Europäische Union:EU will Fördermittel für Ungarn einfrieren

Europäische Union: Vollmond über dem Parlament in Budapest: Dort sollen nun Antikorruptionsgesetze verabschiedet werden. Doch reicht das wirklich?

Vollmond über dem Parlament in Budapest: Dort sollen nun Antikorruptionsgesetze verabschiedet werden. Doch reicht das wirklich?

(Foto: Robert Michael/dpa)

Die Kommission wird offenbar vorschlagen, Gelder zu kappen, weil die Regierung nicht genug gegen Korruption unternimmt. Allerdings soll Budapest noch eine letzte Chance erhalten.

Von Björn Finke und Cathrin Kahlweit, Brüssel/Wien

Im Rechtsstaatsstreit mit Ungarn beginnen die entscheidenden Wochen: Schon an diesem Sonntag könnte die EU-Kommission den Vorschlag verabschieden, europäische Fördermittel an das Land in Milliardenhöhe einzufrieren. Die Brüsseler Behörde würde dafür den neuen Rechtsstaatsmechanismus nutzen. Diese Regelung erlaubt es erstmals, Geld zurückzuhalten, wenn Probleme mit Korruption und Rechtsstaatlichkeit im Empfängerland die ordnungsgemäße Verwendung gefährden.

Die Kommission hat das Verfahren gegen die Regierung des autoritären Ministerpräsidenten Viktor Orbán im vergangenen April gestartet - es war eine Premiere. Das Regelwerk gibt der Behörde bis Mittwoch Zeit, eine Entscheidung zu fällen, aber in Brüssel ist zu hören, das Kommissarskollegium werde den Beschluss drei Tage früher fassen.

Danach muss der Ministerrat, das Gremium der Mitgliedstaaten, dem Vorschlag binnen drei Monaten zustimmen - mit qualifizierter Mehrheit, was in etwa einer Zweidrittelmehrheit entspricht. Der Grünen-Europaabgeordnete Daniel Freund, der das Verfahren eng verfolgt, geht davon aus, dass die zuständigen EU-Finanzminister Ende November entscheiden werden. Die Kommission wird aber zusammen mit dem Kürzungsvorschlag auch Empfehlungen verabschieden, was Orbán machen müsste, um die kritisierten Defizite beim Kampf gegen Korruption und Interessenskonflikte und beim System der öffentlichen Ausschreibungen abzustellen. Dies bedeutet, dass Ungarn noch bis zur EU-Finanzministertagung im November Zeit hätte, den Forderungen nachzukommen und das Einfrieren der Gelder abzuwenden.

In einem Brief vom Juli drohte Haushaltskommissar Johannes Hahn Ungarn an, die EU könnte 70 Prozent der Mittel aus mehreren Programmen der Strukturfonds zurückhalten, also aus den Brüsseler Töpfen zur Förderung benachteiligter Regionen. Nach Berechnungen des Abgeordneten Freund geht es hier um sieben Milliarden Euro. Nach diesem Schreiben habe sich die Regierung in Budapest bewegt, heißt es aus der Kommission. Aber offenbar bislang nicht genug. Weswegen die Behörde am Wochenende die Kürzung vorschlagen wird.

Lässt Brüssel sich einlullen?

Neben dem Rechtsstaatsmechanismus hat die Kommission ein zweites finanzielles Druckmittel: Sie gibt immer noch nicht das Geld aus dem Corona-Hilfsfonds an Ungarn frei. Das Land kann 5,8 Milliarden Euro an Zuschüssen erwarten. Freund schätzt aber, dass nach einer möglichen Beilegung des Streits um den Rechtsstaatsmechanismus auch diese Corona-Hilfen fließen würden. Der Grünen-Abgeordnete würde das bedauern. Er befürchtet, dass es die Kommission Orbán zu leicht mache, die Anforderungen aus dem Rechtsstaatsmechanismus zu erfüllen: "Ich habe ernste Zweifel, dass die Empfehlungen, was Orbán ändern muss, ausreichen, um Ungarn wieder auf den rechten Weg zu bringen." Erst am Donnerstag verabschiedete das Europaparlament mit großer Mehrheit einen - folgenlosen - Bericht, der in Ungarn "einen Zerfall der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte" beklagt.

Orbán braucht die blockierten Gelder dringend; aus dem Staatsbudget wurden bereits Milliarden Forint an Ausgaben und Investitionen vorfinanziert - mit dem Versprechen, dass die Staatskasse wieder aufgefüllt werde, sobald die Corona-Hilfen flössen. Per Minister-Schaulaufen in Brüssel versuchte die Orbán-Regierung, gute Stimmung zu machen; statt Schuldzuweisungen und Beleidigungen ist die Kommunikation derzeit auf ungarischer Seite geprägt von diplomatischem Optimismus - nach dem Motto: Wir haben so viele gute Vorschläge gemacht, dass Brüssel gar nicht anders kann, als den Rechtsstaatsprozess stoppen und den Druck mildern.

In der Zivilgesellschaft ist nun die Sorge groß, dass Brüssel sich einlullen lassen werde. Das Hungarian Helsinki Committee hat sich - ebenso wie Transparency International und die für die Transparenz öffentlicher Finanzen kämpfende Organisation K-Monitor - über die ungarischen Vorschläge zur Korruptionsbekämpfung gebeugt, die in der kommenden Woche im Budapester Parlament abgenickt werden sollen. Aufgrund einer Zweidrittelmehrheit kann Fidesz durchregieren. Die wichtigsten Punkte sind: eine neu einzurichtende, unabhängige Antikorruptionsbehörde, die von außen besetzt werden und dann aktiv werden soll, wenn Regierungsstellen nicht durchgreifen. Schärfere Kontrollen für staatliche Ausschreibungen, um zu verhindern, dass nur ein Bieter im Rennen ist oder Fidesz-Loyalisten die Aufträge bekommen. Und mehr öffentlicher Diskurs und demokratische Kontrolle durch die Beteiligung der Zivilgesellschaft.

Alle drei Organisationen sind sich allerdings einig, dass die Vorschläge schon daran kranken, dass gleich wieder das erste Versprechen gebrochen worden sei: keine öffentliche Debatte über Rechtsstaatsprinzipien in Ungarn, stattdessen in Hinterzimmern von Fidesz ausgehandelte Papiere, die teils schon als Gesetze eingebracht wurden, teils erst am kommenden Wochenende eingebracht werden sollen und die noch niemand im Detail gesehen habe. Trotzdem soll darüber nächste Woche abgestimmt werden. Andras Lederer vom Helsinki-Komitee sagt, "es sei absurd, die rechtliche Bindungswirkung von etwas einschätzen zu wollen, das die Zivilgesellschaft gar nicht kennen soll". Und warum, fragt er, werde nicht vielmehr die Effizienz bestehender Antikorruptionsbehörden und der Justiz erhöht, statt eine neue, abgehobene Behörde zu schaffen, die gegen die alten arbeite?

"Ungarn ist eben keine Demokratie"

Auch der angesehene Korruptionsbekämpfer und unabhängige Abgeordnete Ákos Hadházy ist hochgradig irritiert. Mehr Bieter bei Ausschreibungen, gut und schön, findet er, aber schon jetzt gebe es oft Zählkandidaten und nur einen echten Bieter - solche Regeln umgehe die Regierung schon jetzt mit Leichtigkeit. Er hat eine einfache Antwort auf die Frage, ob Orbán einsichtig geworden sein könnte, dass sein Land Nachholbedarf in Rechtsstaatsfragen habe: "Solange Ungarn nicht der Europäischen Staatsanwaltschaft beitritt und sich ihrer Autorität beugt, ist alles, was Budapest tut, nur Show. Die versuchen nur, Zeit zu gewinnen."

Ein Kuriosum am Rande: Am Donnerstag hat sich Hadházy vor dem Besuchereingang des Budapester Parlaments angestellt und eine Eintrittskarte gekauft. Denn obwohl er gewählter Abgeordneter ist, darf er das Gebäude auch vier Monate nach der Wahl nur als Gast betreten. Hadházy, unabhängiger Parlamentarier und landesweit bekannter Korruptionskämpfer, ist bis heute nicht vereidigt worden, er bekommt daher auch seit vier Monaten keine Diät und sein Stab kein Gehalt.

Der Grund, warum Hadházy im Parlament in eigener Sache protestieren wollte: Er hatte sich geweigert, im Frühjahr an der ersten Sitzung nach der Parlamentswahl und dem furiosen Sieg von Viktor Orbáns Fidesz teilzunehmen, bei der auch die allgemeine Vereidigung stattfand. Damit wollte er gegen die in seinen Augen manipulierte Wahl protestieren, die auch von den Wahlbeobachtern der OSZE scharf kritisiert worden war. Seither, sagt der Politiker, verschleppe der Parlamentspräsident die Nachholung des Eides, auf die Hadházy natürlich ein Recht hätte. "Da sieht man", sagt der Mann aus Debrecen, "dass Ungarn eben keine Demokratie ist, wenn unbequemen Abgeordneten das Recht auf Teilhabe am politischen Prozess verweigert wird."

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