Süddeutsche Zeitung

Ungarn:Weitere Niederlage für Orbán

Das umstrittene Hochschulgesetz der Regierung verstößt gegen europäische Grundrechte, wie das EuGH verkündet. Für die von George Soros gegründete Privat-Uni CEU kommt das Urteil zu spät.

Von Tobias Zick

Es ist ein weiterer Dämpfer im ohnehin angespannten Verhältnis zwischen der EU-Kommission und der Regierung des Mitgliedsstaats Ungarn. Das von Anfang an umstrittene Hochschulgesetz des Landes ist "unvereinbar mit EU-Recht", wie der Europäische Gerichtshof in einem Urteil vom Dienstag feststellt.

Dem im April 2017 erlassenen Gesetz zufolge dürfen ausländische Universitäten nur noch dann in Ungarn tätig sein, wenn es eine spezifische Vereinbarung zwischen Budapest und der Regierung des Herkunftslandes gibt - und wenn die jeweilige Hochschule auch in dem Land, wo sie gegründet wurde, Lehre anbietet. Das Gesetz ist offenkundig speziell auf die Central European University (CEU) zugeschnitten, die der ungarischstämmige US-Milliardär George Soros 1991 in Budapest gegründet hatte. Die im US-Bundesstaat New York akkreditierte Hochschule gilt als Hort des freien Geistes; Soros hatte nach dem Fall der kommunistischen Regime in mehreren osteuropäischen Ländern begonnen, eine Vielzahl von Organisationen zu fördern, alle unter der Zielsetzung einer "offenen Gesellschaft", nach der Lehre des Philosophen Karl Popper, bei dem Soros einst in London studiert hatte. Auch die damalige ungarische Studentenbewegung Fidesz förderte Soros mit Hilfe seiner Börsengewinne; einem Fidesz-Mitglied namens Viktor Orbán etwa ermöglichte ein Soros-Stipendium einen Forschungsaufenthalt in Oxford. Inzwischen allerdings hat Orbán, der heute Ungarns Regierungschef ist, den liberalen Mäzen als Hauptfeindbild auserkoren und überzieht ihn immer wieder mit Schmähkampagnen, stellt ihn etwa als Förderer illegaler Migration dar. Das Hochschulgesetz von 2017 war offenkundig darauf zugeschnitten, die von Soros gegründete CEU aus Budapest zu vertreiben, und es verfehlte seine Wirkung nicht. Im November vergangenen Jahres begann die Privat-Uni ihren schrittweisen Umzug nach Wien.

Das Urteil aus Luxemburg, wonach das ungarische Hochschulgesetz etwa gegen internationales Handelsrecht und gegen die EU-Grundrechtecharta verstößt, ist bereits die vierte derartige juristische Niederlage für die Budapester Regierung in diesem Jahr. Zuvor hatte der EuGH deren Weigerung, an einer Umverteilung von Asylbewerbern aus anderen EU-Staaten teilzunehmen, für illegal erklärt, kurz darauf die Unterbringung von Flüchtlingen in Transitlagern. Im Juni dann kassierte der EuGH ein ungarisches "Transparenzgesetz" für aus dem Ausland unterstützte Nichtregierungsorganisationen.

Die EU-Kommission begrüßte das Urteil vom Dienstag. Ungarn müsse nun unverzüglich Schritte einleiten, um die nationalen Vorschriften in Einklang mit europäischem Recht zu bringen, sagte ein Sprecher. CEU-Gründer George Soros bezeichnete das Urteil als "Sieg für die Grundwerte der Europäischen Union". Es komme allerdings "zu spät für die CEU. Wir können nicht nach Ungarn zurückkehren, denn die dort geltenden Gesetze genügen nicht den Anforderungen akademischer Freiheit". Ungarns Justizministerin Judit Varga sagte, "wie immer" werde ihr Land das Urteil des EuGH umsetzen - "im Rahmen des Interessen des ungarischen Volkes". Zugleich warf sie dem Gericht vor, mit "zweierlei Maß" zu messen: "Man kann nicht ein Gesetz erlassen, das der Soros-Universität Vorteile gegenüber ungarischen Universitäten verschafft."

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SZ vom 07.10.2020
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