Ungarn:"Nicht die Probleme nach Europa holen"

Außenminister Péter Szijjártó spricht über die kompromisslose Haltung Ungarns zu Fragen der Migration.

Interview von Tobias Zick

Ungarn: Ungarns Außenminister Péter Szijjártó: Der Politiker von der Orbán-Partei Fidesz war gerade zu Besuch in Bayern.

Ungarns Außenminister Péter Szijjártó: Der Politiker von der Orbán-Partei Fidesz war gerade zu Besuch in Bayern.

(Foto: AFP)

SZ: Herr Außenminister, Sie sind für einen Tag zu Besuch in München, wie ist die Stimmung?

Péter Szijjártó: Wann immer ein Ungar nach Bayern kommt, dann kommt er nicht nur zu einem strategischen Verbündeten, sondern auch zu einem wahren Freund. Diese Freundschaft ist tief verwurzelt in unserer gemeinsamen Geschichte. In einer solchen Beziehung kann man auch Auseinandersetzungen haben, aber wir sollten dabei immer auf dem Boden des gegenseitigen Respekts und Vertrauens stehen. Und das tun wir.

Anfang 2018 hat Horst Seehofer Ministerpräsident Viktor Orbán zur CSU-Klausur eingeladen, Orbán schwärmte von der bayerisch-ungarischen "Waffenbrüderschaft". Jetzt wirft Markus Söder Orbán "Blockadepolitik" vor, weil er mit Frankreichs Präsident den CSU-Kandidaten für die Präsidentschaft der EU-Kommission verhindert habe, und auch den Kompromisskandidaten Frans Timmermans. Wie wollen Sie die alte "Waffenbrüderschaft" wieder kitten?

Unsere Position war von Anfang an klar. Wir hätten Manfred Webers Kandidatur unterstützt, auch unabhängig von den politischen Auseinandersetzungen. Aber dann hat er die Ungarn sehr ernstlich beleidigt. Im ZDF sagte er, mit den Stimmen der Ungarn wolle er nicht Präsident der EU-Kommission werden. Wir können natürlich keinen Kandidaten unterstützen, der die Ungarn für weniger wertvoll erachtet als alle anderen Europäer.

Was macht Sie so sicher, dass Ursula von der Leyen eine für Sie angenehmere Kommissionschefin wäre? Sie hat sich gegen Populismus ausgesprochen, für menschlichen Umgang mit Flüchtlingen, sie lobte junge Demonstranten in Polen für deren "gesunden demokratischen Widerstand" ...

Frau von der Leyen ist eine gute Kandidatin, ich kenne sie persönlich. Sie hat sich immer respektvoll und fair gegenüber Ungarn verhalten. Wir haben auch im Verteidigungs- und Militärsektor gut zusammengearbeitet. Alle 13 Fidesz-Abgeordneten im Europäischen Parlament werden für sie stimmen. Und ich bin sicher, dass wir die Auseinandersetzung zwischen der CSU und uns sehr schnell beilegen werden. Es ist ja keine Debatte über Grundwerte. Es geht um eine Kandidatin.

Zur Person

Péter Szijjárt ist seit September 2014 ungarischer Außen- und Handelsminister. Er ist seit 2002 Abgeordneter der Fidesz-Partei und trat 2018 seine fünfte Amtszeit im ungarischen Parlament an. Von 2012 bis 2014 war er Staatsminister für auswärtige Angelegenheiten und Außenwirtschaftsbeziehungen. Zuvor war er zwei Jahre lang Sprecher des 2010 gewählten Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Szijjárt wurde 1978 geboren, ist verheiratet und hat zwei Söhne. SZ

Und wenn es mit ihr doch Differenzen gibt: Muss sie damit rechnen, auch auf Schmäh-Plakaten von Ungarns Regierung zu erscheinen? Wie Jean-Claude Juncker, den Sie vor der Europawahl abbildeten, mit US-Milliardär George Soros und dem Vorwurf, sie würden illegale Migration nach Europa fördern?

Wir mussten die ungarische Bevölkerung über das informieren, was in Brüssel vor sich geht. Für uns ist es inakzeptabel, dass illegale Migranten nach Europa kommen. Für uns es ist inakzeptabel, dass sie nach verpflichtenden Quoten umverteilt werden. Der Schutz der Schengen-Außengrenze ist unsere höchste Priorität. Es ist unverständlich, wie die politischen Eliten in Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern sich gegenüber Mitgliedsstaaten verhalten, die ihre Schengen-Verpflichtungen ernst nehmen.

Vor der Europawahl sah es aus, als verlasse Fidesz die konservative Parteienfamilie EVP und übertrumpfe sie von rechts in einer neuen Allianz mit Salvini und Strache . Inzwischen sendet Ihre Regierung versöhnliche Signale an die EVP und hat die umstrittene Justizreform auf Eis gelegt. Kehren Sie geläutert zurück in Ihre europäische Familie?

Zunächst einmal: Wir sind die erfolgreichsten Mitglieder der EVP, mit 53 Prozent bei der Europawahl. Und ja, wir finden, dass die EVP zu sehr nach links gerückt ist. Die EVP war einfach zu lange in einer Koalition mit den Sozialdemokraten: Es ist da wie in einer Ehe - man wird sich immer ähnlicher. Hier haben aber die Sozialisten die EVP ein bisschen mehr geformt als umgekehrt. Demzufolge hat sich die EVP in eine liberale, linke Richtung bewegt, was wir nicht mögen. Wir sind der Meinung, dass anstatt sich in Richtung der Linken und Liberalen zu öffnen, sollte sie mit den erfolgreichen patriotischen Parteien der EU zusammenarbeiten. Das Wichtigste für uns ist, dass wir die Entscheidung und den Willen der Ungarn vertreten. Ob wir in der EVP bleiben oder sie verlassen, hängt einzig und allein von unserer eigenen Entscheidung ab. Wir bleiben, solange wir die Interessen der Ungarn am besten hier vertreten können.

Wie stellen Sie sich das Europa der Zukunft vor?

Wir sind ein Land mit einer kleinen, aber offenen Wirtschaft. 79 Prozent unserer Exporte gehen in die EU. Ein starkes, wettbewerbsfähiges Europa liegt in unserem nationalen Interesse. Aber eine starke EU muss auf starken Mitgliedsstaaten basieren, die die Außengrenzen schützen, für die Sicherheit im Vordergrund steht und die ihre nationale Identität und ihr kulturelles und religiöses Erbe stolz bewahren.

Sie betonen, das Christentum in Europa zu verteidigen. Wie verträgt sich Ihre rigide Anti-Flüchtlings-Politik mit Ihren christlichen Werten?

Wir wollen nicht die Probleme nach Europa holen, sondern die Hilfe dorthin bringen, wo es Probleme gibt. Wenn es um die Migration geht, diskutieren die internationalen Medien und Politiker unsere Migrationspolitik auf höchst unfaire Weise. In der ganzen Migrationsdebatte spricht niemand darüber, dass wir bis dato 34 Millionen Euro ausgegeben haben, um es christlichen Gemeinschaften im Nahen Osten und in Afrika zu ermöglichen, in ihrer Heimat zu bleiben. Wir bauen Schulen, Kirchen und zerstörte Häuser wieder auf, wir finanzieren Krankenhäuser - all das, damit die Menschen dort ein sicheres Zuhause haben. Es ist ein Menschenrecht, nicht migrieren zu müssen, sondern ein sicheres und ungefährdetes Leben im eigenen Land zu leben.

Fidesz entstand in den 1980er-Jahren als Studentenbewegung - mit Unterstützung von George Soros, den Sie nun als Staatsfeind behandeln: Junge Leute, die für das Recht auf freies Denken eintraten, freie Rede, akademische Freiheit. Warum wendet sich Fidesz heute gegen diese Werte? Warum bringen Sie die Ungarische Akademie der Wissenschaften unter Regierungskontrolle?

Wir haben einen schweren Streit mit Georg Soros, da er die illegale Migration managen will, wir aber sie stoppen wollen. Die Wahrnehmung in Bezug auf die Akademie der Wissenschaften ist falsch, die Freiheit der Forschung ist weiterhin gewährleistet, die Förderung der Forschung steigt sogar um 100 Millionen Euro. Die Regierung finanziert Forschung - und da ist es doch unser Recht, Prioritäten zu setzen. Wir wollen gezielt Forschungsfelder fördern, die dazu beitragen, dass die ungarische Volkswirtschaft sich im technologischen Wandel der Welt behauptet und wächst.

Bislang stützt sich Ungarns Wirtschaft stark auf ausländische Autohersteller, vor allem deutsche mit Werken in Ihrem Land. Nun ist die Branche weltweit im Umbruch, speziell Audi hat sich durch den Dieselbetrug in eine Krise manövriert. Wird die Fokussierung auf die Autoindustrie zum Problem?

Die Arbeitslosenrate in Ungarn lag 2010 über 12 Prozent, sie beträgt heute lediglich 3,4 Prozent: Wer will, kann praktisch in Ungarn arbeiten, dank der Arbeitsplätze und den durchgehend steigenden Löhnen kann jeder von Zeit zu Zeit einen Schritt nach vorne machen. Wir wissen, dass wir unseren Erfolg nur weiterführen können, wenn wir bei der Elektromobilität und beim autonomen Fahren wettbewerbsfähig sind. Und da sind deutsche Firmen gerade sehr aktiv bei uns: Audi hat seine Serienfertigung des E-Tron in Ungarn angesiedelt. Ich habe gerade mit der Schaeffler-Gruppe verhandelt, mit Thyssenkrupp, mit Continental; all diese Unternehmen investieren in neue Technologien in Ungarn. Vier große fernöstliche Firmen bauen Fertigungsstätten für Batterien. Wir werden unsere Führungsrolle weiter ausbauen.

Autokonzerne schätzen an Ungarn nicht zuletzt die relativ niedrigen Steuern und Löhne. Dagegen regt sich Widerstand: Anfang des Jahres protestierten Tausende gegen ein neues Arbeitszeitgesetz, das sie "Sklavengesetz" nannten. In Györ haben Audi-Mitarbeiter für deutlich höhere Löhne gestreikt. Können Sie die Standortvorteile für ausländische Firmen auf Dauer aufrechterhalten?

Wir haben europaweit die niedrigsten Einkommen- und Körperschaftsteuersätze. Wir reduzieren kontinuierlich die Steuerlast auf Arbeit. Wir weiten das duale Ausbildungssystem nach dem deutschen Modell aus. Als wir 2010 die Regierung übernahmen, lag das Budgetdefizit bei sieben, jetzt beträgt es ein Prozent. Im ersten Quartal dieses Jahres ist die ungarische Wirtschaft um 5,3 Prozent gewachsen, das ist die beste Zahl in der EU, wir haben also bewiesen, dass man Jobs schaffen und zugleich Fiskaldisziplin wahren kann.

Noch ein ganz anderes Thema: Jetzt wollen Sie die Ungarinnen mit massiven finanziellen Anreizen dazu bewegen, möglichst viele Kinder zu gebären. Ab dem vierten Kind etwa wird einer Frau für den Rest ihres Lebens Einkommensteuer erlassen.

Wir sind eine familienorientierte, traditionelle Gesellschaft, uns sind die Kinder am wichtigsten. Die Unterstützung für Familien ist in unserer Verfassung verankert. Die Familienplanung überlassen wir natürlich den Eltern, aber wir bemühen uns, die optimalen Bedingungen zum Kinderkriegen zu schaffen. Unsere Politik basiert auf Werten.

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