Unionsfraktion:Alles scheint sich gegen Kauder verschworen zu haben

Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Das Votum über ihn ist indirekt eine Vertrauensabstimmung über die Kanzlerin.

(Foto: picture alliance / Michael Kappe)
  • Zum ersten Mal seit Jahrzehnten gibt es in der Unionsfraktion eine Kampfabstimmung um den Fraktionsvorsitz.
  • Fraktionsvize Ralph Brinkhaus möchte statt Volker Kauder Vorsitzender werden.
  • Das Votum am heutigen Dienstag ist indirekt auch eine Vertrauensabstimmung über die Kanzlerin.

Von Robert Roßmann, Berlin

Vielleicht hat sich Volker Kauder in den vergangenen Wochen ja manchmal gefragt, ob es nicht besser gewesen wäre, auf eine weitere Kandidatur zu verzichten. Der Unionsfraktionschef ist vor drei Wochen 69 geworden - er ist genau so alt wie Horst Seehofer, den gerade so viele aufs Altenteil schieben wollen. Kauder müsste sich auch nichts mehr beweisen. Er ist bereits jetzt der dienstälteste Vorsitzende in der Geschichte der Unionsfraktion. Er ist sogar noch einen Tag länger im Amt als Angela Merkel Kanzlerin ist. 709 Abgeordnete gibt es im Bundestag - nur drei von ihnen sitzen länger im Parlament als Kauder.

Der Unionsfraktionschef ist ein verdienter Veteran, er hätte in Ehren gehen können. Aber er hat sich entschieden, noch einmal anzutreten. Und seitdem scheint sich alles gegen ihn verschworen zu haben. Erst zerstritten sich CDU und CSU über Zurückweisungen an der Grenze dermaßen, dass für ein paar Tage sogar die Fraktionsgemeinschaft der Schwesterparteien gefährdet war. Kauder, der Chef dieser Fraktionsgemeinschaft, machte dabei eine ziemlich unglückliche Figur. Seine Autorität bekam ernsthafte Risse.

Auf einmal erinnerten sich alle daran, dass Kauder schon bei der vergangenen Wahl nur 75 Prozent der Stimmen bekommen hatte. Und dann meldete sich auch noch ein Gegenkandidat. Ralph Brinkhaus, einer der elf Kauder-Stellvertreter, will jetzt selbst Fraktionschef werden. So etwas hat es in der Unionsfraktion seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben.

Der Wunsch nach einer Veränderung an der Spitze ist groß

In den vergangenen Tagen zerlegte sich die große Koalition in der Causa Maaßen dann auch noch beinahe selbst - und der Unmut der Unionsabgeordneten über die eigene Führung, die so schlecht führt, erreichte bisher ungekannte Höhen. Vermutlich noch nie in der langen Kanzlerschaft Merkels war der Wunsch der Abgeordneten nach einer Veränderung an der Spitze so groß wie jetzt. Ausgerechnet in dieser Gemengelage muss sich Volker Kauder an diesem Dienstag zur Wahl stellen.

Dass Merkel sich eindringlich für Kauder ausgesprochen hat, ist in diesen Zeiten nicht unbedingt eine Hilfe. Manch einer könnte die Gelegenheit nutzen, um mit einer Stimme gegen Kauder auch die Kanzlerin abzustrafen - schließlich ist der Unionsfraktionschef eine der wichtigsten Stützen Merkels.

Kauder gilt zwar immer noch als Favorit, eine Garantie ist das in diesen volatilen Zeiten aber nicht. Außerdem wäre auch eine Wahl mit einem schlechten Ergebnis eine Schmach für Kauder. Denn sein Gegner ist ja nicht gerade der härteste aller denkbaren Herausforderer. Für Macht-Aspiranten wie Jens Spahn kommt eine Kandidatur noch zu früh. Und andere Granden wie Hermann Gröhe, der in der Fraktion geschätzte Ex-Minister und ehemalige Generalsekretär, haben sich nicht anzutreten getraut. Die Courage dafür hatte nur Brinkhaus - ein Mann, bei dem die meisten außerhalb des Berliner Politikbetriebs erst einmal fragen: Ralph wer?

Brinkhaus will kein Hinterzimmer-Strippenzieher sein

Kauder war vor seiner ersten Wahl zum Fraktionschef bereits CDU-Generalsekretär und erster parlamentarischer Geschäftsführer. Brinkhaus hat derlei nicht vorzuweisen. Der 50-jährige Steuerberater ist erst 1998 in die CDU eingetreten. Seit 2009 sitzt er im Bundestag, dort wurde er Anfang 2014 einer der stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion. Unter seinen Kollegen gilt er als herausragender Finanz- und Haushaltspolitiker. Bei der letzten Wahl der stellvertretenden Fraktionschefs stimmten 99,5 Prozent der Abgeordneten für ihn.

Als Generalist - und ein solcher muss ein Fraktionschef sein - ist er aber noch nicht aufgefallen. Auch als Netzwerker wurde Brinkhaus bisher nicht wahrgenommen. Das zeigt sich auch jetzt. Er hat seine Kandidatur weder mit dem Wirtschaftsflügel - was für einen Finanzpolitiker naheliegen würde - noch mit seinem Landesverband Nordrhein-Westfalen abgesprochen. Aber genau daraus hat Brinkhaus in den vergangenen Wochen versucht, eine Stärke zu machen. Er will nicht als Hinterzimmer-Strippenzieher wahrgenommen werden.

Die Union soll raus aus der Defensive

Brinkhaus sagt, er wolle sich für mehr Teamgeist einsetzen, es sei ihm wichtig, "das Wir" in der Fraktion zu stärken. Vor allem aber müsse die Union endlich raus aus der Defensive. Er wolle versuchen, Bürger, die sich Richtung AfD abgewandt haben, zur Union zurückzuholen. Und er wolle, dass sich die Fraktion auch einmal die Freiheit nehme, an der einen oder anderen Stelle eine andere Position als die Regierung zu beziehen. Zumindest Letzteres wurde als deutliche Abgrenzung von Kauder verstanden, in dessen Amtszeit die Unionsfraktion häufiger Erfüllungsgehilfin des Kanzleramts denn Kontrolleurin der Regierung war.

Fraktionssitzungen der Bundestagsparteien

Der Unions-Vizefraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus hat bei der letzten Wahl der stellvertretenden Fraktionschefs 99,5 Prozent bekommen.

(Foto: dpa)

Brinkhaus ist schwer einzuordnen - er gehört weder zum Lager der treuen Merkelianer noch zur Gruppe der Abgeordneten, die der Kanzlerin zunehmend kritisch gegenüberstehen. Aber genau das könnte ihm jetzt helfen.

Im April dieses Jahres schaffte er es ausnahmsweise einmal in die Schlagzeilen. Damals formulierte er die Reaktion der Unionsabgeordneten auf die Vorschläge des französischen Präsidenten Macron zur Zukunft Europas. Das Papier, das Brinkhaus zusammen mit zwei Kollegen schrieb, geriet kritischer, als es Merkel recht war, gefiel aber vielen Unionsabgeordneten. Sie befürchten, Merkel könnte in Verhandlungen mit Macron nicht hart genug auftreten und für Deutschland unnötig teure Kompromisse billigen. Das Papier von Brinkhaus & Co. wurde als Beschränkung der politischen Beinfreiheit der Kanzlerin wahrgenommen und erregte deshalb großes Aufsehen. Das Papier zeigt aber auch eine Schwäche von Brinkhaus. Als reiner Finanz- und Haushaltspolitiker hat er eine ziemlich fiskalische Sicht auf die Dinge. Dass es bei den Verhandlungen mit Macron angesichts des Aufstiegs der Rechtspopulisten und der Herausforderungen durch China, Russland und Donald Trump auf viel mehr ankommt als nur auf Zahlen, scheint Brinkhaus nicht immer ausreichend wichtig zu sein.

Spahn kann kein Interesse an einem mächtigen Konkurrenten haben

Aber wie groß sind jetzt seine Erfolgsaussichten genau? Es gibt in der Unionsfraktion zwar starkes Grummeln über Kauder. Viele Abgeordnete wünschen sich eine eigenständigere Rolle der Fraktion gegenüber der Kanzlerin und eine Verjüngung an der Spitze. Und Brinkhaus hat mit seinem Auftritt bei der Anmeldung seiner Kandidatur in der letzten Fraktionssitzung auch viele bis dahin eher distanzierte Abgeordnete beeindruckt. Aber für einen Sieg über Kauder dürfte das am Ende wohl eher nicht reichen.

In der Fraktion gibt es nach dem heftigen Streit um die Flüchtlingspolitik im Frühsommer und den Auseinandersetzungen um Hans-Georg Maaßen ein großes Bedürfnis nach Ruhe. Außerdem können auch die ewig aufbegehrenden Abgeordneten um Spahn kein Interesse an einem Triumph von Brinkhaus haben - er wäre dann mit einem Schlag ein mächtiger Konkurrent. Und dann stehen ja auch noch die Landtagswahlen in Bayern und Hessen an, da will kaum einer für neuen Trubel sorgen. Und den würde es bei einer Wahl von Brinkhaus sofort geben.

Eine Abwahl des Merkel-Vertrauten Kauder würde nicht zu Unrecht als schwere Brüskierung der Kanzlerin wahrgenommen werden. Es würde sofort eine Debatte beginnen, ob es nicht auch für Merkel an der Zeit wäre zu gehen. Und diese Debatte will in der Unionsfraktion - zumindest derzeit - fast niemand eröffnen.

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