Union, Liberale, Grüne:So kann ein Jamaika-Bündnis gelingen

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Die Frage der Sondierungsgespräche lautet: Was muss passieren, dass daraus ein schönes Gemälde entsteht? (Foto: imago/Steinach)

CSU, FDP, Grüne: Jeder der potenziellen Partner hat Schmerzpunkte. Wer ernsthaft über eine Koalition sprechen will, muss vorsichtig sein. Eine Handreichung für die erste Sondierung.

Von Hannah Beitzer, Stefan Braun und Jakob Schulz, Berlin

Wie fängt man an? Und was macht man besser nicht? Diese Fragen stellen sich Union, FDP und Grünen vor Beginn der Sondierungsgespräche. Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki hat nach dem Wahlsieg schnell gesagt, was nötig sein wird, damit die Parteien tatsächlich die Chance auf ein konstruktives Gespräch bekommen: Man dürfe die anderen "nicht über den Tisch ziehen oder desavouieren". Und zur wichtigsten vertrauensbildenden Maßnahme gehöre, "zu verstehen, wo die Schmerzgrenzen der jeweils anderen liegen". Diese müsse man beachten und dürfe sie nicht permanent überschreiten; andernfalls gebe es keine Basis fürs Zusammenarbeiten.

CSU, FDP und Grüne: Alle potenziellen Partner der CDU haben jeweils absolute Schmerzpunkte, schwierige Baustellen und ein paar ziemlich einfache Wünsche. Ein Überblick über die Lage der drei schwierigsten Vielleicht-Bald-Partner.

Die CSU

Die Bayern sind schwer verwundet nach einem Wahlergebnis, das unendlich schmerzt und wie eine große Bedrohung aussieht. Sollten sich die 38 Prozent bei den Landtagswahlen in einem Jahr wiederholen, wäre die CSU nicht mehr das, was sie nach eigenem Selbstverständnis unbedingt sein muss: die eine große Regierungspartei Bayerns. Aus diesem Grund ist sie derzeit die Verwundetste unter den möglichen neuen Partnern. Die anderen sollten sie nicht gleich am Anfang reizen. Sonst könnte sie den Rollladen sofort runter lassen - zum Schaden aller, die vor der Aufgabe Jamaika stehen.

Schmerzpunkte der CSU

Der größte Schmerzpunkt ist zugleich der komplizierteste: Wer vorneweg über den bayrischen Ruf nach einer Obergrenze redet, spielt mit dem Feuer und verschwendet auch noch seine Kräfte. So gesehen hat die Grünen-Chefin Simone Peter genau das gemacht, was alle anderen im so genannten Vierzehner-Team der Grünen vermeiden möchten. Die Obergrenze ist nicht nur für die Grünen ein Ärgernis, es wird auch von der CDU abgelehnt und von der FDP in dieser Plumpheit nicht mitgetragen. Die Liberalen haben aber einen Vorschlag vorgelegt, der manches möglich machen könnte: Sie wollen präzise zwischen Asyl, Bürgerkriegsflüchtlingen (mit Kontingenten) und Fachkräfteeinwanderung unterscheiden. Wer den Vorschlag genau liest, kann das Gefühl bekommen, am Ende sei vielleicht sogar der CSU-Schmerzpunkt überwindbar.

Ein weiterer sehr heikler Punkt ist die Frage, ob beim Thema Bildung der Föderalismus beschnitten oder abgeschafft werden soll. Dagegen sträubt sich die CSU seit Jahrzehnten, sie wird es in dieser schlichten Form sofort ablehnen. Negative Signalwörter sind darüber hinaus die Vermögenssteuer und ein fixes Datum für das Ende des Verbrennungsmotors.

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Schwierig, aber für die CSU vielleicht überbrückbar

Wer hier genauer hinschaut, landet erneut beim Thema Bildung. Im Detail geht es Grünen und Liberalen beim Aufbrechen des Kooperationsverbots zwischen Bund und Kommunen vor allem um bessere Schulen, nicht in erster Linie um Lehrpläne. Und das könnte, wenn auch schwierig, eine Einigung möglich machen. Mit einem Teil, der eine viel stärkere Finanzierung durch den Bund ermöglicht, beim Bau wie beim Personal, ohne dass die Länder alle Kompetenzen verlieren.

Sehr schwer, aber nicht unmöglich könnte es auch beim Thema Landwirtschaft werden. Einerseits lehnt die CSU die grünen Attacken auf die Massentierhaltung ab; andererseits wollen sie die Bauern auf keinen Fall verlieren, sondern im Grunde glücklich machen. Das könnte einen Weg hin zu etwas kleineren Betrieben öffnen, die in Bioproduktion investieren - und angesichts der wachsenden Nachfrage damit wirtschaftlich erfolgreich sind. Möglicherweise sehen die Fronten hier zwischen CSU und Grünen verhärteter aus als sie es tatsächlich sind.

Und dann ist da auch noch das Thema Familienförderung. Die Grünen wollen das Ehegattensplitting abschaffen, die CSU will es behalten. Die CSU will Familien steuerlich entlasten, die Grünen Alleinerziehende finanziell unterstützen. Das klingt zunächst unversöhnlich, könnte aber Brücken schlagen - wenn man zunächst die Ziele definiert und dann schaut, was die einzelnen Instrumente am Ende bewirken. Steuerentlastungen bringen den Alleinerziehenden eher wenig; Gutverdienende brauchen keine Zuschüsse für die Kita. Wer freilich will, dass bei allen ähnlichen Ziele erreicht werden, könnte das womöglich ganz gut schaffen.

Die Schmerzgrenzen der Liberalen

Da ist zuallererst das Wort Sicherheitsgesetz. Mehr Überwachung und weniger Datenschutz - sollte das gleich zum Thema werden, wäre die FDP schnell ausgestiegen. Einen "Wahn der Union" diagnostizierte FDP-Parteivize Kubicki vor der Wahl. Deutlicher kann man nicht sagen, dass das weh tut.

Gleiches gilt für die Steuerpolitik. Folgt auf den Begriff 'Steuer' nicht das Suffix '-senkungen', bekommen Liberale Bauchschmerzen. Die FDP dürfte sich gegen alles stellen, was nach höheren Steuern klingt, sie will darauf drängen, den Solidaritätszuschlag 2019 abzuschaffen. Es ist also über alle Maßen unwahrscheinlich, dass die FDP sich auf höhere Erbschaftsteuern oder eine Besteuerung von Vermögen einlässt. Gerade die Grünen müssen sich überlegen, ob sie das gleich am Anfang zum Thema machen.

Heikel, sehr heikel wird auch die Europapolitik, jedenfalls immer dann, wenn es ums Geld geht. Eine Vergemeinschaftung der Schulden wird es mit den Liberalen nicht geben. Sie wollen Griechenland keineswegs in der Euro-Zone halten und pochen auf die "finanzpolitische Eigenverantwortung aller Staaten". Lindners Credo: Mit ihm werde es "keine neuen Geldtöpfe für automatische Transfers" geben.

Für die FDP schwierig, aber überbrückbar

Es spricht einiges dafür, Jamaika-Sondierungen nicht mit dem Thema Energiepolitik zu beginnen. Hier sind die Positionen teils sehr unterschiedlich. Die Liberalen streiten vehement gegen Quoten, Subventionen und Verbote. Eine strenge Regelung etwa, Autos mit Verbrennungsmotoren vom Jahr 2030 an nicht mehr neu zuzulassen, dürfte mit der FDP kaum zu machen sein. Knackpunkt für die Partei ist der Begriff "Technologieoffenheit". Anders als die Grünen sind die Liberalen nicht davon überzeugt, dass Elektro-Autos die Heilsbringer sind. Stattdessen kann die FDP sich zum Beispiel auch vorstellen, dass Verbrenner dank synthetischer Kraftstoffe umweltfreundlicher werden könnten. Per Wasserstoffantrieb zum Beispiel. Gleichwohl werden sich die Liberalen bei Energiefragen einen gewissen Spielraum erlauben, auch sie bekennen sich klar zu den Klimazielen des Pariser Abkommens. "Einstieg in den Ausstieg" könnte noch zu einem Zauberwort werden.

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Sehr resolut gibt sich die FDP auch in der Türkei-Politik: "Die Zusammenarbeit mit der Regierung Erdoğan muss ausgesetzt, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei müssen beendet werden", heißt es in den zehn Leitlinien. Beide Forderungen sind brisant. Ein Stopp der Zusammenarbeit würde das Flüchtlingsabkommen zwischen EU und Türkei massiv gefährden. Die EU zahlt Milliarden an Ankara, im Gegenzug verhindern türkische Behörden, dass Millionen syrische Bürgerkriegsflüchtlinge wie im Sommer 2015 übers Mittelmeer nach Europa kommen. Das dürfte die FDP nicht riskieren. Gleiches gilt für die Forderung, die EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei abzubrechen. Zuletzt erinnerte die Mehrheit der EU-Außenminister daran, dass es darum geht, die Erdoğan-Kritiker und Pro-Europäer in der Türkei nicht komplett vor den Kopf zu stoßen. An dieser Frage dürften die Liberalen keine Koalition scheitern lassen.

Nicht einfach ist auch das Thema Bildung. Die FDP hat im Wahlkampf schon sehr laut nach einem Ende des Kooperationsverbotes in der Bildung gerufen. Es sorgt dafür, dass der Bund die Schulen nur sehr begrenzt unterstützen darf. Angesichts vieler maroder und schlecht ausgestatteter Schulen drängen die Liberalen darauf. Möglicherweise lässt sich in Verhandlungen das gemeinsame Interesse aller - viel mehr für Schulen zu tun - auch auf anderem Wege erreichen.

Schmerzgrenzen der Grünen

Das für die Grünen schwierigste Thema ist auch das der CSU - nur aus der anderen Richtung. "Mit uns gibt es keine Grundgesetzänderung für eine Obergrenze beim Asylrecht", heißt es im Zehn-Punkte-Plan der Partei. Die Grünen waren im Wahlkampf die entschiedensten Vertreter einer Willkommenskultur. Ihnen gleich zu Beginn der Gespräche eine Obergrenze aufdrücken zu wollen, dürfte die Verhandlungen stoppen, bevor sie richtig begonnen haben.

Nicht viel kleiner sind auch andere Fragen beim Asylrecht. So lehnen die Grünen alle "Verschärfungen und Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete" ab. Das gilt ganz besonders für Afghanistan. Allerdings sind die Grünen auf Landesebene von dem Grundsatz "keine Abschiebungen nach Afghanistan" abgewichen. Ob es eine Form geben könnte, in der man das auf den Bund übertragen könnte - vollkommen offen, aber unwahrscheinlich. Eine Lösung gibt es nur, wenn es ein umfassendes Asyl- und Einwanderungsrecht geben sollte, bei dem möglicherweise jährlich neu Obergrenzen ausgehandelt werden, für die Einwanderung und für Kontingente für Bürgerkriegsflüchtlinge.

Schwierig wird auch das Thema Freihandel. Die Grünen sind gegen Freihandelsabkommen wie CETA oder TTIP. In den Protesten dagegen ist fast die gesamte Parteispitze geschlossen aufgetreten. Ein kleiner Nachsatz im Zehn-Punkte-Programm der Grünen weist nur vielleicht einen Ausweg: Man kämpfe dafür, dass das Abkommen "in dieser Form" nicht ratifiziert werde.

Für die Grünen schwierig, aber vielleicht verhandelbar

So sehr sie die CSU-Obergrenze ablehnen, so entschlossen haben die Grünen auf dem Feld der Klimapolitik eigene Grenzen formuliert. Die Partei will die 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke sofort abschalten, der Ausstieg aus der Kohlekraft soll bis 2030 passieren. Und dann ist da auch noch die Forderung, von 2030 an keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr in Deutschland zuzulassen. All das ist zentral, und einiges davon werden die Grünen kaum aufgeben können. Gleichwohl wird es in der Klimaschutz- und Energiepolitik eher früher als später ans Eingemachte gehen müssen. Und dazu gehört dann auch die Schlussbotschaft Cem Özdemirs im Wahlkampf, man müsse unverzichtbar "den Einstieg in den Ausstieg" schaffen. Das erinnert nicht nur an Lindners Diktum von der unverzichtbaren Trendwende - wenn man es wörtlich nimmt, schafft das Spielraum. Trotzdem ist klar: Beim Umweltschutz können die Grünen nicht viele Kompromisse machen. Wollen sie ihre Mitglieder für einen Koalitionsvertrag gewinnen, muss sich der Umweltschutz ausführlich darin wieder finden.

Große Unterschiede tun sich auch im Bereich der Krankenversicherung und der Rente auf, wo die Grünen einen grundlegenden Systemwechsel anstreben. Sie wollen eine sogenannte Bürgerversicherung, in die Selbstständige, Beamte und Angestellte gleichermaßen einzahlen. Diese Idee ist einer der Grundpfeiler des grünen Wahlkampfs. Insbesondere für den linken Parteiflügel könnte das ein entscheidender Punkt werden, wenn es um die Zustimmung zur Koalition geht. Auch an dieser Stelle dürfte es spannend werden, immerhin will die FDP die private Krankenversicherung ausbauen und die private Altersvorsorge stärken. Und die Union erklärte im Wahlkampf: "Die Einführung einer sogenannten Bürgerversicherung lehnen wir ab." Treffen könnten sich alle beim Renteneintrittsalter. Alle wollen das flexibler halten, auf freiwilliger Basis.

Unproblematisch für alle Partner: Digitalisierung, Rente, Polizei

Ja, tatsächlich gibt es gerade beim bislang im Bund nie versuchten Jamaika- Bündnis Überschneidungen, mit denen man einen Koalitionsvertrag durchaus auffüllen könnte. Und das gilt auch für Wünsche einer CSU, die ja eigentlich immer alleine regieren möchte.

Alle, auch die CSU, wollen eine Bildungsoffensive starten; alle vier Parteien (inklusive CDU) wollen und müssen bei der Digitalisierung Tempo machen. Alle vier sind anders als Sozialdemokraten dafür, nicht länger an einem starren Renteneintrittsalter fest zuhalten; alle vier plädieren mit Verve für mehr Personal und Technik für die Polizeien in Deutschland. Ebenfalls alle vier sprechen sich - wenn auch unterschiedlich intensiv - für ein Einwanderungsrecht aus, damit die Anwerbung von Fachkräften und klügsten Köpfen besser gelingen kann. Und wenn man sich an der Rhetorik orientiert, dann müssten sich alle vier relativ schnell auch auf eine Entschädigung für die Betroffenen der Dieselaffäre verständigen können.

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