Ungarn:Steil abwärts

Ungarn: Das System Viktor Orbán: Leute aus seinem Umfeld wurden auf wundersame Weise Multimillionäre. Korruptionsforscher gehen davon aus, dass ein Teil der Investitionen aus EU-Geldern finanziert wurde.

Das System Viktor Orbán: Leute aus seinem Umfeld wurden auf wundersame Weise Multimillionäre. Korruptionsforscher gehen davon aus, dass ein Teil der Investitionen aus EU-Geldern finanziert wurde.

(Foto: Olivier Hoslet/AP)

Im Korruptionsindex von Transparency International rutscht das Land deutlich nach unten. Die Regierung kontert mit den üblichen Reflexen.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Die ungarische Regierung antwortete in gewohnter Manier auf die neuesten Zahlen der Nichtregierungsorganisation Transparency International (TI), die am Donnerstag ihren jährlichen Korruptionsindex vorgelegt hatte. Niemand in seinem Land, twitterte Regierungssprecher Zoltán Kovács umgehend, nehme TI ernst, weil die Organisation im Dienst der Opposition stehe und von George Soros finanziert werde. Soros arbeite schon seit Jahren gegen Ungarn, weil das Land seine Ideologie offener Grenzen und unbeschränkter Zuwanderung ablehne.

Da war er also wieder, der Anti-Soros-Reflex, mit dem die Regierungspartei Fidesz alles abwehrt, was sie als Kritik wahrnimmt. Dabei stützt sich Transparency International in seinem Jahresbericht 2020 auf belastbare Daten und Fakten. Demnach ist Ungarn das EU-Land, das am stärksten abgestürzt ist: um elf Punkte seit 2012. Auf einer Korruptionsskala von null bis hundert belegt es Rang 44. Damit teilt sich Ungarn nun den 69. von weltweit 180 Plätzen mit den notorisch korruptionsanfälligen Staaten Bulgarien und Rumänien.

"Schwächung unabhängiger Institutionen"

Die "Schwächung unabhängiger Institutionen, wachsender staatlicher Einfluss auf die mediale Berichterstattung und Korruptionsskandale mit EU-Fördergeldern" hätten zu der Verschlechterung der Lage beigetragen, schreibt TI. Während der Corona-Krise habe Fidesz ihre Befugnisse weiter ausgebaut und sich zuletzt mit Polen, das sich seit 2015 um sieben Punkte verschlechtert habe, gegen den Rechtsstaatsmechanismus bei der Vergabe von EU-Fördergeldern eingesetzt.

Wie sich diese Korruptionsanfälligkeit in Ungarn auswirkt und niederschlägt, belegt unter anderem auch der aktuelle Jahresbericht der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Budapest. Demnach basiere Orbáns illiberales Regime darauf, das Recht zugunsten der eigenen Anhänger zu beugen. Regierungsnahe Unternehmer seien dabei die "größten Gewinner", ebenso wie Familie und Umfeld des Ministerpräsidenten. So seien allein zwischen 2010 und 2014 satte 94 Prozent der öffentlichen Aufträge, welche die Firma von Orbáns Schwiegersohn, Elios, gewann, mit EU-Geldern finanziert worden, im Falle von Orbáns Schulfreund, dem Unternehmer Lőrinc Mészarós, seien es sogar 99 Prozent gewesen.

Laut FES wurden 41 Prozent aller öffentlichen Aufträge ohne Ausschreibung vergeben

Seither habe die Selbstbedienung noch zugenommen, so die FES in ihrer Analyse. Laut dem Corruption Research Center Budapest sei dann das bisher höchste Ausmaß an Vetternwirtschaft in den ersten vier Monaten des Jahres 2020 erreicht gewesen: 41 Prozent aller öffentlichen Aufträge seien ohne Ausschreibung vergeben worden. Indem Gelder aus Brüssel zur Finanzierung von Infrastrukturprojekten genutzt würden, sei Steuergeld frei geworden, um Steuersenkungen und Subventionen für die eigene Klientel zu finanzieren.

In Ungarn selbst herrscht durchaus Unzufriedenheit mit der Art und Weise, wie sich regierungsnahe Kreise verhalten: Korruption sei im Land weitverbreitet, klagten 87 Prozent der Befragten in einer im Juni 2020 im Auftrag der EU-Kommission veröffentlichten Umfrage. Dies liegt über dem EU-Durchschnitt von 71 Prozent. 57 Prozent sagten, die Situation sei in den vergangenen drei Jahren immer schlimmer geworden.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: