Süddeutsche Zeitung

Uni Magdeburg:Störsaalzentrum

Erst kommt AfD-Chef Poggenburg, dann fliegt ein Böller. Seither ist die Aufregung groß. Magdeburgs Uni-Rektor erhält Drohungen von links und rechts.

Von Cornelius Pollmer

Die Universität Magdeburg trägt den Namen Otto von Guerickes, der mit einer Kolbenpumpe, zwei Halbkugeln und noch mehr Pferden einst geschickt die Wirkung des Luftdrucks öffentlich inszenierte. Vermochten die tauziehenden Pferde einmal doch den Unterdruck der Kugeln in der Mitte zu überwinden, so geschah dies laut Guericke mit einem "Knall wie von einem Büchsenschuss".

Mehr als ein solches Geräusch war am vergangenen Donnerstag vom Forschergeist Guerickes nicht übrig geblieben, als im komplett besetzten Hörsaal 6 ein Böller nach vorne geworfen wurde, wo er einem Meter neben André Poggenburg explodierte. Poggenburg ist Landesvorsitzender der AfD in Sachsen-Anhalt, er war gekommen, um einen Vortrag des emeritierten und umstrittenen Neurobiologen Gerald Wolf zu rahmen. Wolf hatte unter anderem darüber sprechen wollen, warum Männer leistungsfähiger seien als Frauen. Zu diesem Vortrag hatte die "Campus Alternative" geladen, eine der AfD zugeneigte Hochschulgruppe. Als Poggenburg, Wolf et alii am Donnerstag den Hörsaal erreichten, war dieser bereits von mehreren Hundert Studierenden mit dem Ziel besetzt worden, den Vortrag Wolfs und den Auftritt Poggenburgs zu unterbinden. In der Folge: Buhen, Brüllen der Studierenden, später Tätlichkeiten, besagter Böllerwurf. Poggenburg und seine Delegation flüchteten zunächst in ein Hinterzimmer, verließen schließlich den Saal - unter Schutz der Polizei, die mit 30 bis 40 Kräften zur Uni gekommen war. In der weiteren Folge: Sagte Poggenburg, die Universitäten in Deutschland würden zum großen Teil von der Antifa regiert. Sagte Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) der Mitteldeutschen Zeitung, er habe "überhaupt kein Verständnis" für den Dekan der entsprechenden Fakultät, der den Widerstand der Studierenden mit Stolz kommentiert hatte. Sagte Uni-Rektor Jens Strackeljan der Magdeburger Volksstimme, ebenjener Dekan habe wie auch er selbst inzwischen Morddrohungen erhalten, "und zwar aus dem gesamten Spektrum von links bis rechts".

Holger Stahlknecht sagte noch, gerade die Elite seines Landes sei aufgefordert, "sich argumentativ auseinanderzusetzen. Ausgrenzung und Gewalt haben da keinen Platz". Jens Strackeljan sagte noch, seine Universität wolle "ein öffentlich wahrgenommener Raum der Meinungsbildung sein"; die Uni werde künftig dafür sorgen, dass ein von einer studentischen Gruppe angemieteter Raum auch von dieser genutzt werden könne. Der Vorsitzende der AfD-Nachwuchsorganisation in Sachsen-Anhalt sagte noch, es werde weitere Veranstaltungen geben, "notfalls jeden Monat und jede Woche". Der Studierendenrat wiederum kritisierte die AfD als "fahrlässig". Zwischenbilanz: Einen Vortrag gab es nicht, dafür Gerede und Vorwürfe und Gewalt.

Mit seinem Experiment widerlegte Otto von Guericke übrigens das horror vacui, also die Idee, es gebe eine Angst der Natur vor Leere.

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Quelle:
SZ vom 17.01.2017
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