Ungewöhnliche Hilfe für Flüchtlinge:"Wie unsere eigenen Söhne"

Manche Deutsche attackieren Flüchtlingsunterkünfte, andere helfen Asylsuchenden, so gut sie können. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Patzelt nimmt sie sogar in seinem Zuhause auf - und hofft, dass andere seinem Beispiel folgen.

Von Markus C. Schulte von Drach

SZ: Sie beherbergen zwei Flüchtlinge aus Eritrea. Damit haben Sie es schon bis auf die Seiten der BBC gebracht ...

Martin Patzelt: Ich bin auch völlig erstaunt über die Resonanz. Sogar das russische Fernsehen hat sich schon angemeldet. Dabei gibt es in unserem Land immer mehr Menschen, die sich für die Flüchtlinge engagieren. Aber ich freue mich natürlich, wenn mein kleines Beispiel bekannt wird. Jeder tut, was er kann, und steckt den anderen an. Dann ändert sich irgendwann auch das Klima. Das hoffe ich jedenfalls.

Sind Ihre beiden Flüchtlinge eigentlich schon anerkannt?

Nein, sie haben noch eine Duldung. Das erklärt sich vermutlich durch die hohe Arbeitsdichte des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Dort schiebt man einige Fälle, die eigentlich ziemlich klar sind, schon mal vor sich her. Eritreer haben ja gute Aussichten auf Asyl. Wenn das anders wäre, hätte ich sie nicht aufgenommen.

Nicht?

Menschen, die kein Asyl bekommen werden, sollte man keine Hoffnung darauf machen, dass sie bleiben können. Ich habe zum Beispiel kürzlich zwei jungen Männern aus Kamerun einen Praktikumsplatz organisiert. Aber denen sage ich auch, dass sie nicht anerkannt werden. Auch wenn sie unbedingt hierbleiben wollen. Schließlich sind sie als Hoffnungsträger hierher geschickt worden, unter ungeheuren Opfern ihrer Familien. Wenn sie wieder zurückkehren, sind sie dort die absoluten Verlierer.

Und diese Not reicht nicht zur Bewilligung von Asyl.

Nein. Und da bin ich auch konsequent: Deutschland kann nicht alle Menschen aufnehmen, die hierher kommen wollen. Deshalb bin ich auch dafür, dass es in solchen Fällen kurze, ordentliche Asylverfahren und eine schnelle Rückführung gibt. Das ist eine bessere Abschreckung, als wenn man sie wie Menschen zweiter Klasse behandelt, wie es ihnen unter Ministerpräsident Horst Seehofer in Bayern offenbar droht. Wenn wir die Menschen zurückschicken müssen, ist das hart genug.

Ungewöhnliche Hilfe für Flüchtlinge: Martin Patzelt ist Bundestagsabgeordneter der CDU und sitzt im Ausschuss für Menschenrechte

Martin Patzelt ist Bundestagsabgeordneter der CDU und sitzt im Ausschuss für Menschenrechte

(Foto: Jürgen Paulig / CC-by-sa-3.0)

Wie lange können die beiden Eritreer, die Sie aufgenommen haben, bei Ihnen bleiben?

So lange wie unsere eigenen Söhne. Bis sie flügge sind und sagen: Jetzt suchen wir uns unser eigenes Heim. Erstmal brauchen sie weitere Deutschkenntnisse, damit sie eine Ausbildung bewältigen können. Dann finden sie hoffentlich auch einen Arbeitsplatz.

Sie fordern nun, dass noch mehr Menschen Flüchtlinge privat aufnehmen sollten.

Ich bin mir natürlich vollkommen im Klaren, dass das, was wir tun, nur eine Minderheit tun kann. Dazu gehören ja bestimmte persönliche Voraussetzungen. Etwa die räumlichen Möglichkeiten und die Freude an einem offenen Haus, einer offenen Gemeinschaft. So haben wir mit der Familie immer gelebt.

Sie können es sich offenbar leisten, zwei Personen mehr zu versorgen. Setzt das nicht andere unter Druck, die sich das nicht leisten können?

Es gibt eine Menge Menschen, die haben genauso viel oder mehr als wir. Auch mehr Platz. Und eine marktgerechte Miete für die Flüchtlinge kann man sich von der Kommune erstatten lassen. Wohnraum ist in Deutschland jedenfalls genug da. Weniger da ist der Mut zu einem offenen Herzen und einer offenen Tür. Dabei würde mehr davon nicht nur die Situation für die Flüchtlinge verbessern. Das würde auch uns selbst und unsere Gesellschaft wesentlich verändern.

Sie machen Menschen, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, obwohl es ihnen gut geht, vielleicht ein schlechtes Gewissen. Besteht nicht die Gefahr, dass dies die Ablehnung von Ausländern sogar noch verstärkt?

Jemand, der eigentlich den Anspruch hat, zu helfen und es auch könnte, soll ruhig ein schlechtes Gewissen haben, wenn er es nicht tut. Aber ein schlechtes Gewissen allein sollte nie der Grund sein, Flüchtlinge aufzunehmen. Man muss schon Freude daran finden. Sonst kann es auch für die Asylsuchenden eine Zumutung werden.

Manche Menschen fühlen sich offenbar durch Flüchtlinge bedroht. Der Gedanke, sie sollten nun auch noch ihr Heim mit anderen teilen, dürfte ihre Sorgen kaum schmälern.

Das will ihnen auch keiner zumuten. Ich wünsche mir vielmehr, dass jeder einfach das tut, was er kann. Das geht vom Lächeln auf der Straße, wenn man ein fremdes Gesicht sieht, bis hin zu Patenschaften, Praktika, Einladungen zum Essen, eine geschenkte Urlaubsreise, ein Fahrrad - es gibt so viele Möglichkeiten, wo jeder, wenn er helfen möchte, einen Weg finden kann.

Wo sehen Sie die Vorteile gegenüber den Gemeinschaftsunterkünften für Flüchtlinge?

Bei der kasernierten Unterbringung kann es viel eher zu Konflikten innerhalb der Häuser und mit der Nachbarschaft kommen. Wenn Privatleute Flüchtlingen eine Wohnmöglichkeit bieten, ist das anders.

"Was wir hier beobachten, macht wirklich Mut"

Dann kommt es vermutlich auch eher zu persönlichen Kontakten zwischen den Asylsuchenden und den Einheimischen. Was Sozialwissenschaftlern zufolge besonders wichtig ist, um Konflikte zu vermeiden.

Die Sozialwissenschaftler haben völlig recht. Den Kontakt müssen natürlich die Flüchtlinge genauso wollen wie die Einheimischen. Aber da kann jeder helfen, die Wege zu ebnen. Was wir im vergangenen Jahr hier in Briesen (Patzelts Wohnort in Brandenburg, Anm. der Red.) nach anfänglich großer Ablehnung in der Bevölkerung gegen die Flüchtlinge beobachten können, macht wirklich Mut. Hier haben sich die Menschen kennengelernt, und man hat gesehen, die Fremden sind freundlich, sie sind dankbar, sie wollen arbeiten und etwas für ihren Unterhalt leisten.

Haben Sie eigentlich ein besonderes Verhältnis zu Ausländern?

Ich sehne mich nicht nach mehr Ausländern. Aber es werden weiterhin mehr werden, die kommen. Die weltweiten Migrationsbewegungen werden sich nicht stoppen lassen - schon gar nicht kurzfristig. Da sage ich, wir sollten lieber versuchen, die Situation optimal zu gestalten, als uns zu verkriechen. Wir müssen Realisten sein: Wir können um Europa keine Mauer bauen, wir können die Flüchtlinge nicht ertrinken lassen, oder zurück aufs Meer jagen, wenn uns unsere Werte etwas bedeuten. Deshalb müssen wir alternative Möglichkeiten finden. Und wenn ich sehe, wie viele Menschen zur Hilfe bereit sind, weiß ich: Ich brauche die Hoffnung auf eine Veränderung in der Gesellschaft nicht aufzugeben.

Sollten nicht Bund und Länder mehr tun für die Flüchtlinge, anstatt sich noch stärker auf das Engagement von Privatleuten, von Ehrenamtlichen zu verlassen?

Ich halte diese Argumentation für falsch. Ehrenamtliche arbeiten ja freiwillig. Wenn sie sich ausgenutzt fühlen, dann können sie aufhören. Aber es verändert sich in der Gesellschaft gerade so viel - auch in den Familien, in der Pflege -, da müssen Politik und Ehrenamtliche gemeinsam Wege finden, um die Herausforderungen zu bewältigen. Politik kann Rahmenbedingungen schaffen. Aber Politik kann niemals einem Flüchtling das Gefühl geben, angekommen zu sein. Das können nur Menschen.

Die Politik muss aber die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen.

Da haben Sie Recht. Aber es geht eben nicht nur um Sozialarbeiter und Geld. Es geht um eine große Gemeinschaftsaufgabe.

Wie haben Ihre Parteifreunde und andere Politiker auf Ihren Vorstoß reagiert?

Darüber wird wenig gesprochen. Ich versuche auch nicht, dort zu missionieren.

Wie sind eigentlich die rechtlichen Möglichkeiten, Flüchtlinge in einem Privathaushalt aufzunehmen?

Das ist ziemlich klar durch die Aufnahmegesetze der Länder geregelt. Deshalb haben meine Kollegen im Menschenrechtsausschuss die Diskussion darüber auch sofort abgewürgt mit dem Hinweis, man sei nicht zuständig. Inzwischen ist es wohl so, dass die letztlich zuständigen Kommunen mancherorts Flüchtlinge privat unterbringen können, wenn sie das wollen.

Unterbringung von Flüchtlingen

Asylsuchende werden in Deutschland zunächst von den Behörden untergebracht - erst in Erstaufnahmeeinrichtungen, dann in Gemeinschaftsunterkünften. Ob und wann sie in eine Wohnung umziehen dürfen, hängt von ihrem rechtlichen Status ab und ist von Land zu Land sowie in den einzelnen Kommunen unterschiedlich. In Bayern gilt eines der strengsten Aufnahmegesetze: Dort herrscht Lagerpflicht, Flüchtlinge sollen also in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften der Bezirksregierungen untergebracht werden. Der Bayerische Flüchtlingsrat kritisiert dies als rechtswidrig. In anderen Ländern dürfen Flüchtlinge Privatwohnung auf Hartz-IV-Niveau beziehen. Pro Asyl beobachtet bundesweit aber einen Rückgang der Wohnungsquote: Von 66 Prozent im Jahr 2007 sank diese bis 2013 auf 55 Prozent. Erhebungen der Organisation zufolge variiert die Wohnungsquote in den Bundesländern zwischen zuletzt 91 Prozent in Rheinland-Pfalz und 34 Prozent in Baden-Württemberg.

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