Union: Konservatismus-Debatte:Kohl weg, Dregger weg, Sowjets weg

Eine Partei wie ein Staubsauger: Die Union schaffte es lange, alle Parteien rechts von der SPD zu integrieren. Heute fehlen Identitätsstifter wie Adenauer, Strauß und Kohl - dennoch muss die Union keine neue konservative Partei fürchten.

Gerd Langguth

Gerd Langguth, 64, lehrt Politikwissenschaft an der Uni Bonn. Er war CDU-Bundestagsabgeordneter, Staatssekretär und Chef der Konrad-Adenauer-Stiftung. 2005 erschien seine Merkel-Biographie.

Helmut Kohl und Alfred Dregger, 1987

Helmut Kohl war ein Meister darin, das Publikum rechts von der Union anzusprechen. Er hatte Alfred Dregger (r.) zum Fraktionschef gemacht.

(Foto: AP)

Der Markenkern der Union war jahrzehntelang ihre Integrationskraft. Insbesondere der CDU schien es wie einem Staubsauger zu gelingen, alle Parteien rechts von der SPD aufzusaugen. Im ersten Deutschen Bundestag von 1949 gab es noch elf Parteien, die beiden Unionsparteien hatten bei der ersten Bundestagswahl 31,0 Prozent erzielt - vier Jahre später aber bereits 45,2 Prozent. Bis Mitte der achtziger Jahre hatte die Union in der Regel um die 45 Prozent, 1957 kam sie sogar auf die absolute Mehrheit. Warum gelang es der Union, keine demokratische Partei rechts neben sich entstehen zu lassen?

Der Erfolg von CDU und CSU war einer einmaligen historischen Situation geschuldet: Der Neuaufbau der Demokratie brachte als eine neue Parteigründung die Union hervor, eine Organisation, die die konfessionellen Schranken der Parteien der Weimarer Republik überwinden, aber auf den alten Strukturen der katholischen Zentrums-Partei und der Bayerischen Volkspartei aufbauen konnte. Der Katholizismus ging ein Bündnis mit dem protestantischen Bürgertum ein. Der Patriarch Konrad Adenauer vermittelte den Deutschen in den Nachkriegsjahren Sicherheit, das "Wirtschaftswunder" seines Ministers Ludwig Erhard tat ein Übriges. Und es herrschte Kalter Krieg. Die Furcht vor einem sowjetischen Imperialismus wurde durch die Union gnadenlos ausgebeutet. Diese Angst war ein wichtiger Kitt der Nachkriegsgesellschaft und trieb der Union die Wähler zu. Erst mit dem Godesberger Programm von 1959 akzeptierte die SPD die Basisentscheidungen Adenauers: europäische Integration der Bundesrepublik, Mitgliedschaft in der Nato und soziale Marktwirtschaft.

Der Fuchs Adenauer war ein Meister darin, alle demokratischen Parteien rechts von der Union zu integrieren. So konnte er einflussreiche Mitglieder seines Koalitionspartners, der Vertriebenenpartei "Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten", im Jahr 1956 zum Übertritt in die CDU bewegen, zum Beispiel den Vertriebenenminister Theodor Oberländer. 1960 gesellten sich Hans-Christoph Seebohm und Hans-Joachim von Merkatz und andere, die bis dahin der konservativen Deutschen Partei angehört hatten, zur CDU. Von 1961 an war das Problem der Kleinparteien weitgehend erledigt. Zudem gab es seit der zweiten Bundestagswahl 1953 die Fünf-Prozent-Hürde für den Einzug in den Bundestag.

Strategisch wichtig war für die Union, dass die beiden C-Parteien zwar getrennt marschierten, aber durch eine Fraktionsgemeinschaft im Bundestag verbunden waren. Viele außerhalb Bayerns wählten die CDU, weil sie wussten, dass beide Parteien im Bundestag zusammenarbeiten. Damit war die Union politisch breiter aufgestellt und hatte einen echten Vorteil gegenüber der SPD: Während sich die CDU liberaler gebärden konnte, war die CSU unter Strauß ein rechtspopulistischer Rammbock (so sagte Strauß, er sei lieber ein "kalter Krieger" als ein "warmer Bruder"). Oder: Rechts von ihm sei nur die Wand. Alles setzte er daran, durch seinen Wortwitz und Populismus die Stammtische zum Brodeln zu bringen. Horst Seehofer versucht heute mit geringem Erfolg, an Strauß' Tradition anzuknüpfen.

Auch Helmut Kohl war ein Meister darin, das Publikum rechts von der Union anzusprechen. So hatte er den äußerst loyalen einstigen Wehrmachtsoffizier Alfred Dregger zum Fraktionschef gemacht. Zudem hatte sich Kohl besonders um die Vertriebenen bemüht und bis zum formalen Abschluss der Einheitsverhandlungen auch die völkerrechtlich heiklen Fragen der Grenzen des wiedervereinigten Deutschland offengehalten.

Die besondere Kraft der Union bestand darin, dass sie zahlreiche Flügelpersonen aufbieten konnte - mit breiter Integrationswirkung in die Gesellschaft hinein. Von Hans Katzer und Norbert Blüm, die den sozialen Flügel abdeckten, über die Widerstandskämpfer Hermann Ehlers und Eugen Gerstenmaier von der "Bekennenden Kirche" über den Wirtschaftsliberalen Gerhard Stoltenberg bis hin zum ursprünglich nationalkonservativen Kai-Uwe von Hassel.

Der Niedergang der Volkspartei CDU begann nicht erst unter Merkel, sondern spätestens 1998, als Helmut Kohl nur noch 35,1 Prozent einfuhr. Die vielfältigen gesellschaftlichen Entwicklungen machen nicht nur der SPD, sondern auch der CDU zu schaffen. Die Auflösung der Milieus, die zwei gesellschaftlichen Großtendenzen der Individualisierung sowie der Pluralisierung der Lebensstile, haben Einfluss auf alle Großorganisationen, auch die Kirchen oder Gewerkschaften. Ebenso muss die Union mit der steigenden Zahl der Nicht- und Wechselwähler umgehen lernen.

Die gegenwärtige Konservativismus-Debatte ist eine mehr oder minder versteckte innerparteiliche Merkel-Schelte. Zwar gab es immer konservative Zwischenrufe, aber die Diskussion um das konservative Profil der Union hat erst Fahrt aufgenommen, nachdem das bisherige Erfolgsmodell Merkel'scher Politik in der kleinen Koalition mit der FDP nicht mehr funktioniert. Merkel, im Alter von 36 Jahren als Ostdeutsche zur CDU gestoßenen, ist eine gelernte Christdemokratin, die nie zur "Seele der Partei" wurde. Viele fremdeln mit der unideologischen Problemlöserin.

Kann rechts neben der CDU eine neue Partei entstehen? Theoretisch wäre dies denkbar, zumal Meinungsforscher ein "konservatives" Potential von bis zu 20 Prozent festgestellt haben wollen. Ablehnung der Moderne und Anti-Islamismus allein reichen aber nicht für eine solide Parteigründung. Voraussetzung für den Erfolg einer neuen Partei ist vor allem eine charismatische Führerfigur. Diese gibt es nicht. Friedrich Merz wäre jemand, doch der ist innerlich viel zu verwoben mit der CDU, als dass er sich für ein solches Abenteuer hergäbe; ähnlich Roland Koch. Und selbst wenn es diese charismatische Persönlichkeit gäbe: Es müsste innerhalb relativ kurzer Zeit ein Parteiaufbau hingelegt werden, bei dem nach allen Erfahrungen alle Frustrierten, die schon in anderen Parteien Schiffbruch erlitten haben, sich wiederfänden. Manche fragwürdige Gesellen wären darunter, die schnell eine solche konservative oder rechte Partei kontaminieren würden. Das Beispiel der inzwischen wieder untergegangenen Hamburger "Schill-Partei" ist abschreckend. Ein rascher Aufbau einer bundesweiten konservativen Partei kann kaum gelingen. Er würde die Union aber Stimmen kosten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: