Wahl des Staatspräsidenten in Ungarn:Affront gegen die Opposition

Wahl des Staatspräsidenten in Ungarn: Viktor Orbán hat gute Chancen, zum fünften Mal Regierungschef zu werden - und voraussichtlich wird seine Partei auch das Staatsoberhaupt stellen.

Viktor Orbán hat gute Chancen, zum fünften Mal Regierungschef zu werden - und voraussichtlich wird seine Partei auch das Staatsoberhaupt stellen.

(Foto: Jure Makovec/AFP)

Kurz vor der Parlamentswahl lässt Ungarns Regierungschef Viktor Orbán auch über das Staatsoberhaupt abstimmen. Der aussichtslose Gegenkandidat ist selbst in der Opposition umstritten.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

In Ungarn wird in den kommenden Wochen zweimal gewählt. Am 3. April entscheiden die knapp zehn Millionen Bürger über die Zusammensetzung ihres Parlaments und den nächsten Ministerpräsidenten. Viktor Orbán hat recht gute Chancen, nach 1998, 2010, 2014 und 2018 zum fünften Mal Regierungschef zu werden.

Das auf die Regierungspartei Fidesz zugeschnittene Wahlsystem, die gelenkten Medien und der Zugriff auf Steuermittel verschaffen ihm einen solchen Startvorteil, dass die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in diesem Jahr mehr als 200 Wahlbeobachter nach Ungarn schickt. Die für ein EU-Land ungewöhnlich hohe Zahl wird damit begründet, dass das Vertrauen in den Wahlprozess gestärkt und Manipulationen verhindert werden sollten. Die OSZE hatte schon die Wahlen 2018 in Ungarn als nicht fair bezeichnet, "einschüchternde und fremdenfeindliche Rhetorik, voreingenommene Medien und undurchsichtige Wahlkampffinanzierung" hätten die politische Debatte behindert.

Vorher aber steht in Ungarn noch eine Wahl an, und diese wird nicht von internationalen Wahlbeobachtern begleitet: Am 10. März wird das neue Staatsoberhaupt gewählt. Amtsinhaber János Áder tritt nicht mehr an, und Orbán hat eine Vertraute, Katalin Novák, nominiert. Sie war bis vor Kurzem Vizeparteichefin und ist als Ministerin ohne Geschäftsbereich für die Familienpolitik zuständig - ein für Fidesz wichtiges Mobilisierungsthema, das mit dem Kampf gegen sogenannte LGBTQ-Propaganda und für ein traditionelles Rollenbild von Männern und Frauen auch bei der Parlamentswahl im Vordergrund steht.

Die Opposition bezeichnet den Regierungskandidaten Novák als "völlig ungeeignet"

Nováks Wahl ist gesichert, denn in Ungarn wird der Staatspräsident oder die Staatspräsidentin vom Parlament gewählt, in dem Fidesz eine Zweidrittelmehrheit hat. Die Amtszeit dauert fünf Jahre, eine Wiederwahl ist möglich. Dass Fidesz die Kür der Juristin und dreifachen Mutter wenige Wochen vor der Parlamentswahl angesetzt hat, ist ein Affront unter vielen gegen die Opposition, die - sollte sie die Wahl gewinnen - mit einer loyalen Orbán-Freundin konfrontiert wäre. Fidesz verfolgt seit langem die Strategie, zentrale Ämter in Verwaltung, Stiftungen, staatsnahen Organisationen und Politik für eine extrem lange Amtszeit mit Loyalisten zu besetzen. Viele sind mit Zweidrittelmehrheit gewählt und wären daher gemäß der jetzigen Verfassung von einer neuen Regierung nicht abwählbar.

Allerdings hat ein Staatschef oder eine Staatschefin in Ungarn nur sehr begrenzte Macht; dazu gehört die Ernennung von Regierungen und das Unterzeichnen oder Verzögern von Gesetzen. Gleichwohl gilt Nováks Nominierung als geschickter, symbolischer Schachzug des Ministerpräsidenten. Ungarn weist in der EU die zweitniedrigste Frauenquote in der Politik auf; die 45-Jährige an der Staatsspitze wird als Zugeständnis Orbáns an Fidesz-Wählerinnen gewertet. Die konservative Politikerin betont zwar regelmäßig, dass niemand Frauen in Ungarn vorschreiben dürfe, wie sie zu leben hätten, ist aber gleichzeitig das Gesicht einer Familienpolitik, die mit der Festschreibung von Identitäten und Geschlechtszuschreibungen das Familienbild als Mutter-Vater-Kind-Modell zementiert.

Der Spitzenkandidat der vereinigten Opposition aus sechs Parteien bei der Parlamentswahl, Péter Márki-Zay, hatte Novák umgehend als "völlig ungeeignet" bezeichnet. Zwar seien weibliche Führungskräfte im öffentlichen Leben wichtig, Novák aber verkörpere weder die Einheit der Nation, noch stehe sie über den Parteien.

Die Opposition selbst hatte nach langen Debatten erst vor zwei Wochen einen eigenen Bewerber für das Präsidentenamt nominiert, der aber aufgrund der Mehrheitsverhältnisse ohnehin nur ein Zählkandidat sein kann. Bei der Wahl im Parlament hat der Kandidat gerade mal 15 Minuten Zeit, um seine Überzeugungen und seine Vorstellung von der Amtsführung darzulegen. Péter Róna ist ein 79-jähriger Ökonom und Banker, der 1956 nach dem Ungarn-Aufstand in die USA emigriert war und später in Oxford studiert und gelehrt hatte. Róna kehrte nach der Wende nach Ungarn zurück und beriet unter anderem den sozialistischen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány.

Als Kandidat der vereinigten Opposition war und ist Róna umstritten; er sei, heißt es, nicht populär genug, um der Opposition im Wahlkampf einen Schub zu geben. Der Spitzenkandidat für das Amt des Ministerpräsidenten, Márki-Zay, hatte eigentlich den Methodistenpfarrer und ehemaligen liberalen Abgeordneten Gábor Iványi nominieren wollen. Iványis Hilfsorganisation Oltalom, die sich für sozial Schwache einsetzt, wurde am Montagmorgen nach Angaben ungarischer Medien von Steuerfahndern durchsucht. Ivanyi liegt seit Jahren mit den Behörden im Streit wegen seiner evangelischen Freikirche, der vom Staat ihr Kirchenstatus und damit die Förderung aberkannt wurde.

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