Süddeutsche Zeitung

Ungarn:Die Hoffnung auf den linken Dreh

Eine Allianz aus den traditionsreichen Sozialisten und Grünen will Premier Orbán besiegen und zurück auf klaren Westkurs.

Von Peter Münch, Budapest

Wer siegen will, muss angreifen: "Das politische System in Ungarn ist keine Diktatur, sonst bräuchten wir bei der Wahl ja gar nicht anzutreten", sagt Gergely Karácsony. "Aber es ist auch keine liberale europäische Demokratie". Viktor Orbán, der Ministerpräsident von der Fidesz-Partei, herrsche mit "starker Faust", er sei verantwortlich für "Korruption überall" und dafür, dass "eine kleine Gruppe von Leuten enormen Reichtum aufhäuft". Wie Pfeile schleudert Karácsony die Vorwürfe heraus. Leise, aber treffsicher. "Unsere Demokratie ist in einem traurigen Zustand", bilanziert er. "Aber selbst bei unserem unfairen Wahlsystem glauben wir daran, dass Fidesz geschlagen werden kann."

Gergely Karácsony will Orbán von der Macht vertreiben. Als Spitzenkandidat einer Wahlallianz aus den traditionsreichen Sozialisten (MSZP) und seiner grünen Kleinpartei "Dialog für Ungarn" zieht er in den Wahlkampf zur Parlamentswahl am 8. April. An Optimismus fehlt es ihm nicht, auch nicht an Ideen. Nur bei den Stimmen, da hapert es noch. In den Umfragen ist er zwar inzwischen zum beliebtesten Oppositionspolitiker aufgestiegen. Doch die Fidesz-Partei liegt weit in Front mit einer Zustimmungsrate von rund 50 Prozent. Nach dem ungarischen Wahlsystem, das Orbáns Leute sich 2011 passend modelliert haben, könnte das zu einer Zweidrittelmehrheit der Sitze reichen.

Der Herausforderer startet also aus der zweiten Reihe, und an Gegenwind hat er sich vom ersten Tag an gewöhnen müssen. Im Dezember erst wurde er auf den Schild gehoben, nachdem die Sozialisten ihren populären Kandidaten László Botka demontiert hatten - und zwar in einer solchen Art, dass dessen Gefolgsleute mutmaßten, Orbán persönlich hätte diesen innerparteilichen Putsch angezettelt, um die Linke zu spalten. So verzweifelt waren die Sozialisten danach, dass sie keinen mehr aus ihren eigenen Reihen an die Spitze stellten, sondern Karácsony, den Bürgermeister des 14. Budapester Stadtbezirks. Das ist ein großer Bezirk, sagen seine Fans. Eine große politische Bühne aber ist es eher nicht.

Karácsony also hat eigentlich keine Chance, doch die will er nutzen. Mit 42 Jahren ist er noch jung, und ein erster Erfolg wäre es schon, den Niedergang der ungarischen Sozialisten aufzuhalten. Nach der Wende 1989 ist die MSZP aus der alten sozialistischen Staatspartei hervorgegangen. In fünf Parlamentswahlen in Folge wurde sie zur stimmenstärksten Partei. Dann schaufelte sie sich ihr eigenes Grab, als ihr damaliger Regierungschef Ferenc Gyurcsány 2006 in einer berühmt gewordenen "Lügenrede" zugab, die Wähler nach Strich und Faden betrogen zu haben. Gesagt hat er das im Geheimen vor einem kleinen Kreis von Genossen, doch ein Mitschnitt landete im Radio. Davon haben sich die Sozialisten nicht mehr erholt. Für Orbán war das die Rampe zum Höhenflug.

Nun aber, nach acht Jahren Orbán-Regierung und der Ausrufung der "illiberalen Demokratie", steht Karácsony für den Neuanfang. Mit einem sozialdemokratischen Programm will er Orbán entgegentreten. Er will Ungarn zurück auf den Weg nach Westen führen. "Soziale Gerechtigkeit" verspricht er, höhere Löhne und Renten, bessere Schulen und Krankenhäuser.

Allein aber, das weiß er, wird er Orbán nicht besiegen können. Deshalb hebt er im Gespräch beschwörend die Hände und sagt: "Wir brauchen Allianzen. Alle, die den Wandel wollen, müssen sich organisieren." Schließlich bedeuten 50 Prozent Zustimmung zu Orbán auch 50 Prozent Unzufriedene, und die gilt es zu vereinen. Das Problem dabei ist jedoch nicht nur die fast bizarre Zersplitterung der ungarischen Parteienlandschaft aufseiten der Linken und Liberalen. Viel schwieriger noch ist, dass die stärkste Oppositionspartei mit potenziell 20 Prozent der Stimmen die Jobbik ist, die zumindest früher rechtsextrem war, auch wenn sie sich nun moderat gibt. "Mit Jobbik", das macht Karácsony klar, "hat die demokratische Opposition keine gemeinsame Grundlage."

So schrumpft die Möglichkeit zur Kooperation in den 106 Wahlkreisen auf ein Parteienspektrum, das den Umfragen zufolge zusammen auf nicht mehr als ein Drittel der Wählerstimmen zählen kann. Doch auf Umfragen will Karácsony nichts geben - aus Erfahrung, wie er sagt. Denn bevor er 2014 zum Bezirks-Bürgermeister gewählt wurde, hatte er bei einem Meinungsforschungsinstitut gearbeitet. Beim tieferen Blick auf die Zahlen hat er etwas gefunden, an das er seinen Optimismus heftet: Ein Drittel der Wähler seien noch unentschlossen. Auf die setzt er nun seine Hoffnung, und wenn gar nichts hilft, dann hofft er wohl immer noch auf ein Wunder. "Die Ungarn", sagt Gergely Karácsony, "wollen den Wandel."

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SZ vom 03.02.2018
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