Ungarn und die Ukraine:"Das ist ihr Krieg, nicht der unsrige"

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán verbindet eine persönliche Beziehung mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin.

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán verbindet eine persönliche Beziehung mit Russlands Präsident Wladimir Putin.

(Foto: Denes Erdos/AP)

Nach Russlands Angriff auf die Ukraine zeigt Viktor Orbán wenig Solidarität mit dem Nachbarland. Lieber stellt er sich als wahrer Kämpfer für den Frieden dar. Was bezweckt Ungarns Regierungschef damit?

Von Cathrin Kahlweit, Wien

An diesem Mittwoch debattiert in Budapest das Parlament über den Antrag Finnlands und Schwedens auf Aufnahme in die Nato. Endlich, dürfte man in Stockholm und Helsinki denken, denn der Termin war von Ministerpräsident Viktor Orbán aus dem vergangenen Herbst auf eine Parlamentssitzung im neuen Jahr verschoben worden.

Bis auf die Türkei und Ungarn haben bereits alle Nato-Mitglieder der Aufnahme der beiden skandinavischen Staaten in das Verteidigungsbündnis zugestimmt, aber Orbán wäre nicht Orbán, wenn er nicht pokern und auch eine solche Entscheidung mit zahlreichen Eigeninteressen befrachten würde.

Er selbst, das hatte er noch am vergangenen Freitag in seinem allwöchentlichen Auftritt bei Kossuth Radio vage vermerkt, sehe durchaus eine moralische Verpflichtung zur Zustimmung. Denn auch Ungarn sei einst von der Nato willkommen geheißen worden. Aber was die Abgeordneten angehe, so hätten diese viele Zweifel: Schließlich hätten die Schweden "Lügen" über Korruption in Ungarn und die ungarische Demokratie verbreitet. Da seien, finde man leider in der Fidesz-Fraktion, noch "ernsthafte Diskussionen erforderlich".

Mit einer eindeutigen Verurteilung Russlands zögert Orbán bis heute

Am Ende wird wohl ein "Ja" der Zweidrittelmehrheit der Fidesz-Abgeordneten in Budapest stehen - denn was Orbán sagt, das geschieht. Aber genau so, wie die Türkei von Schweden Zugeständnisse im Umgang mit der Terrororganisation PKK eingefordert und erhalten hat, so dürfte auch Orbán hinter den Kulissen Druck auf beide Anwärter-Staaten ausüben, Entgegenkommen in finanziellen oder politischen Fragen zu zeigen. Schließlich ist Budapest extrem unter Druck, seit die EU im Rechtsstaatsprozess Milliarden Euro zurückhält, die Ungarn erst nach weitreichenden, glaubwürdigen Reformen erhalten soll.

Orbán vermischt den Streit mit Brüssel mit der epochalen geopolitischen Krise und stellt sich als einen von zwei wahren Kämpfern für den Frieden in Europa hin - neben dem Papst. Vetodrohungen gegen EU-Sanktionspakete, Ausnahmen für Ungarn beim EU-Boykott russischen Erdöls, das Verbot der Durchleitung von Waffen an die Ukraine über ungarisches Territorium, die Absage an Waffenlieferungen - mit alledem demonstriert Orbán die Sonderrolle seiner Regierung und seines Landes in diesem Krieg.

Der Ungar wird nicht müde, zu betonen, dass das "nicht unser Krieg" ist. Noch kurz vor Kriegsausbruch war der Langzeit-Regierungschef, den eine persönliche Beziehung mit Wladimir Putin verbindet und dessen Land von russischen Energielieferungen abhängig ist, in Moskau gewesen. Er befand sich damals im Wahlkampf, den er nach dem 24. Februar auch ausgiebig nutzte, um den Wählern einzureden, die Opposition wolle Ungarn, nicht nur mittels Waffenlieferungen, aktiv in diesen Krieg verwickeln.

Diesen möchte er mit einem schnellen Waffenstillstand beendet sehen. Welchen Preis die Ukraine zu zahlen hätte - darüber kein Wort. Stattdessen schickt er Außenminister Péter Szijjártó auf Staatsbesuche, die als Friedensmissionen bezeichnet werden, nach Russland und Belarus. Das Kriegslager werde, heißt es in Budapest, derweil von Deutschland angeführt.

Während sich Orbán lange schwertat, Russland eindeutig als Aggressor zu verurteilen, brach er lieber einen bizarren, aber in Moskau vermutlich wohlwollend rezipierten Konflikt mit der Ukraine vom Zaun, indem er sich über die Biografie des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij als ehemaligen Schauspieler lustig machte und laut darüber sinnierte, dass der Krieg leicht beendet werden könne, wenn die USA nur ihre Waffenhilfe für Kiew einstellten. Die Ukraine konterte damit, dass Orbán mit seinen Äußerungen eine "pathologische Verachtung" für die Ukraine demonstriere.

"Am Ende gibt Brüssel dann noch das Geld, das uns zusteht, der Ukraine."

Zu der Entfremdung von Kiew und Budapest trägt auch ein seit langem schwelender Streit um Pässe, Kultur und Rechte der ungarischen Minderheit bei. Die Verurteilung der proukrainischen Politik im Westen rechtfertigt Orbán daher auch damit, dass jenseits der 136 Kilometer langen gemeinsamen Grenze schließlich etwa 150 000 ethnische Ungarn lebten. Anders als die Bürger anderer europäischer Staaten würden mithin Ungarn kämpfen und sterben; schon deshalb habe man das moralische Recht, sich dem Kurs von Nato und EU zu widersetzen, die längst Kriegsparteien seien.

In seiner Rede zur Lage der Nation am 18. Februar machte Orbán schließlich unverbrämt klar, dass er den russischen Angriffskrieg, der weltweit als historischer Umbruch und als globale Bedrohung mit unabsehbaren Folgen für die internationale Ordnung gesehen wird, nur als lokalen Konflikt betrachtet, bei dem es keine eindeutigen Opfer und Täter gebe: Nicht "die Heere des Guten und des Bösen" würden "miteinander streiten", vielmehr führten die Truppen zweier "slawischer Länder" einen "begrenzten Krieg". Und: "Das ist ihr Krieg, nicht der unsrige." Man liefere keine Waffen, und "auch mit dem Geld gehen wir vorsichtig um. Denn am Ende gibt Brüssel dann noch das Geld, das uns zusteht, der Ukraine".

Die Sicherheit Europas, davon ist Viktor Orbán überzeugt, sei nicht von Russland bedroht. Er werde daher die guten Beziehungen zu diesem Partner Ungarns nicht aufs Spiel setzen.

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