Süddeutsche Zeitung

Ungarn zu EU-Vertragsverletzungsverfahren:"Wir beugen uns der Macht, nicht den Argumenten"

Zeigt der Druck Wirkung? Nachdem die EU-Kommission mehrere Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat, gibt sich Ungarns Ministerpräsident Orbán kompromissbereit. Seine Regierung sei offen, über alle Probleme zu verhandeln, die "auf Basis seriöser Argumente" vorgebracht werden.

Im Streit mit der EU um Vertragsverletzungsverfahren zeigt sich der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán notgedrungen kompromissbereit. "Wir sind offen und bereit, über alle Probleme zu verhandeln, die von der EU-Kommission auf der Basis seriöser Argumente vorgebracht werden", sagte Orbán der Bild-Zeitung.

Zur Frage des Nationalbankgesetzes, bei dem die EU die Einflussnahme der Regierung auf die Unabhängigkeit der Zentralbank befürchtet, sagte der ungarische Regierungschef: "Wir werden uns in diesem Fall der Macht beugen, nicht den Argumenten." Wenn die EU Probleme mit der beschlossenen Aufstockung des Finanzrats der Notenbank habe, "werden wir bereitwillig den Forderungen nachkommen. Sogar wenn es zum Nachteil der Notenbank ist", sagte Orbán.

Nach dem EU-Vertrag darf sich die Regierung eines Landes nicht in die Geldpolitik der Zentralbank einmischen, um deren Unabhängigkeit zu gewährleisten. Der ungarische Zentralbankrat muss aber der Regierung die Tagesordnung seiner Sitzungen vorlegen und Minister können an den Beratungen teilnehmen. Besonders umstritten ist die Aufstockung des Zentralbankrats um einen von der Regierung entsandten Vertreter.

Vorwürfe, seine Regierung, die die umstrittenen Verfassungsänderungen mit Zweidrittelmehrheit durchgesetzt habe, handle undemokratisch, wies Orbán zurück. "Wer uns den Willen zur Demokratie abspricht, dem empfehle ich einen Blick in unsere Verfassung", sagte er. "Ungarn ist und bleibt demokratisch und ein Land der Freiheitskämpfer. Wir stehen für unsere Werte und unsere Nation, auch wenn es Gegenwind gibt."

Die EU-Kommission hatte am Dienstag gleich drei Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet, von denen eines den Streit um die Zentralbank betrifft. Außerdem sieht sie die europäischen Regeln verletzt beim Eingriff in die Justiz und bei der Beschneidung des Datenschutzes.

Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP) äußerte sich kritisch über die Lage in Ungarn: "Ich bin sehr besorgt um die Unabhängigkeit der Justiz und die Entwicklung der Meinungsfreiheit in Ungarn", sagte er der Zeitung Die Welt. Die Bundesregierung erwarte, dass alle Reformen in Ungarn mit Respekt vor den europäischen Werten angegangen werden.

"Es kann kein Durchregieren in einer Demokratie geben", sagte Löning. Das ungarische Mediengesetz verbreite einen Geist der Angst und müsse überarbeitet werden. Zudem platziere die Regierungspartei Fidesz überall Gefolgsleute, die mit ungewöhnlich langen Mandaten versehen würden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1260651
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
AFP/dpa/Reuters/gal/infu
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.