Ungarn:Neue Allzweckwaffe

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Der ungarische Premier Voktor Orbán will ein weitreichendes Notstandsrecht durchsetzen. Opposition und NGOs laufen Sturm gegen die Pläne.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

In Ungarn war, zumindest was die Verfassungsdebatte angeht, zuletzt eine fast erstaunliche Ruhe eingekehrt. Nach dem Wahlsieg von Viktor Orbán 2010 hatte dessen Regierung 2011 mit der Macht ihrer Zweidrittelmehrheit ein neues Grundrecht ausarbeiten lassen, das zu kritischen Interventionen der EU führte. Nun wollen Premierminister Orbán und seine Fidesz-Partei die ungarische Verfassung erneut an einem wichtigen Punkt ändern: Geplant und mittlerweile als Entwurf auch öffentlich geworden sind weitreichende Befugnisse für den Fall von Terrorgefahr oder Terroranschlägen. Das neue Notstandsrecht soll auch für "bewaffnete Attacken oder Cyberangriffe gelten". Wie genau diese - wörtlich übersetzt - "Terror-Bedrohungssituation" aber aussieht, wird nicht definiert. So finden sich in dem Entwurf auch die Begriffe "nationale Krise" und "präventive Verteidigung". Für Bedrohungen neuer Art, die über klassische zwischenstaatliche Konflikte hinausgehen, bedürfe es einer neuen Rechtsgrundlage, heißt es in dem Papier.

Das Gesetz über die Landesverteidigung zu ergänzen und umzuschreiben - das dürfte der Regierung, die ihre Zweidrittelmehrheit mittlerweile durch Nachwahlen verloren hat, diesmal wohl mithilfe der rechtsradikalen Jobbik-Partei gelingen. Die linke Opposition und Nichtregierungsorganisationen dagegen laufen Sturm gegen die Novelle. Der Terror-Notfall sei zu vage definiert, die Vollmachten der Regierung seien zu weit gefasst, kritisieren Oppositionspolitiker und Experten.

Die Notstandsverordnung sieht vor, 60 Tage lang ohne Befassung des Parlaments praktisch alle Grundrechte einschränken oder gar außer Kraft setzen zu können, bevor das Parlament wiederum mit einer Zweidrittelmehrheit zustimmen muss.

Dazu gehört, per Verordnung die Grenzen komplett zu schließen, die Bevölkerung umzusiedeln, für bestimmte Teile des Landes regelrechte Wohnverbote sowie Reise- und Transportverbote zu erlassen, Ausgangsverbote und Demonstrationsverbote zu verhängen, Internet- und Mobiltelefondienste abzuschalten, die Medien zu kontrollieren, Bürgern jeden Kontakt mit Ausländern zu untersagen. Das Militär darf eingesetzt werden, wenn Polizei und Sicherheitsdienste nicht ausreichen. Auf einer Pressekonferenz in Budapest in der vergangenen Woche hatte der Sicherheitsberater der Regierung, György Bakondi, argumentiert, die Verfassungsänderung sei nötig, um in außerordentlichen Fällen die Sicherheit der Ungarn gewährleisten zu können. Ein Jobbik-Abgeordneter hatte die als "geheim" eingestufte Unterlage jetzt auf Facebook gepostet.

Nicht nur in der Frage des Notstandgesetzes in Zeiten des Terrors muss sich die Fidesz-Regierung derzeit erklären. Vor einigen Jahren hatte Orbán das Bildungs- und Schulwesen umstrukturieren lassen. Nun protestieren immer mehr Lehrer und Schüler in offenen Briefen sowie auf der Straße. Die Proteste wurden durch eine Aktion in der Stadt Miskolc ausgelöst. Dort hatten sich Lehrer über das Chaos beklagt, das die Bildungsreform mitsamt ihrer extremen Zentralisierung ausgelöst habe. Mittlerweile haben auch offizielle Stellen und Lehrergewerkschaften angekündigt, den Protest zu unterstützen.

Baut seine Machtfülle aus: Viktor Orbán. (Foto: AFP)
© SZ vom 23.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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