Ungarn:Herausforderer wirft Orbán „Watergate-Methoden“ vor

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Péter Magyar, seit Juli Vorsitzender der Partei Tisza, wehrt sich gegen eine mutmaßliche Diffamierungskampagne aus dem Machtapparat von Viktor Orbán. (Foto: Martin Fejer/Imago)

Péter Magyar, dessen Oppositionspartei in Umfragen vor Fidesz liegt, beschuldigt die Regierung in Budapest: Sie bespitzle und diffamiere ihn. Was ist dran an dem Vorwurf?

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Péter Magyar, ehemaliger Regierungsinsider und erfolgreichster Oppositionspolitiker Ungarns, bereitet Ministerpräsident Viktor Orbán schon lange Bauchschmerzen. Seit er im Frühjahr mit seiner „Partei für Respekt und Freiheit“ (Tisza) die politische Bühne betrat, hat er in Umfragen stetig zugelegt, zuletzt lag Tisza mit 46 Prozent weit vor Orbáns Fidesz-Partei mit 39 Prozent. Magyar bedroht damit die Position des unbesiegbaren Dauerregenten, die sich Orbán mithilfe des Abbaus des ungarischen Rechtsstaats zu sichern versucht.

Weil der Herausforderer, der gegen Orbán sehr konkrete Korruptionsvorwürfe erhebt, große Popularität genießt, wird er in Staatsmedien und auf regierungsnahen Webseiten scharf angegriffen. Nun hat sich Magyar in einer kurzfristig angesetzten Pressekonferenz am Sonntagnachmittag an die Öffentlichkeit gewandt und der Regierung „Watergate-Methoden“ vorgeworfen. Er sprach von Diffamierung, von Bespitzelung durch Geheimdienste sowie private Sicherheitsdienste, von der Erstellung gefälschter Ton- und Videoclips sowie einer konzertierten Kampagne gegen seine Partei.

Für Magyars Anschuldigungen tauchen immer mehr Belege auf

Magyars Aussagen sind das Topthema in Ungarn, zahlreiche Medien recherchieren seine Anschuldigungen nach – und finden immer mehr Belege. Kern der Vorwürfe ist, dass sowohl seine Ex-Frau, die frühere Justizministerin Judit Varga, als auch seine Ex-Freundin Evelin Vogel von einem Orbán-nahen Oligarchen finanziert würden und staatlichen Akteuren zuarbeiteten, die Magyar mit einer Schmutzkampagne überzögen.

Erste Andeutungen dazu hatte der Shootingstar der ungarischen Politik bereits im Frühherbst gemacht. Nun ist der 43-Jährige mit einem ganzen Paket von Vorwürfen an die Öffentlichkeit gegangen. Informanten aus Geheimdienst und Staatsapparat, die sich illegalen Aktivitäten verweigerten und Orbáns Methoden ablehnten, hätten ihn auf dem Laufenden gehalten.

Seine Ex-Freundin Evelin Vogel soll, so Magyar, heimlich insgesamt elf Stunden Film- und Audioaufnahmen von ihm erstellt haben, die danach verändert worden seien, teils mit künstlicher Intelligenz. Vogel soll 30 Millionen Forint (knapp 80 000 Euro) gefordert haben, damit sie die Aufnahmen nicht an Fidesz gebe – man sei aber auf die Erpressung nicht eingegangen.

Ein mit KI verfälschter Clip?

Tatsächlich wurde am Montag ein kurzer Videofilm von einer schwer rückverfolgbaren Mailadresse an zahlreiche Medien verschickt. In dem Clip ist Magyar nach einer Wahlkampfveranstaltung vor der EU-Wahl im Juni zu sehen, während er sich abfällig über „stinkende Wähler mit Mundgeruch“ äußert und Vogel Gewalt androht. Magyar war von der Fidesz-Presse schon kurz nach seinem Start als Oppositionspolitiker mit Vorwürfen häuslicher Gewalt überzogen worden.

Magyar gibt an, der Clip vom Juni sei bearbeitet und verändert worden, einige Sätze stammten definitiv nicht von ihm. Zahlreiche Online-Blogger melden, nachweisen zu können, dass der Clip der Wahlkampfveranstaltung, auf der Magyar Wähler beschimpft haben soll, tatsächlich bearbeitet worden sei.

Ein weiterer Vorwurf Magyars lautet, weitere mit KI bearbeitete und diffamierende Aufnahmen von ihm hätten auf einer neuen Internetseite namens „Objektiv“ präsentiert werden sollen, die am Montag, also einen Tag nach seiner Pressekonferenz, gestartet werden sollte. Es gibt diese Website, sie ist derzeit, wie eine Statusmeldung verzeichnet, aber „wegen Wartungsarbeiten nicht erreichbar“.

Viele in Orbáns Apparat würden Magyar stützen, sagt ein Insider

Auch andere Anschuldigungen Magyars scheinen sich zu bestätigen. So hat der Internet-Unternehmer György Vertán, dessen kleiner Kopiershop in der Orbán-Ära mithilfe staatlicher Millionenaufträge zu einem großen Konzern wuchs, auf Nachfragen angegeben, dass die Ex-Frau Magyars tatsächlich neuerdings für ihn arbeite und dessen Ex-Freundin in einer seiner Wohnungen lebe. Er habe ihr aber nie Geld für etwaige parteischädigende Aktivitäten gezahlt. Vogel selbst meldete sich zuletzt nur mit einem kryptischen Post auf Instagram zu Wort: Die Wahrheit werde noch ans Licht kommen. Sie hatte vor einem Monat bereits ein sehr kritisches Interview über ihren früheren Partner auf der regierungsnahen Website Index gegeben.

Magyar ist seit Juni EU-Abgeordneter und genießt damit Immunität. Gleichwohl würden er und seine Parteikollegen illegal in Privatwohnungen, Autos und Büros abgehört, sagt der konservative Politiker. Er hat mittlerweile gegen Evelin Vogel Strafantrag wegen Erpressung und Verleumdung gestellt, zudem wurde sie aus seiner Partei ausgeschlossen. Politikinsider wie der renommierte Journalist Márton Gergely von der Wochenzeitung HVG bestätigen, Peter Magyar stehe wegen seines politischen Erfolgs „unter Dauerfeuer“ von Fidesz. Innerhalb des Apparats gebe es jedoch viele, die Magyar stützten, die „Omertà beginnt zu bröckeln“.

Das Büro von Orbáns Stabschef Antal Rogán, der als „Propagandaminister“ der Regierung gilt und dem Magyar vorwirft, die Kampagne zu steuern, wird von diversen ungarischen Medien mit der Aussage zitiert, wer sich solche Geschichten einbilde, der solle zum Arzt gehen.

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