Ungarn:In der Verlustzone

Lesezeit: 5 Min.

Auf Vorwürfe von Unternehmen darüber, dass sie in Ungarn behindert werden, antwortet seine Regierung nicht: Viktor Orbán. (Foto: Meng Dingbo/DPA)

Unmittelbar vor Beginn der EU-Ratspräsidentschaft kündigt Viktor Orbán an, eine neue Rechts-außen-Fraktion im Parlament gründen zu wollen. Ansonsten geht es ihm viel um Wettbewerbsfreiheit und Binnenmarkt. Aber immer mehr deutsche Unternehmen beschweren sich, dass ihre Freiheit von der Regierung in Budapest radikal beschnitten wird.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Das Programm der Ungarn für ihre sechsmonatige Ratspräsidentschaft, die an diesem Montag beginnt, enthält viele schöne Sätze darüber, wie Budapest die Zusammenarbeit, den EU-Binnenmarkt und die Wettbewerbsfähigkeit der 27 Mitgliedsländer fördern will. Was sich darin naturgemäß nicht findet, ist die Ankündigung einer neuen Rechts-außen-Fraktion im Parlament, in der sich die ungarische Regierungspartei Fidesz, die österreichischen und die tschechischen Rechtspopulisten künftig organisieren und die verhassten liberalen und linken Kräfte vor sich hertreiben wollen – für den Fall, dass sich noch Mitstreiter aus vier weiteren Ländern finden. Ebenso wenig findet sich im Programm für die Präsidentschaft eine Antwort auf die Klagen von ausländischen Unternehmen, die eine Behinderung des Wettbewerbs in Ungarn erleben, sich von Behörden drangsaliert, von Ministerien bedrängt, von Geschäftspartnern der Fidesz-Regierung bedroht und nach eigenen Angaben mit Macht in die wirtschaftliche Verlustzone gedrängt fühlen.

Im Visier von Fidesz sind dabei derzeit vor allem der Einzelhandel, die Transport- und die Baustoff-Industrie; ausländische Banken und Versicherungen, Medien und Telekom-Unternehmen wurden bereits weitgehend aufgekauft oder nationalisiert. Der ungarische Bau- und Verkehrsminister János Lázár erklärte auf mehreren Pressekonferenzen wahlweise, es sei Zeit, ausländische Firmen „nach Hause zu schicken“, oder es wäre besser für sie, ihre Tochtergesellschaften zu verkaufen und Ungarn „zu verlassen“. Nicht von ungefähr verstanden das internationale Investoren als Drohung.

Das Ziel sei klar, sagt ein Manager aus Baden-Württemberg, der aus Sorge vor weiteren Repressalien gegen sein Unternehmen nicht namentlich genannt werden möchte: die Übernahme ganzer Geschäftszweige durch Oligarchen aus dem Orbán-Imperium. Das treffe im Übrigen auch ungarische Firmen, die ins Visier der Mächtigen gerieten; die bekämen gern mal Besuche von Männern mit dicken Autos und dubiosem Image. Besonders häufig Objekte der Begierde: Firmen, die von Fidesz-Gegnern geführt werden.

Erst Schikanen, dann Übernahmeangebote zu Dumpingpreisen

Der stellvertretende Vorsitzende des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft, Philipp Haußmann, nennt die Lage bedrohlich. Einschüchterung sei an der Tagesordnung – trotz rhetorischer Bekenntnisse Ungarns zur weiteren Verflechtung mit der deutschen Wirtschaft.

Nach wie vor sprechen derzeit vor allem Verbände für jene Branchen, die sich nicht direkt mit Budapest anlegen wollen. Denn die Regierung, heißt es nach gleichlautenden Berichten, die auch gegenüber der SZ geäußert wurden, sorge dafür, dass banalste Genehmigungen verweigert und hohe Sondersteuern für ausländische Firmen erlassen würden, mit Dekreten in Besitzstrukturen eingegriffen werde – und dann Übernahmeangebote zu Dumpingpreisen gemacht würden.

Aktuellste Beispiele sind die Zement-Industrie, der Spar-Konzern – und der deutsche Flughafen-Betreiber AviAlliance, hinter dem eine kanadische Gruppe steht. Vor zwei Wochen erst hat der ungarische Staat 80 Prozent der Anteile am Budapester Ferenc-Liszt-Flughafen zurückerworben, der in den Nullerjahren privatisiert worden war; 20 Prozent gehen an einen französischen Konzern. Drei Milliarden Euro wurden für den Deal bezahlt, den Budapest als eine „Frage der nationalen Souveränität“ bezeichnet.

Der Verkauf des Flughafens wurde nach mehrjährigen Verhandlungen offenbar regelrecht erzwungen, in deren Verlauf immer wieder Berichte über massive Repressalien gegen die Betreiber nach außen drangen. Die Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses des EU-Parlaments, die CSU-Abgeordnete Monika Hohlmeier, berichtet am Telefon von verweigerten Genehmigungen für den Flughafenausbau, mit denen die früheren Betreiber mürbe gemacht wurden. Das reiche von einem Café im Sicherheitsbereich über Investitionen in Terminals und Frachtflughafen. Ein anderer Gesprächspartner erwähnt mit einiger Fassungslosigkeit, dass man einen Parkplatz gebaut, dann aber keine Genehmigung für einen Parkscheinautomaten bekommen habe.

Sondersteuern, erzwungene Tiefpreise für ausländische Supermärkte

Die Angaben lassen sich im Detail nicht überprüfen; so oder so haben AviAlliance, ein Investor aus Singapur und ein kanadischer Pensionsfonds Mitte Juni verkauft, nachdem der Flughafen-Betreiber, wie aus dem Ostausschuss zu hören ist, „weich gekocht“ worden sei.

Der in Österreich ansässige Supermarktkonzern Spar ist im März wegen der „protektionistischen Politik“ Ungarns an die Öffentlichkeit gegangen, was ihm umgehend eine Klagedrohung wegen „Verleumdung“ aus Budapest einbrachte. Der Konzern lässt die SZ wissen, er sei seit dem Einbringen einer Beschwerde bei der EU-Kommission in Brüssel „Ziel einer signifikant erhöhten Anzahl von Überprüfungen in Supermarktfilialen“.

Angesichts der Klage einer österreichischen Supermarktkette spricht Ungarns Außenminister Péter Szijjártó von einer „politisch motivierten Kampagne“. (Foto: Darko Vojinovic/AP)

In der Beschwerde, die sich auch in einem EU-Länderreport zu Ungarn vom 19. Juni spiegelt, führte der Konzern auf, womit man sich, unter anderem, konfrontiert sehe: mit erzwungenen Preisobergrenzen, teils unter Einkaufspreis sowie der Verpflichtung zu ausgedehnter Vorratshaltung, was vor allem Konzerne wie Aldi, Lidl, Penny, Tesco oder Spar getroffen habe. Dazu mit einer Sondersteuer für Einzelhändler über einer bestimmten Umsatzgröße, die wiederum vor allem ausländische Unternehmen treffe. Ungarische Anbieter seien üblicherweise in Franchise-Ketten organisiert und fielen nicht unter diese Steuer. Darüber hinaus gebe es eine Behinderungsstrategie beim Wechsel der Gesellschaftsform, wodurch Spar die Vorteile inländischer Anbieter verwehrt blieben.

Die Baustoff-Industrie und speziell Zementproduzenten sind ebenfalls im Visier der Regierung. Ein Jurist, der seine Firma durch das ungarische Dickicht steuert, berichtet, dass lokale Oligarchen mit begrenzter Fachkompetenz ausländische Baustofffirmen „zugeschanzt“ bekommen sollten. „Knebelinstrumente“ wie eine sogenannte Minensteuer (SMR) von 90 Prozent, die ab einer festgelegten Produktionsmenge die Gewinne abschöpfe, aber auch der Zwang zum Erwerb zusätzlicher CO2-Zertifikate hätten seine Firma in die Verlustzone gebracht, während ungarische Firmen in Umweltschutzfragen mehr als lässlich behandelt würden. Unfreundlich geäußerte Übernahmeangebote habe man abgewehrt. Bisher.

Regierungsorgane wurden geschaffen, um den Markt zu beeinflussen

Die und Reaktionen der ungarischen Seite sind widersprüchlich. Einerseits bestreitet man alle Vorwürfe und nennt sie, wie im Falle von Spar, eine „Lüge“. Außenminister Péter Szijjártó spricht grundsätzlich von einer „politisch motivierten Kampagne“ und „emotionaler Erpressung“. In den vergangenen zehn Jahren habe man knapp 200 deutsche Unternehmen gefördert; 6000 deutsche Firmen seien mit gutem Erfolg in Ungarn tätig. Andererseits rechnete Orbán 2022 in einer Rede vor der ungarischen Industrie- und Handelskammer ausführlich vor, dass ausländische Firmen in Ungarn im Vorjahr 8,2 Milliarden Euro Profit gemacht hätten, ungarischen Firmen im Ausland allerdings nur 1,8 Milliarden. Um die nationale Wirtschaft zu stärken, habe man „Regierungsorgane geschaffen“, die über die Fähigkeit verfügen, den Markt zu beeinflussen. „Ich hoffe also, dass der Anteil des ungarischen Eigentums wachsen wird.“

Deutsche Autofirmen stehen in Ungarn bisher nicht unter Druck, denn sie sind Stützpfeiler des klammen Staats: Mercedes-Fabrik in Kecskemét. (Foto: Dudar Szilard/Mercedes-Benz/AFP)

Vor einem Treffen mit dem deutschen Kanzler Olaf Scholz Mitte Juni äußerte sich Ministerpräsident Orbán im Sender Kossuth Rádió dann hingegen fast euphorisch über deutsches Investment: Die Deutschen brächten „technologischen Fortschritt nach Ungarn und Tausende neue Jobs ins Land. Und wir werden wirtschaftlich davon profitieren“. Allerdings bezog sich der ungarische Ministerpräsident dabei im Wesentlichen auf die deutsche Autoindustrie. Die investiert, angelockt von hohen Subventionen und niedrigen Löhnen, weiter gern in Ungarn und gilt als wichtiger Stützpfeiler des klammen Staats.

Stärkung der heimischen Wirtschaft sei grundsätzlich ein sehr berechtigtes und verständliches Anliegen, heißt es dazu in deutschen Wirtschaftsverbänden. Die Methoden von Fidesz aber seien, sagt ein Gesprächspartner, „mafiös“. Die Folge sind zahlreiche Initiativen und Interventionen in Brüssel, darunter: eine Resolution des EU-Parlaments, in der die Kommission zum Handeln aufgefordert wird. Ein Brief mehrerer Abgeordneter, in dem gefordert wird, die „Diskriminierung“ der Konkurrenz zu stoppen. Budapest untergrabe die Niederlassungsfreiheit, das Eigentumsrecht, den fairen Wettbewerb und andere fundamentale Rechte des Binnenmarkts. Und die Zusage der Kommission, sich die Sache anzusehen.

Aber das kann dauern. Die EP-Abgeordnete Monika Hohlmeier etwa, die seit Jahren Klagen über Verwaltungswillkür und Mafia-Methoden hört, spricht von einer „Oligarchisierung im Putin-Stil“. Sie fordert, endlich, auch den Punkt „Binnenmarktrecht“ in das Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn aufzunehmen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusUngarn
:„Ein echter Wendepunkt“

Der politische Newcomer Péter Magyar hat bei der Europawahl in Ungarn aus dem Stand dreißig Prozent der Stimmen geholt. Die Partei von Viktor Orbán gibt sich unbeeindruckt.

Von Cathrin Kahlweit

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: