Süddeutsche Zeitung

Unicef-Bericht zum Krieg in Syrien und Irak:Kleine Lichtblicke inmitten von Gewalt und Chaos

Lesezeit: 3 min

Von Markus C. Schulte von Drach

Der Bürgerkrieg in Syrien dauert nun bereits vier Jahre. Ein Ende der "schlimmsten humanitären Krise unserer Zeit", wie es der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, António Guterres , formulierte, ist nicht abzusehen. Gewalt und Chaos beherrschen weite Teile des Landes, von dem ein Drittel vom sogenannten "Islamischen Staat" kontrolliert wird.

Und so wächst auch die Zahl der Kinder, die unter den direkten und indirekten Folgen des Konflikts leiden, dramatisch an, warnt Unicef. Etwa 14 Millionen Kinder und Jugendliche seien von der Gewalt in weiten Teilen Syriens und des Irak direkt oder indirekt betroffen, heißt es im jetzt vorgestellten Bericht " Conflict in Syria and Iraq". Vor einem Jahr hatte Unicef noch von 5,5 Millionen berichtet.

Folter, sexuelle Gewalt, Einsatz als Soldaten

Allein in Syrien sind den Vereinten Nationen zufolge mehr als 200 000 Menschen umgekommen. Darunter laut Unicef mindestens 10 000 Kinder. 5,6 Millionen seien in einer "verzweifelten Lage". Bis zu zwei Millionen von ihnen würden in Gebieten leben, die aufgrund von Kämpfen weitgehend abgeschnitten seien von humanitärer Hilfe.

Augenzeugen berichten Unicef zufolge von Kindesmisshandlungen, Folter, sexueller Gewalt und dem Einsatz von Kindern als Soldaten. Und nur ein Teil von ihnen kann von den Hilfsorganisationen erreicht werden. Dazu kommt, dass "die seit vier Jahren andauernde Gewalt die Infrastruktur in weiten Teilen des Landes zerstört und die Stromversorgung drastisch reduziert" hat, sagte der Generalsekretär von Care Deutschland-Luxemburg, Karl-Otto Zentel der dpa. "Häuser, Straßen, Schulen und Krankenhäuser sind dem Erdboden gleichgemacht."

Immer mehr Zwangsheiraten, Sexdienste und Kinderarbeit

Doch auch für etwa 3,6 Millionen Kinder in den Nachbarländern Syriens wird das Leben schwieriger, wo die Flüchtlingslager eingerichtet werden. Libanon etwa hat nur etwa vier Millionen Einwohner, aber mehr als eine Million Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Und "nach Jahren im Exil sind die Ersparnisse aufgebraucht und eine wachsende Zahl der Flüchtlinge versucht, durch Bettelei, Sexdienste oder Kinderarbeit zu überleben", sagte UN-Hochkommissar Guterres der dpa zufolge.

Außerdem, so berichtet Unicef, würden Mädchen jung verheiratet, um ihre Familie zu entlasten, männliche Jugendliche müssten oft arbeiten oder würden sich bewaffneten Gruppierungen anschließen, da sie keine andere Alternativen mehr hätten.

Man müsse versuchen, den Schrecken durch die Augen der Kinder zu sehen, denen die Kindheit gestohlen wurde, fordert Anthony Lake, Direktor von Unicef. Während junge Menschen in anderen Ländern wichtige Entscheidungen über ihr Leben fällen, versuchen die jungen Flüchtlinge einfach nur zu überleben. "Viel zu viele haben Grausamkeiten erlebt. Wurden zur Arbeit gezwungen, um die Familie zu unterstützen. Bereits als Kind verheiratet. Oder durch bewaffnete Gruppen rekrutiert."

Für die kleinsten Kinder sei Krieg das einzige, was sie kennen. Und die Heranwachsenden seien nicht nur traumatisiert durch die Vergangenheit. "Diese Generation junger Menschen ist noch immer in Gefahr, an einen Kreislauf der Gewalt verloren zu gehen." Zwar habe die internationale Gemeinschaft Lake zufolge schon reagiert - doch es wurde noch nicht genug getan.

Erfolge machen Hoffnung

Trotz allen Leids will Lake jedoch die Hoffnung nicht aufgeben, dass vielen Kindern noch geholfen werden könne. Schließlich gibt es auch einige Erfolgsmeldungen. Denn viele Kinder haben selbst noch nicht aufgeben, so berichtet Hanaa Singer vom Unicef-Büro in Damaskus. Singer hat in den vergangenen Monaten Städte wie Homs, Aleppo und Hama besucht - und selbst dort Beispiele für die große Widerstandskraft der Kinder gefunden: "Sie sind fest entschlossen, das Beste aus ihrem Leben zu machen."

Das Kinderhilfswerk belegt dies mit einer Reihe von Beispielen. So ist es Unicef gemeinsam mit anderen Organisationen gelungen, in Syrien 19 sogenannte "Jugendfreundliche Räume" (Adolescent Friendly Spaces) zu schaffen, in denen 2014 bereits mehr als 100 000 Jugendliche dabei unterstützt wurden, ihr Leben zu bewältigen. 2015 soll das Programm weitere 165 000 Jugendliche und 150 000 Kinder erreichen. Ähnliche Programme existieren auch für Flüchtlingskinder in Jordanien und in Libanon. In Jordanien hat die Polizei bereits spezielle Einheiten aufgestellt, die sich um syrische und jordanische Kinder kümmern sollen. In Libanon tun dies dagegen Studenten der Sozialwissenschaften einer führenden Universität.

Insgesamt konnten dem Unicef-Bericht zufolge mehr als eine Million Kinder psychosozial unterstützt werden. Noch kann weniger als die Hälfte der syrischen Flüchtlingskinder an einem Schulunterricht teilnehmen. Doch die Zahl wächst. 2014 erreichten die Hilfsorganisationen mit ihren Maßnahmen immerhin 3,7 Millionen Kinder. Allerdings belasten die vielen Schülerinnen und Schüler aus den Flüchtlingslagern die öffentlichen Schulen der Länder, die sie aufgenommen haben.

Es fehlt an Geld

"Humanitäre Hilfe kann den Krieg nicht beenden", sagte Daniela Schadt, Schirmherrin der Unicef Deutschland, auf einer Pressekonferenz in Berlin. "Aber wir können die Situation der Kinder im Land beeinflussen." Wie die Lebensgefährtin des deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck weiter sagte, bräuchten die Kinder "Hoffnung, damit Hass und Gewalt nicht auch ihre Zukunft beherrschen".

Dazu braucht das UN-Kinderhilfswerk Geld. Bereits 2014 hatte Unicef wegen mangelnder finanzieller Unterstützung nicht alle geplanten Hilfsprojekte umsetzen können. "Wir schätzen, dass wir in diesem Jahr 297 Millionen US-Dollar für unsere Operationen in Syrien brauchen werden, davon sind bisher erst drei Prozent eingegangen", sagte Hanaa Singer vom Unicef-Büro in Damaskus. Für Maßnahmen in der gesamten Konfliktregion würden 903 Millionen Dollar benötigt, sagte der Unicef-Geschäftsführer Schneider. "Bislang wurde lediglich ein Siebtel davon zugesagt." Die Organisation setzt ihre Hoffnung nun auf eine Geberkonferenz Ende März in Kuwait.

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