantwortungsvoll kooperiert und das Land gut durch die Pandemie gebracht. Die Bürger haben es ihnen, den Umfragen zufolge, mit neuem Vertrauen gedankt; der Union mehr als der SPD. Insgesamt hat die große Koalition wieder eine stabile Mehrheit. Klar, dass die Parteien versuchen, die steigende Zustimmung in die Wahlkampfzeit mitzunehmen.

Umso erstaunlicher ist es, wie leichtfertig sie mit dem neu gewonnenen Vertrauen umgehen. SPD und Union glauben offensichtlich, dass sie nach Corona einfach so weitermachen können wie vor Corona. Als hätte das Virus Wirtschaft und Bürger nicht spürbar verändert. Ihre Wunschlisten lasen sich streckenweise wie die Parteiprogramme, die vor der Krise geschrieben worden waren. Autoprämien, Kinderboni, Steuersenkungen, Digitalpakt Schule, Kita-Ausbau, Strompreissenkungen, Altschuldenhilfen für Kommunen. Alles, was man sich schon immer gewünscht oder sogar schon beschlossen hatte, sollte jetzt ein wirksames Mittel sein, um die Folgen der Corona-Pandemie zu überwinden.

Die Debatte um die langen Listen verdeckt, dass man durchaus bezweifeln kann, dass es zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt ein zusätzliches Konjunkturpaket braucht. Nur zur Erinnerung: Der deutsche Staat hat erst im März ein Krisenprogramm im Wert von 1200 Milliarden Euro aufgelegt; Kredite, Garantien und Zuschüsse; für jeden war etwas dabei. SPD und Union hatten sich entschlossen, alles zu tun, um die durch das Virus lahmgelegten gesellschaftlichen wie wirtschaftlichen Strukturen aufrechtzuerhalten. Dieses Krisenprogramm stellt bereits sicher, dass das Leben nach dem Virus ohne große Verluste wieder in den Normalbetrieb überführt werden kann.

Das Geld ist noch längst nicht ausgegeben. Von den 50 Milliarden Euro an Zuschüssen für Solo-Selbständige und kleine Unternehmen sind 13 Milliarden Euro abgeflossen. Das Kreditprogramm der Förderbank KfW ist mit 500 Milliarden Euro ausgestattet, bislang sind erst 44 Milliarden Euro ausgereicht. Die Schnellkredite fließen nur spärlich ab. Die Lufthansa ist das erste und bisher einzige Unternehmen, das vom extra eingerichteten Wirtschaftsstabilisierungsfonds gerettet werden muss.

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Man kann daran sehen, dass das bisherige Paket sehr großzügig bemessen ist. Aber auch, dass die Krise bisher längst nicht so schlimme Auswirkungen hatte wie befürchtet. Es gibt weniger Bedürftige als erwartet. Aber die Branchen, die betroffen sind, werden die Hilfen länger benötigen: das Gastgewerbe, Kunst und Kultur, kleinere Firmen und Selbständige, Zulieferer, Einzelhändler, einzelne Großunternehmen. SPD und Union müssen die alten Geldtöpfe länger zugänglich machen.

Es ist unstrittig, dass es zusätzlich gezielte Maßnahmen braucht, um Handel und Wandel zu fördern. Aber dafür wäre ein zusätzliches milliardenschweres Konjunkturprogramm derzeit gar nicht nötig. Vertrauensbildend wäre es, würde die Koalition auf transparente Art und Weise die 1200 Milliarden Euro ausschöpfen. Und sich darauf konzentrieren, was sie versprochen hat, nämlich die Bundesrepublik nach Corona grüner, gerechter, moderner und digitaler zu machen. Es braucht neue Forschungsprogramme, Bildungsoffensiven, Mobilitätskonzepte. An diesen Zielen muss sich auch der kleine neue Koalitionsvertrag messen lassen, den SPD und Union nun verhandelt haben.

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