Ungarn:Orbán will für seine Flüchtlingspolitik die Verfassung ändern

Ungarn: Orbáns Kritiker haben sich nach der Niederlage beim Referendum zu früh gefreut.

Orbáns Kritiker haben sich nach der Niederlage beim Referendum zu früh gefreut.

(Foto: AP)
  • Viktor Orbán will in der Verfassung festschreiben, dass keine Brüsseler Entscheidung die "verfassungsmäßige Identität" Ungarns verändern darf.
  • Auch die "Ansiedlung von Gruppen" gegen den Willen des Volkes soll unterbunden werden.
  • Um die Verfassung zu ändern, braucht Orban eine Zweidrittelmehrheit.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán hat Pläne für eine Verfassungsänderung konkretisiert, mit der seine Regierung auf das Referendum vom Sonntag reagieren will. Zwar war die Volksabstimmung zur Verteilung von Flüchtlingen in der EU aufgrund einer niedrigen Wahlbeteiligung formal ungültig, doch Orbán wertet sie gleichwohl als eindeutigen Arbeitsauftrag der Wähler.

"Die Ungarn haben am Sonntag Geschichte geschrieben und wenn es stimmt, dass die Geschichte von Gewinnern geschrieben wird, dann hat Ungarn mit der überwältigenden Mehrheit der Nein-Stimmen gewonnen," so Orbán bei der Parlamentsdebatte über das Quotenreferendum. Das "überaus machtvolle Nein" derer, die sich beteiligt hätten, spreche für sich; damit sei nun eindeutig festgelegt, dass niemand ohne die Zustimmung des ungarischen Parlaments Ausländer in Ungarn ansiedeln könne.

Schon vor der Abstimmung hieß es, auf das Quorum komme es nicht an

Orbán will nun, wie er am Dienstag und Mittwoch vor den Abgeordneten in Budapest darlegte, die Verfassung in mehreren Punkten ändern. Festgeschrieben werden solle, dass Brüssel keine Entscheidungen treffen dürfe, die "unsere verfassungsmäßige Identität" verändern würden. Auch die "Ansiedlung von Gruppen" gegen den Willen des Volkes soll unterbunden werden, Zuzüge nach Ungarn würden nur auf individuelle Anfrage hin genehmigt.

Sehr schnell schon, bis zum kommenden Dienstag, soll die Gesetzesänderung den Abgeordneten vorgelegt werden, am 17. Oktober soll sie im Parlament diskutiert, in vier Wochen beschlossen werden. Für eine Verfassungsänderung bräuchte Fidesz eigentlich eine Zweidrittelmehrheit, über so eine verfügt die Regierungspartei aber nicht. Allerdings hat die rechtsextreme Jobbik schon angedeutet, dass sie womöglich zustimmen werde, auch wenn sie die Kampagne grundsätzlich kritisierte.

Die Regierung hatte vor dem Referendum mit massivem politischem und medialen Druck für eine Teilnahme geworben, eine niedrige Beteiligung aber schon im Vorfeld erahnt und befürchtet. Deshalb war schon vor der Abstimmung das Motto ausgegeben worden, letztlich komme es auf das Quorum gar nicht an.

Ganz so selbstsicher, wie sich der Ministerpräsident am Sonntagabend und in den Tagen danach gab, war er aber offenbar doch nicht. Journalisten, die zur Verkündung des freudigen Ereignisses geladen gewesen waren, durften bei der Rede Orbáns vor seinen Anhängern nur in einem Nebenraum per Videoübertragung zuschauen; so sollten peinliche oder kritische Fragen an den Regierungschef offenbar verhindert werden.

Die Opposition feiert das Ergebnis als ihren Sieg

Die linke Opposition fordert nun den Rücktritt des Premiers. Der Chef der sozialdemokratischen MSZP, Gyula Molnár, sagte, keine Regierung zuvor habe eine so "beschämende, manipulative und ungesetzliche Hasskampagne" im Land gefahren; man werde einen Untersuchungsausschuss beantragen, der die hohen Ausgaben aus Steuergeldern prüfen soll - die Rede ist von 30 bis 50 Millionen Euro.

Die linken Oppositionsparteien feiern die Ungültigkeit des Referendums zugleich als ihren Erfolg. Man habe in den letzten Wochen vor der Abstimmung noch Hunderttausende Wähler von der Unsinnigkeit des Projekts überzeugen können. Auch die Zahl derer, die absichtlich ungültig gestimmt und damit gegen das Referendum protestiert hätten, sei ungewöhnlich hoch gewesen.

Tatsächlich zeigt eine detaillierte Auswertung der Daten, dass die Wahlbeteiligung nur in 52 Städten höher lag als 50 Prozent, in der Hauptstadt Budapest war sie am niedrigsten. Fidesz hatte bereits angekündigt, dass jene Bezirksbürgermeister, in deren Stadtteilen die Wahlbeteiligung besonders gering war, mit Konsequenzen zu rechen hätten.

Mehrere Oppositionsparteien - die MSZP, Együtt (Gemeinsam) und die sozialliberale DK von Ex-Premier Ferenc Gyurcsány - werten das Ergebnis der Abstimmung als Schlappe für die Regierung und denken nun über ein gemeinsames Vorgehen bei der nächsten Wahl nach. Man werde in den kommenden Monaten ein Positionspapier ausarbeiten und über die Aufstellung gemeinsamer Kandidaten sprechen.

Die rechtsextreme Jobbik winkte gleich ab, sie werde unter keinen Umstände mit den Linksparteien gegen Fidesz zusammenarbeiten - "Wölfe kooperieren nicht mit Hasen".

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